26.08.2008
Zebra Streifen
Ein wildes Gezappel, da rund um den Springbrunnen. Die Rosen wachsen auf den braunen Betonplatten. Nicht so, wie andere Rosen wachsen, aber das sind auch keine normalen Betonplatten. Eigentlich bestehen sie aus ganz vielen, kleinen Steinen. Die passen gar nicht zusammen, aber man hat sie passend gemacht. Ob die wissen, dass Rosen auf ihnen wachsen? Naja, wahrscheinlich nicht.
"Das ist wie...wie ein Vogelschwarm, irgendwie. Einer fliegt nach...na, da raus halt, und die anderen fliegen sofort mit."
"'Die anderen' ist ja Quatsch; 's sind ja nur zwei."
"Aber immerhin klingen die zwei wie ein ganzes Rudel."
"Rudel? Eben warst Du noch beim Schwarm."
"Ja, Verzeihung. Wie's halt gerade passt."
"Rudel klingt nach Raubtieren."
Freies, attackierendes Chicago. Ist es noch hell oder schon wieder Frühstück? Eine große Tasse Kaffee, dazu Kornetthörnchen und Getrommel. Geht ja auch, wenn es erst wieder hell werden soll. Also irgendwann, wenn es noch dunkel ist.
"Und wie schön das klingelt. Wie Wasserperlen an den Badezimmerfliesen, nach dem Duschen."
"Wasserperlen, die klingeln?"
"Du weißt schon, wie ich das meine."
"Dann sag's halt."
phase out....another level of consciousness...push Away...posT...close your eyes...play, just play...aBility...FREe...another level of consciousneSs...agree....rock...disagree...
"Hat die nicht der Tortoise-Typ produziert?"
"Kann schon sein. Aber sowas interessiert doch nur Giganerds, weil sie das Wichtigste nicht kapieren wollen."
"Hast Du mich gerade Giganerd genannt?"
"Interessiert's dich wirklich?"
"Nö."
"Ich geh' ein bisschen schwimmen."
"In Praise Of Shadows" des Chicago Underground Trios ist im Jahre 2006 auf ThrillJockey erschienen.
21.08.2008
"Even he can't play what he plays..."
Ein launiger Ausschnitt aus einem Noel Gallagher-Interview. Der Gitarrist von Oasis spricht gut fünf Minuten über The Smiths, Johnny Marr und Morrissey. Großartig!
19.08.2008
Halb zog es ihn, halb sank er dahin...
Auch das ansonsten so geschmackssichere Blue Note-Label erlaubt sich hier und da einen Ausrutscher. Auch wenn jener, der sich auf Lee Morgans "The Procrastinator" bezieht, nicht in erster Linie ein musikalischer, sondern zunächst mal ein geschäftlicher Lapsus ist. Das Label konnte auf dieser, im Juli 1967 aufgenommenen Scheibe unverschämterweise keinen Hit entdecken und verstaute die Aufnahmen im Giftschrank, ehe das Werk 1978 zum ersten Mal den Weg in die Läden fand. Ganze 17 Jahre später wurde es als limitierte Edition wiederveröffentlicht, auf der dann aber unsinnigerweise die Hälfte der Originalausgabe fehlte, nämlich eine Session aus dem Jahre 1969, unter anderem mit Julien Priester (Posaune) und George Coleman am Saxofon. Zumindest kann man damit den Gegenbeweis für die These antreten, früher sei in Sachen Musikbusiness alles besser gewesen. War es nicht.
