19.01.2008

Platz 12


VALET - BLOOD IS CLEAN

Fackeln an den Wänden, Hitze, Stimmen aus dem Off oder aus einer dreißig Meter tiefer gelegenen, verborgenen Kammer, Extase im Ritalinrausch: Honey Owens aus der Künstlerszene Portlands ist auf ihrem bei Kranky erschienenen Debutalbum "Blood Is Clean" die alles in ihren Händen haltende Voodoopriesterin mit Zusatzausbildung Schamanismus.

Auf freier Improvisation basierend, gleitet sie auf einem spirituellen Klangpolster durch unterirdische, in tiefes Rot getauchte Orte des Bewusstseins, der Katharsis, der Klarheit. "I wanted to be a medium, channeling sounds from an unknown place, opening up and spilling out on the computer tape", sagt Owens über ihre Vision für dieses spannende Stückchen Kunst. Hypnotisierend und einlullend auf der einen Seite, extatisch und losgelöst von jeder Struktur auf der anderen Seite schlägt Owens Brücken zur Mystik und Esoterik, lässt Flammen wild und unkontrolliert auflodern, vergräbt die Seele in eine ewige, warme und schmerzhafte Sinnsuche.

Höhepunkte des Trips: die stets nach vorne stolpernde, fantastische Gitarrenimprovisation im Titeltrack, das perkussive Meditationsmonstrum "Mystic Flood" und natürlich das eindringliche 13-Minuten-Epos "North".

Tame All The Lions, Tame All The Lions.






Erschienen auf Kranky, 2007.

14.01.2008

Platz 13



BJ Nilsen- The Short Night

Freund Kai hatte "The Short Night" in einer Ausgabe seiner stets inspirierenden Geräuschmusik-Kolumne in der Onlineausgabe der Spex präsentiert und mich vor allem ob seiner scheinbar aufgegebenen Zurückhaltung neugierig gemacht. Zwar ergaben sich nochmal kurzzeitig Verwirrungen hinsichtlich des seltsam klischeehaften Covers, das mich doch arg an phantasielosen Dronequatsch wie Sunn O))) erinnerte; die waren allerdings spätestens zum Ende des vierzehnminütigen "Front" in alle Winde (sic!) zerstreut. Mit großer innerer Ruhe inszeniert der 1975 in Schweden geborene Künstler seine Vision von Natur, Raum und Zeit. Feldaufnahmen aus Grönland, Schweden und Island geben in Sachen gefühlter Kälte die Richtung vor, taumelnde Eisbrocken, Wolkendonner, schnatternde Maschinen, ölverschmiert. Black Light goes Möwensonne, kratzende Flächen, Sirenen im Koma, Avantgarde my ass. "The Short Night" ist klar und deutlich, frisch und pur. "The Short Night" ist dunkel und verschwommen, mysteriös und verwinkelt. Eine vertonte Gletscherspalte.

12.01.2008

Platz 14



Moskitoo -Drape

Für mich, der in Sachen elektronischer Musik noch immer ein Neueinsteiger ist, ist die Entdeckung von sogenannten Kultlabels immer wieder wie Weihnachten und Ostern auf einen Schlag. Nach dem äußerst erfreulichen Seaworthy-Output ist Moskitoos Debut "Drape" die zweite Neuentdeckung des amerikanischen 12k Label für mich in diesem Jahr. Die Künstlerin Sanae Yamasaki aus Tokyo experimentiert auf "Drape" mit Gitarren, Orgeln, Xylophonen, Synthesizern und "nostalgic toy instruments" und schwebt geradezu durch ein Album voller Träume, skurriler Wolkenformationen, Wasserperlen und sich brechendem Licht. Hier und da überrascht Moskitoo mit schmeichelnden Melodielinien, die sich den Weg durch das Geflacker bahnen, und die selbst einem grauen Herbsttag Licht und Liebe schenken konnten. Yamasakis Gespür für zierliche und feingegliederte Beats und auf halber Strecke stehengebliebener, abstrakter Improvisation, die dann auch mal ein wenig ruppiger sein darf, ließ mich "Drape" vor allem in den frühen Morgenstunden, zur ersten heißen Tasse Kaffee, gerne auflegen.

