21.03.2022

A Walk in My Atomic Garden - Platz 1: Bad Religion - Generator




BAD RELIGION - GENERATOR


Werte Leserschaft, es ist soweit - das Martyrium ist beendet! 

"Generator" ist die Nummer 1. Und das ist es zurecht, na klar. Dennoch...

...bin ich mir nicht sicher, ob ich wirklich mein Leben drauf verwetten tät', und so genau kann ich mich auch wirklich nicht mehr erinnern, es ist schließlich ziemlich exakte 30 Jahre her, aber ich glaube, dass der Titeltrack des im März 1992 erschienenen sechsten Albums für mich tatsächlich das erste gehörte Musikstück der sehr guten Gruppe Bad Religion war. Mein Bruder hatte sich die CD gekauft und es ist vollkommen im Bereich des Möglichen, dass ich, angefixt von meiner Klassenkameradin Nathalie und ihrer auf dem Schulhof herumgezeigten Kopie von "Against The Grain", Dirk anbettelte, mir die CD doch mal bitte auszuleihen. WENN es denn so war, DANN überrascht einen ja gar nichts mehr. "Generator" ist bis heute einer der allerhellsten Songwritingmomente von Gitarrist Brett Gurewitz; und dass da einer, der mit seinen vierzehn Jahren im Frankfurter Westen zwischen Pubertät (Iron Maiden) und Rebellion (Nirvana) auf diese aberwitzige, abgefahrene, alles abholzende und mit äußerst attraktiven Harmonien jonglierende kalifornische Wunderwaffe trifft, die den Hypothalamus mit einem vulkanisch-eruptiven Endorphinblitzkrieg ("Darf man das in diesen Zeiten überhaupt noch sagen?" - Schmidt) traktiert, sofort und ohne Umschweife lichterloh in Flammen steht, ist so überraschend nicht. Will sagen: sollte das wirklich mein Einstieg in ihre Welt gewesen sein, bon - keine weiteren Fragen euer Ehren. Und dennoch...

...kam "Generator" zur Nummer 1 wie "Die Linke" (Poschardt) zum Durchwinken des imperialistischen Kapitalismus oder des kapitalistischen Imperialismus, oder auch: wie kommt Kuhscheiße aufs Dach? Denn strenggenommen hatte ich nie so richtig darüber nachgedacht, was denn nun mein allerliebstes Bad Religion Album ist. Freilich erstelle ich seit nun drei Jahrzehnten geradezu unentwegt, ja geradzu manisch, Bestenlisten in meinem Kopf, und mit der Zeit kommt für jede DIE_LISTE auch immer eine Art Manifestation ins Spiel; wenn sich also die Reihenfolge und damit auch die Nummer 1 mal etabliert haben, dann bete ich ein paar Jahre später dreizehn Rosenkränze und mach' den Deckel drauf - und warte anschließend bräsig-dampfend auf die Gelegenheit, all das so schön über mehrere Schlaganfälle hindurch ausgeknobelte wieder aufzubrechen, umzuschmeißen, neu zu ordnen. Im Falle unserer Helden aus Kalifornien erschien mir das nie als so recht lohnenswert (schreibt's hin wie Oma Meume und macht dann einen halbjährigen Superscheißcountdown auf seinem Blog, völlig klar), was wohl in erster Linie dem bereits mehrfach herbeigeschriebenen Gedanken geschuldet ist, aus dem, was gemeinhin als Klassikerkanon ihrer Diskografie gilt, schlicht keine Reihenfolge stricken zu können (schreibt's hin wie Doofie Doofmann und macht dann einen halbjährigen Superschei...hmnja). Und dennoch...