Lee Morgan, der in den Jahren zuvor unter anderem bei Art Blakeys Jazz Messengers, der Band von Dizzy Gillespie und auf letztlich wegweisenden Klassikern wie Grachan Moncurs "Evolution" mitwirkte, hat für diese Platte die crème de la crème des Mid-60s Jazz und nicht weniger als drei Musiker der damaligen Miles Davis Band um sich versammelt. Gemeinsam mit Herbie Hancock (Piano), Wayne Shorter (Tenor Sax), Bobby Hutcherson (Vibraphon), Ron Carter am Bass und Billy Higgins am Schlagzeug präsentiert er sich im Vergleich zu seinen erfolgreichsten Jahren mit Werken wie "The Sidewinder" oder "The Rumproller" deutlich gereift, ja geradewegs zurückhaltend und bietet einen Hard Bop an, der in seinen besten Momenten die Schwelle zur Avantgarde streift und ansonsten mit erstaunlicher Tiefe und gehörigem Swing ausgestattet ist. Die vier Morgan- und zwei Shorter-Kompositionen (die wunderbare Ballade "Dear Sir" und der Bossa Nova "Rio") sind in ihrer Geschlossenheit und ihrer Souveränität ungeschlagene Perlen des modalen Jazz, zu gleichen Teilen beschwingt und hypnotisierend. Besonders letztgenannte Komponente dürfte sich in den meisten Morgan-Alben der sechziger Jahre wiederfinden.
Dass "The Procrastinator" moderner klingt als Morgans frühere Arbeiten liegt für meinen Geschmack explizit an der Beteiligung Bobby Hutchersons. Besonders sein Spiel führt die bluesigen Ansätze des Trompeters in einen tiefroten Rau(s)ch, wärmt sie und verleiht ihr einiges an mystischem Flair, das sich durch die komplette Aufnahme zieht. Dazu passt Shorters ebenfalls sehr überlegtes, zurückgenommenes Spiel und das kluge, begleitende Drumming von Billy Higgins, der sich nie in den Vordergrund drängt, sondern sich perfekt den Songs anpasst und sie abrundet.
Möglicherweise wäre Lee Morgan, der Zeit seines Lebens wie viele seiner Musikerkollegen dem Heroin nicht immer abschwören konnte, heute eine der bekanntesten und schillerndsten Figuren des Jazz, wäre er nicht 1972 während eines Streit mit seiner damaligen Freundin vor dem New Yorker Jazzclub Slug's von ebenjener erschossen worden. Aber spekulieren wir nicht weiter wild herum, lassen wir lieber den trivialen Quatsch beiseite und freuen uns, dass es von diesem Mann noch eine ganze Reihe fantastischer Platten zu entdecken gibt. "The Procrastinator" ist einfach viel zu gut, um es dem großen Nichts, dem großen Vergessen anzuvertrauen.
"The Procrastinator" ist im Jahre 1978 auf Blue Note Records veröffentlicht worden. Der hier präsentierte Re-Release erschien im Jahre 1995 ebenfalls auf Blue Note Records.
13.08.2008
Playlist 12.8.2008
Wie immer an dieser Stelle: das haben Sie gestern Abend verpasst. Oder gehört.
01 Mice Parade - In The Land There Are Lakes
02 The Life And Times - Muscle Cars
03 I'm Not A Gun - Blue Garden
04 Do Make Say Think - Chinatown
05 Thomas Dybdahl - Love's Lost
05 Vetiver - You May Be Blue
06 Sofa Surfers - White Noise
07 Joyce Hotel - Falling/Laughing
08 Triosk - Headlights
09 IMPS - Bubble And Squeak
10 Jackie McLean - Love And Hate
11 Joe Henry - Love You Madly
12 Ostinato - Convolution
13 Jud - The Hands
14 Human Bell - Outposts Of Oblivion
15 Joanna Newsom - Cosmia
16 David Murray Octet - India
17 Mad Season - Long Gone Day
18 The Heavy - Doing Fine
19 Black Rebel Motorcycle Club - Rifles
20 Boards Of Canada - Sixtyniner
21 Rafael Anton Irrisari - Fractal
22 Anders Ilar - Color Of Rain
23 EFDEMIN - Further Back
24 Shuttle 358 - Lyndon Song
25 Yume Bitsu - Surface I
Vielen Dank fürs Zuhören!