10.01.2008

Platz 15



Ben Westbeech - Welcome To The Best Years Of Your Life

Die ersten drei Monate des Jahres gehörten Ben Westbeechs Debutalbum. Der von DJ-Legende Gilles Peterson entdeckte Brite präsentiert sich auf "Welcome To The Best Years Of Your Life" als souverän auftrumpfende, europäische, kühle Variante eines Justin Timberlake. Und obgleich ich die straighte, klare Ausrichtung dieses Soul/Funk/Jazz-Gemischs durchaus schätze, würde ich wohl einiges darum geben, entsprechende Remixe eines amerikanischen "Starproduzenten" zu hören. Trotzdem liefert Westbeech bis auf ein, zwei etwas zu lang geratene Tunes eine großartige Arbeit ab. Mir gefallen vor allem die ungeheuer leichtfüßigen Feelgood-Monster zu Anfang, sowie die tanzbaren Clubfeger wie "Dance With Me", "Get Closer", "Hang Around" und "Pusherman" (ich wiederhole mich zwar, aber egal: die Bassline!!!) zum Ende des Albums am besten, die alleine locker eine Nennung in dieser Auflistung rechtfertigen. Kaum aus zu denken, wohin es führt, wenn die Arrangements beim nächsten Mal noch ein wenig gestrafft werden können...

06.01.2008

Platz 16



Bodi Bill - No More Wars

Wenn ein Liveauftritt eine Platte qualitativ nach unten reißen kann, dann muss auf der Bühne schon so einiges schiefgelaufen sein. Bei Bodi Bills Gig im Darmstädter 603qm ging rein musikalisch eigentlich alles glatt, die doof-schüchterne Performance inklusive deplatziertem Herumgezappel und einiger, nun ja, "unglücklicher" Ansagen des Berliner Trios hingegen verdarb mir langfristig ziemlich die Lust an ihrem Debutalbum "No More Wars", das bei Licht betrachtet durchaus auch in meinen Top-Ten hätte auftauchen können. Ihr Ansatz, akustischen Songwriterstoff mit clubbigen Dancesounds zu verbinden, gefällt mir auch heute noch sehr gut. Besonders zur Mitte des Albums haben sie mit "Nothing", "Kilogramm", "Straw Hats" und "Be Home Before Dinner" einige echte Brüller untergebracht, bei denen nackte, tanzende Leiber ums Pfadfinder-Lagerfeuer herumhüpfen und bunte Pillen schlucken. Schade, dass ich nach dem Auftritt nur noch selten Bock hatte, die Scheibe auf zu legen.

04.01.2008

Platz 17



Strategy - Future Rock

Ende März 2007, Hamburg. Inmitten des Chaos seines Zimmers sitzend, zaubert Tinnitus-Chefredakteur Haiko aus aufeinandergestapelten CDs, LPs und Promo-Flyern plötzlich ein quietschbuntes Digi-Pack hervor. "Hier", spricht's der zerstrubbelte Endzwanziger mit einem Siegerlächeln, "das dürfte Dir gefallen. Auf Kranky erschienen. Strategy. Supergeil." Auch wenn ich hinsichtlich seiner Tipps (zu?) häufig den Spielverderber geben musste, in Sachen "Future Rock" lag der Scheff goldrichtig. Paul Dickows drittes Werk ist ein äußerst angenehmes, frisches und modernes Album zwischen relaxter Sonnendeck-Atmosphäre und flächigen, angefunkten Clubsounds, niemals larifari, sondern durchgehend spannend, knisternd und vor allem: hochklassig.

Funktioniert in allen Lebenslagen: "Future Rock" gibt morgens einen guten Start in den Tag und am Abend chillt es mit bizarren Bildern und Farben genüsslich "dampfend" (Stefan Gärtner) in Richtung schweißnasser Abendunterhaltung. Downbeat, Indie, Improvisation und Electronica vereint in einem verschnörkelten Gewächs. Versüßte mir ebenfalls eindrucksvoll den Sommer.



03.01.2008

Platz 18



Marillion - Somewhere Else

Als Ende 2006 das Veröffentlichungsdatum für das vierzehnte Marillion-Studioalbum feststand, rechnete ich durchaus damit, dass die Frage nach der Platte des Jahres bereits im April beantwortet werden könnte. Anfangs machte sich "Somewhere Else" auch gar nicht schlecht; erst mit der Zeit fiel die Scheibe etwas zurück. Gehört das Herzstück mit dem Titelsong, "The Wound", "Voice From The Past" und dem Schlüsselmoment "No Such Thing" auch am Jahresende mit zum Besten, was ich 2007 hörte, kommen die übrigen Songs (mit Ausnahme des wunderbaren "Faith") über den Band-Durchschnitt leider nicht so recht hinaus. Das ist zwar immer noch gut genug, aber nicht zuletzt dank des "Marbles"-Meilensteins aus dem Jahr 2004 weiß man eben, was diese Band zu leisten vermag. 

Sie legen die Messlatte eben doch alle Jahre wieder in derart schwindelerregende Höhen, dass sie bei der nächsten Veröffentlichung nur untendurch springen können. Selbst dann verweisen Marillion noch so manchen in die Schranken.  