...steht, liegt und tänzelt "Generator" nun am Platz an der Sonne, und die Frage, ob ich denn mit dem Küren des Erstkontakts nur wieder einmal die einfachste, anschmiegsamste und offensichtlichste Option wählte, hängt mal wieder quer im Raum herum. Die absolut endgültige Antwort lautet: vielleicht! Auf "Generator" stehen andererseits mit seinen insgesamt gerade mal elf Tracks (Trivialwissen von mir für mich: auf keinem anderen ihrer Alben stehen weniger) die meisten Lieblingssongs, allen voran "Only Entertainment": sowohl textlich als auch musikalisch vielleicht das Beste, was die Band jemals geschrieben hat. Es gab über Jahre, ach was: Jahrzehnte kein Mixtape, auf dem sich nicht irgendwo "Only Entertainment" tummeln sollte. Auf der Bad Religion-Nerdseite thebrpages.net findet sich folgende (mögliche) Interpretation des Texts, die mir sehr passend zu sein scheint:

Forms of media that inform us of worldly events such as 'The News', newspapers and now the electronic form of news; 'e-papers' are what this song is based upon. The organizations that produce these forms of media pick and choose what they feel is what people want to see. They create a window of our world where we see what they want us to see. Thus, this is not reality but only what the media chooses to show, that will draw the most ratings and therefore make them the most income. Two important lines that show this are 'a medium upon which you build reality' and 'they've planted the seed, that sprouts into your picture of the world.' Furthermore, this 'news' we see everyday becomes less about the real world and the important issues at hand but more of a form of entertainment. This is why people are intrigued to see the pain and suffering of third world countries or the deaths of war then to actually be educated on the causes of this pain and suffering or war. Another important point made in this song is seen in the line 'they control two worlds, power and disease, and you cannot suppress your curiosity.' This line shows that it is only power (major corporations, US government, war updates) and disease (hunger, famine, outbreaks of disease) that the media portray of our world as thus control what we can see and interpret of that specific situation, but this is what we are curious to see because all this is only entertainment."

Und wo wir gerade bei Lieblingssongs sind: mit "Fertile Crescent" steht mein liebster "vergessener/untergegangener/unterbewerteter" Bad Religion Song ebenfalls auf "Generator", neben "Chimaera" der einzige Track des Albums, der tatsächlich noch nie live gespielt wurde. Und was ich beim leicht verschnarcht wirkenden "Chimaera" noch so ein kleines bisschen verstehen kann, ist das vermutlich unter den Eindrücken des zweiten Golfkriegs von Papa Bush entstandene "Fertile Crescent" mit seiner genialen Gitarren-Hookline und klassischem Drive eine echte Sternstunde, die es endlich einmal auf die Bühne schaffen sollte. 

Und sonst? Nur Hits. Übermenschliche Hits. Es lohnt nicht, die Songs alle aufzählen, das ist im Prinzip eh alles 11/10. Aber hier, komm  einer noch: "Heaven Is Falling", ebenfalls aus Gurewitz' spitzer Feder, hat diesen Kniff, unter das Highspeed-Getrümmer dieses feine, akzentuierte Riff zu schummeln, mit all seiner offenen Dissonanz und funkelnden Zwischen-, Ober- und Untertönen. Und wenn man es erkannt hat, schreit man hysterisch. Vor Freude. Und Pardon, aber: das kann so kein anderer. 

Und all das kann auch keine andere Band. Selbst wenn ich in den letzten Einträgen manches Mal den Eindruck erweckt haben könnte, nicht so irre glücklich mit dieser "Worst To Best"-Serie zu sein, 's is' ja eh alles Koketterie und Drama, Chérie! - Dieser (unendlich lange und sich unfassbar ziehende) Streifzug durch ihre Diskografie war ganz entgegen früherer Einlassungen äußerst gewinnbringend. Wie bei jeder besonderen Serie über ganz besondere Bands auf diesem Blog, wie damals bei King's X, Warrior Soul, Skyclad oder auch Tribe After Tribe, schließe ich nach der detaillierten Auseinandersetzung und innigen Umarmung das Kapitel jedes Mal mit der Gewissheit, diese eine spezielle Saite angeschlagen zu haben, die mein Herz zunächst vibrieren und erzittern und anschließend schmelzen lässt. Ich bin hinterher immer schlauer und auch irgendwie noch verliebter als vorher. 

Mehr kann ich ich mir nicht wünschen. 

"They're one of the best. They're still one of the best." (Noel Gallagher, Zitat ähnlich)


 


Erschienen auf Epitaph, 1992.

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