01 Mice Parade - In The Land There Are Lakes
02 The Life And Times - Muscle Cars
03 I'm Not A Gun - Blue Garden
04 Do Make Say Think - Chinatown
05 Thomas Dybdahl - Love's Lost
05 Vetiver - You May Be Blue
06 Sofa Surfers - White Noise
07 Joyce Hotel - Falling/Laughing
08 Triosk - Headlights
09 IMPS - Bubble And Squeak
10 Jackie McLean - Love And Hate
11 Joe Henry - Love You Madly
12 Ostinato - Convolution
13 Jud - The Hands
14 Human Bell - Outposts Of Oblivion
15 Joanna Newsom - Cosmia
16 David Murray Octet - India
17 Mad Season - Long Gone Day
18 The Heavy - Doing Fine
19 Black Rebel Motorcycle Club - Rifles
20 Boards Of Canada - Sixtyniner
21 Rafael Anton Irrisari - Fractal
22 Anders Ilar - Color Of Rain
23 EFDEMIN - Further Back
24 Shuttle 358 - Lyndon Song
25 Yume Bitsu - Surface I
Vielen Dank fürs Zuhören!
09.08.2008
In eigener Sache: Nachtgedanken
Der lange herbeigesehnte Urlaub ist endlich da, also kann ich ihn auch gleich mit einer kleinen Radiosendung freudig begrüßen:
Am Dienstag, 12.8.2008 ab 20:30 Uhr gibt es unter folgendem Link ein bisschen Musik zur Nacht zu umarmen:
Hans-Joachim Kulenkampff freut sich über deine pinkfarbenen Waschlappen
Und das ist ja auch ganz schön so.
P.S.: Man findet schon einen geradewegs käferblöden Mist, wenn man (relativ) harmlos die Google-Bildersuche für "Nachtgedanken" anschmeißt, oder?
25.07.2008
I Feel New Beats, I Hear New Sounds
Eine ganz und gar bemerkenswerte Platte, und das gleich in mehrfacher Hinsicht, ist "Home For An Island", das zweite Album der New Yorker Band The Exit, und es stimmt mich von Zeit zu Zeit etwas nachdenklich, dass ich dieses Juwel ohne mein ehemaliges Dasein als Hobby-Musikjournalist wohl niemals entdeckt hätte.
Das sind wohl die guten Seiten eines Jobs, bei dem ich mir manchmal nicht sicher bin, ob ihm überhaupt auch nur eine gute Faser einer nicht ganz so schlechten Seite innewohnt, und dabei beziehe ich mich ausdrücklich sowohl auf die Rolle des Lesers, als auch auf die des Schreibers selbst. Aber das ist wieder so ein ganz anderes Thema, darüber können wir uns gerne auf der nächsten Popkomm unterhalten, wenn die halbnackten Bitches, sorry: Hostessen, uns am Visions-Stand die Caipi-Schirmchen ins Haar flechten. Jedenfalls: meine grundlegende Skepsis gegenüber aktueller Rockmusik hat mich seit einiger Zeit so fest im Griff, dass sie mich heutzutage, ganz salopp geschrieben, eigentlich einen Scheiß interessiert. Ich suche auch nicht mehr danach. Wenn mir jedoch mehr oder weniger zufällig etwas vor die Füße rutscht, das mich totz meiner "Iiiih, Du bist immer so anti"-Haltung zunächst verwirrt und dann umso stärker mitreißt, so dass ich selbst zwei Jahre nach der Veröffentlichung dieses kleinen Wunders noch ein helles Funkeln in die Augen bekomme und in himmelhochjauchzende Lobhudeleien verfalle, die sogar mit jedem weiteren Durchlauf noch himmelhochjauchzender Lobhudeln, dann bin ich ein sehr glücklicher Mensch.
The Exit spielen auf "Home For An Island"...Rockmusik. Rockmusik, zu der mir interessanterweise jeder Vergleich fehlt, obwohl die Assoziationen zu der Musik des Trios nur so aus den Poren sprühen. Rockmusik, die sich zwischen The Police, The Clash und den Wurzeln des Punkrock bewegt. Rockmusik, die so sackperfekt produziert wurde, dass ich seit Jahren keinen besseren Sound mehr auf einer Rockplatte gehört habe. Rockmusik, die angesichts ihrer durchaus mainstreamigen Ausrichtung das Zeug dazu gehabt hätte, zu einem legendären Klassiker zu werden, selbst in einer Zeit, in der die Menschen selbige gar nicht mehr fänden, um einen Meilenstein überhaupt noch als solchen zu erkennen/entdecken/feiern. Hausfrauen hätten "Let's Go To Haiti" oder den Titeltrack nach monatelanger Heavy Rotation in Funk und Fernsehen mitpfeifen, ach was: mitsingen können, Schulkinder würden ihre Eltern nicht eher in Ruhe lassen, bis sie Gitarren-, Bass- und Schlagzeugunterricht gleichzeitig bezahlt bekämen, und der große alte Mann des Fickel-Hardrocks, Jon Bon Jovi, der immer noch so jung aussieht und so wunderbare Schmuseballaden schreibt, die ans Herz und in die Hose gehen, würde seinen Fotografen zuraunen:"Make me look like The Exit."
Und dann wache ich auf und sehe, dass alles ganz anders kam. The Exit haben eine vergleichsweise niedrige Anzahl von MySpace-Profilaufrufen, ihre Major-Homepage ist vom Netz genommen, sie wurden trotz des ulkigen Label-Stickers, der sie groß als "Must Hear Artist" deklarierte, zu einem "Must Be Dropped Artist", und diese Platte hier, die ist fast vergessen. Ich möchte an dieser Stelle nicht wie einer der furchtbaren Zeitgenossen klingen, die jeden zurecht unbekannten Schmonz mit einem "In einer besseren Welt wären diese Jungs hier Superstars" kommentieren; dass eine mit solchem Potential gesegnete Scheibe jedoch nahezu keine Sau juckt...das darf mich einfach nur ein bisschen Erstaunen. Darf es nicht?
"Home For An Island" von The Exit ist im Jahre 2005 bei Wind-Up Records erschienen.
15.07.2008
It's In The Mix, Stupid!
Für gewöhnlich bin ich den Arbeiten von Kieran Hebden ja durchaus wohlgesonnen: seine Postrock-Spielwiese Fridge, seine vielseitigen Four Tet-Tüfteleien, die mitunter sehr respektvoll die Einflüsse des 29-jährigen Musikers in den Vordergrund rücken, oder eben sein seit einigen Jahren laufendes Projekt mit dem Jazzdrummer Steve Reid, all das konnte mich im Grunde immer überzeugen. Vor allem das Hebden/Reid-Debut "The Exchange Sessions Vol.1" hat mich seinerzeit kräftig mitgerissen. Hebden hatte schon zu schwebenden Fridge-Zeiten großen Wert auf vertrackte Rhythmuskonstruktionen gelegt, und "Everything Ecstatic", seine großartige Four Tet-Platte aus dem Jahr 2005 baute diesen Groove-Fokus gar noch weiter aus, umgarnte ihn mit seinen typischen Wuschi-Deluxe-Sounds, frisch gemopst aus der großen Rappelkiste eines Musikverrückten. Die Kollaboration mit Steve Reid, einem freien Geist des Jazz, der in den sechziger und siebziger Jahren mit Sun Ra genauso arbeitete wie mit Miles Davis, lag als nächster logischer Schritt auf der Hand.
Während die ersten beiden Ergebnisse dieser Partnerschaft "The Exchange Sessions 1+2" sich ausbreitenden, diffusen Electro-Freejazz boten, wählte man für das dritte Werk "Tongues" offensichtlich einen luftigeren Ansatz. Durchschnittlich viereinhalb Minuten benötigen die beiden Musiker, um zu demonstrieren, dass improvisierte Musik eben auch mal bedeuten kann, dass es - Pardong! - in die Hose geht. Was grundlegend völlig in Ordnung ist. Aber mein Gefühl sagt mir auch nach dem achten Durchlauf, dass Hebden und Reid sich hier leicht verhoben haben. Reids afrikanisch beeinflusstes Schlagzeugspiel rückt auffallend weit in den Hintergrund, die Schnittstellen mit Hebdens Gezischel und Gerappel wurden so unkenntlich gemacht, dass sich bei Licht betrachtet hier nur einer austobt, und das ist Kieran Hebden. Trotzdem pendelt er lediglich zwischen zwei Extremen umher: einerseits wummert er viel Potential überraschend uninspiriert in Grund und Boden, andererseits lässt er hier und da süßliche Melodien durchblitzen, die viel zu undefiniert sind, als dass sie eine Stimmung erzeugen können, die die Songs tragen kann. Und wer jetzt irritiert die Augenbrauen anhebt und sich fragt "Moment mal, Songs??", der fragt sich das mit Recht: mir erschließt sich schon der grundlegende Gedanke hinter "Tongues" nicht, vierminütige Momentaufnahmen in einen ursprünglich uferlosen Kontext zu pressen. "Tongues" wirkt dadurch unangenehm unfertig, beeindruckend trivial und zerstäubt schneller aus dem Gedächtnis als eine Bundestagsrede von Dirk "Wirsing" Niebel.
"Tongues" von Kieran Hebden und Steve Reid ist im März 2007 auf Domino Records erschienen.
06.07.2008
(R)evolution
"When ever I have a conversation about what's wrong with the jazz business, I always start out by saying, 'Where is Grachan Moncur?'"
Jackie McLean
Manche Wahrheiten benötigen Zeit. Manche Musik benötigt Zeit. Und wenn Wahrheit und Musik aufeinandertreffen, dann können schon mal ein paar Dekaden vergehen, bevor sie aus nebligem Dickicht gezerrt und entdeckt werden. Eine sehr scheue Kombination, scheinbar. Bei Grachan Moncur III stießen die beiden Faktoren mehr als nur einmal aufeinander, und es macht den Eindruck, als habe sich in nahezu gleicher Frequenz sein Image als merkwürdiger Kauz immer weiter in die Jazzwelt hineingebohrt. Sowas kann zu einem prächtigen Boomerang werden.
Als einer der wenigen Posaunisten, die sich in der Free Jazz/Avantgarde-Welt bewegen, erscheint er mir besonders in den letzten Monaten als einer der inspiriertesten Jazzmusiker aller Zeiten. Auch wenn sich Moncur nach eigener Aussage gar nicht in der Avantgarde-Ecke zuhausefühlt ("To me, it wasn't avant-garde per say for what the avant-garde was really standing for at that time to me. The avant-garde at that time was dealing with the idea of being revolutionary music. I had no thoughts in my mind of this being revolutionary."), so gelten besonders sein Blue Note-Debut als Leader "Evolution", und das mit Jackie McLean als Leader aufgenommene "Destination...Out!"(beide 1963 erschienen) als sehr außergewöhnlich und innovativ. Für mich begann das Phänomen Moncur mit einer Aufnahme aus dem Jahr 1969, "New Africa", aufgenommen im Rahmen einer Session für das legendäre französische BYG Actuel-Label. Die hier enthaltenen vier Songs zählen für mich mittlerweile zu den großen Sternstunden des Jazz: der ausufernde, aber zu jeder Sekunde mit glasklarer Struktur versehene Titeltrack, der sich in den ersten Minuten so traumhaft durch eine simple Klaviermelodie schleppt, das nervös-sirrende, dunkle und unheilverkündende "Space Spy", oder "Exploration", das seinem Name mit sehr freien Solos alle Ehre macht, und zu guter Letzt "When", einem mit dunklen Swing ausgestatteten Wohlfühlmonster; Moncurs Songwriting ist zu jeder Sekunde eine glatte Offenbarung, sein Stil völlig einzigartig. Zugegeben, ich bin immer noch nicht vollständig hinter sein Geheimnis gekommen. Dafür ist der Mann viel zu wendig, seine Brüche und Sprünge so fix, sein Motive so strange & beautiful, das ich sie - ganz ehrlich gesagt - auch einfach nur genießen möchte. In einem Interview mit Allaboutjazz.com sagte er über seine Art Songs zu schreiben:"I was trying to look at writing at that point the way a painter would paint. You put your thing on the easel and you sketch something and you come back to it the next day or a couple of days. That's how I was trying to think musically. I wasn't trying to finish anything. I still don't do that. I don't try to write anything that I consider a complete piece, especially now. It is always a work in progress. I don't change anything, but I add." Moncur balanciert für meine Begriffe genau an der Schnittstelle eines eher traditionellen Jazzmodells wie dem Hardbop und den Anfängen des Free Jazz in den frühen sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Hier hat er seinen Platz gefunden, fokussiert sich aber in Sachen Songwriting besonders auf Stimmungen und Kontraste.
Möglicherweise ist speziell dieses Merkmal der springende Punkt seiner
Musik.
Trotz seiner Zusammenarbeit mit Blue Note zählt Grachan Moncur III bis heute zu den eher unbekannteren Jazzmusikern, obwohl er bis heute Platten veröffentlicht, wenn auch in sehr unregelmäßigen Zeitabständen. In dem weiter oben erwähnten, sehr spannenden, Interview nimmt Moncur zu diesen und anderen Themen Stellung, oftmals auf eine Art und Weise, die mir alleine beim Lesen seiner Sätze den Herzschlag beschleunigt. Es ist, als könne ich seine Worte hören. Sie klingeln regelrecht in den Ohren.
"New Africa" von Grachan Moncur III ist 1969 auf BYG Actuel erschienen.
21.06.2008
"But this time, I wanna hear you scream. In pain." -"Play some Jazzrock."
Es gibt Momente, in denen ich die musikalischen siebziger Jahre gerne zusammengeknüllt in einer Biotonne liegen lassen würde, obgleich vieles aus dieser Dekade noch nicht mal kompostierbar, sondern geradewegs hochgiftig klingt. Das erste Album des hochgelobten Keith Jarrett Quartetts mit Chalie Haden (Bass), Dewey Redman (Tenor Sax) und Paul Motian (Drums) stammt aus dem Jahre 1971, und auch wenn man sich da gerade mal am Anfang des Jahrzehnts befand: "Birth" atmet bereits erstaunlich oft den Muff einer Dekade, in der so mancher Musiker auf Teufel komm raus in einer Art und Weise experimentierte, die man mit viel Wohlwollen gerade noch als naiv bezeichnen könnte, zumindest aus heutiger Sicht. "Birth" ist jedoch aus zwei Gründen nicht uninteressant, zeigt es doch erstens (nicht nur) mit Jarrett einen Musiker, der hörbar auf der Suche nach Herausforderungen war und mit vielen - ihm eigentlich fremden - Instrumenten nach einem neuen Sound forschte und zweitens einen überraschend sauberen Schnitt zwischen Tradition, Avantgarde und Jarretts künftigem ECM-Sound, der sich in erster Linie beim Opener und beruhigend-fließenden Titelstück zu erkennen gibt. Ein durchaus ungewöhnlicher Einstieg in eine ebenso ungewöhnliche, heterogene Platte, deren Ausrichtung im Folgenden wesentlich freier in Erscheinung tritt. Hier fallen besonders das rockige, fusionlastige "Mortgage On My Soul (Wah-Wah)", sowie das sehr freie, experimentelle "Spirit" auf. Während die Band bei letzterem mit allerlei Percussioninstrumenten hörbar entrückt knapp unter der Studiodecke herumfliegt, wenn nicht -albert, präsentiert sich "Mortgage On My Soul" als dick geknüpfter Rockteppich, der leider viel Charme in sich aufsaugt und ihn partout nicht mehr freigeben will, sodass ein verzerrter Charlie Haden-Bass unwidersprochen auf ihm herumtollen und noch einen Nachschlag in Sachen "Geschmacklosigkeit" bieten kann.
Damit hätten wir den Tiefpunkt dieser Platte auch schon hinter uns gelassen; danach geht es spürbar bergauf. Vor allem der Schlusspunkt "Remorse" (Jarrett an den Steel Drums und am Banjo) zeigt in seinen elf Minuten ein beeindruckendes Wechselspiel der Musiker und birgt insbesondere in Jarretts blitzschnell an- und abschwellenden Crescendos einen feinen Ausblick auf seine Arbeiten in den kommenden Jahren.
Eine seltsame Platte, auf der weißgott nicht alles Gold ist, was glänzt, die es jedoch problemlos auf drei Prachtstücke bringt. Reicht völlig aus.
"Birth" von Keith Jarrett ist im Jahre 1971 auf Atlantic Records erschienen.
13.06.2008
Lasst Es Baumeln
Auf einmal war es da, das dritte Soloalbum des Broken Social Scene-Gitarristen Jason Collett. Keine großen Ankündigungen, kein großes Trara. Damit steht die Veröffentlichungspolitik in einer Reihe mit der Musik des Kanadiers. Wie schon auf dem fantastischen Vorgänger "Idols Of Exile" steht die ungeheure Lässigkeit der Songs im Vordergrund: eine Band, die über die kompletten 47 Minuten klingt, als läge sie kollektiv in einer übergroßen Hängematte, findet man wahrlich nicht an jeder Straßenecke. Ich weiß auch beim besten Willen nicht, wie sie das immer wieder hinbekommen, zu jedem Zeitpunkt derart laid back zu agieren.
Collett und seine Buben bieten stilistisch nichts Neues zu den beiden Vorgängern und pendeln immer noch zwischen den Beatles (deren Einfluss einen fast schon körperlich anspringt), den Stones und kanadischem Folk- und Indierock hin und her und haben immer noch eine feine Nase für echte Highlights. Auch wenn für den Moment "Idols Of Exile" noch die Nase vorn hat, sind feine, mit sicherem Händchen geklöppelte Songs wie "Out Of Time", "No Redemption Song", "Papercut Hearts", "Not Over You" oder "Charlyn, Angel Of Kensington" überragende Beispiele für das Songwritingtalent Colletts. Dass er mit der Begleitband Paso Mino Musiker gefunden hat, die seine Songs mit soviel Hingabe und Selbstverständlichkeit spielen, ist jedoch sein größter Coup. Letztendlich ist diese Qualität für mich der springende Punkt an seinen Arbeiten. Die Songs rücken in die zweite Reihe, auf die sonnenüberflutete Veranda an einem Sonntagnachmittag. Es gibt Erdbeerkuchen und Kaffee. Und Strohhüte...Strohhüte gibt es auch.
"Here's To Being Here" von Jason Collett ist im Februar 2008 auf Arts & Crafts Productions erschienen.
01.06.2008
"Bei Christiansen musst du aufpassen....die wehrt sich!"
"Ein Autor, der nur ein einziges Theaterstück geschrieben hat, das nur ein einziges Mal auf dem seiner Meinung nach besten Theater der Welt, und genauso seiner Meinung nach nur von dem besten Inszenator auf der Welt, und genauso seiner Meinung nach nur von den besten Schauspielern auf der Welt aufgeführt werden durfte, hatte sich, schon bevor der Vorhang zur Premiere aufgegangen war, auf dem dafür am besten geeigneten, aber vom Publikum überhaupt nicht einsehbaren Platz auf der Galerie postiert und sein eigens für diesen Zweck von der Schweizer Firma Vetterli konstruiertes Maschinengewehr in Anschlag gebracht, und nachdem der Vorhang aufgegangen war, immer jenem Zuschauer einen tödlichen Schuss in den Kopf gejagt, welcher seiner Meinung nach an der falschen Stelle gelacht hat. Am Ende der Vorstellung waren nur noch von ihm erschossene, und also tote Zuschauer im Theater gesessen. Die Schauspieler und der Direktor des Theaters hatten sich während der ganzen Vorstellung von dem eigenwilligen Autor und von dem von ihm verursachten Geschehen nicht einen Augenblick stören lassen."(*)
Georg Schramms Wut, seine Radikalität, sein Mut, seine Verzweiflung, seine Brillianz, seine Moral und nicht zuletzt sein Humor haben mich erst innerhalb der letzten zwei Monate erreicht und begeistert. Seither verging kaum ein Tag, ohne seine Beiträge zu politischen oder gesellschaftlichen Schweinereien gehört oder gelesen zu haben. Das ist manchmal anstrengend, aber ich weiß auch um die reinigende Wirkung seiner Worte. Und ich weiß, dass ich nicht alleine bin.
"Thomas Bernhard Hätte Geschossen" von Georg Schramm ist im Jahre 2006 erschienen.
(*): "Ein eigenwilliger Autor" aus: "Der Stimmenimitator", Thomas Bernhard, 1978
16.05.2008
Nein, Diese Marimba...!
Ich wollte schon lange ein paar Sätze über dieses Album schreiben. Das SF Jazz Collective ist nämlich über Umwege für meine nunmehr seit drei Jahren anhaltende Jazz-Leidenschaft verantwortlich, und das war ursprünglich gar nicht so gedacht. Es war mal wieder ein Blindkauf, und ich hatte im Grunde keine Ahnung, wofür ich hier Geld ausgegeben hatte. Die Scheibe stand im "Electronica"-Regal des örtlichen Blödmannladens, hatte ein buntes, psychedelisches Cover, auf dem (unter anderem) das Wort "Jazz" stand. Ich zählte eins und eins zusammen und erwartete wohl einen den offensichtlichen Gegebenheiten entsprechenden Stilmischmasch, vielleicht etwas in der Jazzanova-Liga, zumal ich wenige Tage zuvor deren "In Between" kaufte und recht angetan war.
Als Teenager schaute ich nachts, nach dem Kneipenbesuch und vor dem Tiefschlaf, gerne noch ein wenig Fernsehen und immer wenn auf 3Sat vornehmlich alte, schwarze Männer Jazz spielten, blieb ich am Ball und war umgehend wieder hellwach (und nüchtern). Ich hielt nie nach solcher Musik ernsthaft Ausschau, in erster Linie, weil ich keinen blassen Dunst hatte, wo und wie ich danach suchen sollte. Aber ich war schon damals Feuer und Flamme.
Als die CD des von Joshua Redman angeführten Kollektivs in den Player schnurrte und ich gespannt darauf wartete, was ich mir da zusammenkaufte, und die ersten Marimba-Klänge von Bobby Hutcherson erklangen, die "Lingala" einleiten, hatte ich einerseits die Platte schon nach wenigen Takten ins Herz geschlossen und andererseits endlich einen Ansatzpunkt gefunden, wie ich an solche Musik komme. Ich hatte Namen, Songtitel und erstmals einen kleinen Schimmer von dem, was es da draußen noch geben könnte. Ich kannte zu dieser Zeit noch keinen Ornette Coleman, dessen Kompositionen "Peace", "When Will The Blues Leave" und "Una Muy Bonita" auf dieser Platte interpretiert werden, ich kannte keinen Joshua Redman und seinen Vater schon gleich gar nicht und keinen Bobby Hutcherson, der mit "March Madness" vertreten ist. Dennoch: ich war so glücklich.
Von hier aus entstand eigentlich alles. Heute kenne ich Bobby Hutcherson, Dewey Redman, Ornette Coleman und viele, viele mehr. Heute ist das Entdecken von alten Jazzplatten ein großes Abenteuer, das Hören derselben manchmal ein genüssliches Abtauchen, manchmal ein irrer Ritt. Immer ist es inspirierend.
So gesehen habe ich dieser Platte einiges zu verdanken, aber auch davon abgesehen ist dieses Debut eine launige Angelegenheit. Das erwähnte "Lingala" (Miguel Zenón) ist mittlerweile sicherlich eines meiner liebsten Jazzstücke, der Beitrag von Pianistin Renee Rosnes "Of This Day's Journey" ein gefühlvolles, sich prächtig entwickelndes Stück Modern Jazz, in dem die Kanadierin sich als wieselflinke und beseelte Musikerin zeigt, während vor allem die Coleman-Interpretationen, allen voran "Peace", nahezu perfekt den spröden Charme der Kompositionen einfangen und die trotzdem mit einiger Leichtigkeit in diese, ja, man darf es ruhig aussprechen, Big Band-Formation eingefügt werden. Ich empfinde es als durchaus respekteinflößend, wenn man Coleman-Songs erkennt, ohne zuvor das Original gehört zu haben. Man weiß einfach, dass diese kauzige Art, dieses wie-auf-stelzen-laufen nur von ihm kommen kann.
So gab also das San Francisco Jazz Collective den Startschuss in meine Jazzkarriere. Noch heute kehre ich gerne an diesen "Ursprung" zurück...für mich ist es eine ganz besondere Platte.
Das Debut des SF Jazz Collective ist im Jahre 2005 auf Nonesuch erschienen.
09.05.2008
"Verzeihung, ich wollte nicht stören...?!"
Ich bin untröstlich ob meiner mehrwöchigen, virtuellen Abwesenheit (ehrlich!), , habe aber gute Neuigkeiten: der Blog lebt noch, sein Autor erstrecht und hier geht es bald weiter.
Zugeschaut und mitgebaut!
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