31.12.2007

Platz 19



Fridge - The Sun

Wie gut "The Sun" des britischen Trios ist, hatte ich vor wenigen Monaten bereits an anderer Stelle in diesem Blog erwähnt und daran hat sich bis heute auch nichts geändert. Four Tets Kieran Hebden hat seine Faszination für das Schlagzeug (=den Beat) in den Mittelpunkt gestellt und zusammen mit seinen Freunden Adem Ilhan und Sam Jeffers warme, fließende, an Tortoise erinnernde Fetzen der Gitarre und elektronische Spielereien als Gegenpart in den Sound eingeflochten. Daraus ergibt sich ein spannendes Wechselspiel aus einer unterkühlten Distanz und dem Wunsch nach Nähe und Kommunikation. Nerdmusik, die genau die Mauern einreißen will, die sie sich selbst Sekunde um Sekunde aufbaut.

Etwas überschaubarer und leichter als der Vorgänger "Happiness" aus dem Jahre 2001, aber dafür mindestens genauso schön.

28.12.2007

Platz 20



Tocotronic - Kapitulation

Hätte man mir vor fünf Jahren (oder Minuten) gesagt, dass eines Tages eine Tocotronic-Platte den Weg in meine Jahrescharts findet, hätte ich vermutlich in die Kiste mit den bösen Wörtern gegriffen. Die Hamburger Band war für mich seit vielen, vielen Jahren DAS rote Tuch schlechthin, und es gab mindestens eintausend gute Gründe, warum ich weder mit der Band, noch mit ihren Fans auch nur eine Sekunde meines Lebens verbringen wollte.

"Mein Ruin" als Appetizer vorab auf einigen Magazin-CDs veröffentlicht, schickte mir die ersten Schweißperlen auf die Stirn ("Scheiße, mir gefällt's!"), das Interview in der Sommerausgabe der Spex besorgte den Rest und plötzlich saß ich im Juli auf der Couch und hörte eine Platte, die in den kommenden Wochen zum beinahe täglichen Begleiter wurde. Morgens unter der Dusche stehen, sich mit einem mulmigen Gefühl im Magen auf die Arbeit vorbereiten und dazu Texte wie "Sag alles ab, geh einfach weg / Halt die Maschine an, frag nicht nach dem Zweck" oder "Und wenn du dir denkst alles ist zum Speien / Und so wie du jetzt bist willst du überhaupt nicht sein" zu hören war mein Summerfeeling 2007.

"Kapitulation" war zur richtigen Zeit am richtigen Ort und kommentierte die Absurdität unserer Leben derart schlau und gekonnt, dass ich mich (ganz im Gegensatz zu meiner Herzallerliebsten) nicht mehr zur Wehr setzen konnte. Es ist schon eine verrückte Welt, ist es nicht?

26.12.2007

Zweitausendsieben In Musik

Ein weiteres Jahr neigt sich dem Ende entgegen und erneut sauste es mit einer Rasanz an mir vorbei, dass ich mir gefühlt schon im Februar Gedanken um die Weihnachtsgeschenke machen musste. Die Zeit ist ein Meister des Alterns, und dieses Gefühl des Mitgerissen werdens, des damit verbundenen Kontrollverlusts, die elende Hetzerei und die Unfähigkeit, die "Pause"-Taste zu drücken bringt mich jedes Jahr ein Stückchen weiter in Richtung Abgrund.
Musik ist es, die am Leben hält. Die ständige Suche nach den passenden Noten, nach der neuen, ganz persönlichen Sensation, das Erforschen, das Versinken, die Euphorie, wenn man die entscheidenden Schritte gegangen und auf etwas gestoßen ist, was berührt. Dabei ist es im Grunde nebensächlich, wie am Ende die Wertung ausfällt. Es gibt mehrere Wege, wie man sich der Kunst nähern kann, und ich bekomme immer öfter den Eindruck, dass Einteilungen wie "gut" oder "schlecht" völlig irrelevant sind.

Natürlich hält mich das nicht davon ab, in den nächsten Tagen und Wochen meine Schätze des Jahres 2007 zu präsentieren und zu kommentieren. Denn wie schon in den Jahren zuvor gilt auch dieses Mal: Es war das beste Musikjahr aller Zeiten.

Viel Spaß beim Lesen!

25.12.2007

Oscar Peterson (1925 - 2007)



Eine weitere Jazzlegende hat ihren letzten Gang angetreten: der kanadische Pianist Oscar Peterson ist in der Nacht zum 24.12.2007 in seinem Haus bei Toronto an Nierenversagen gestorben.

Peterson steht schon länger auf meiner "Damit muss ich mich mal näher beschäftigen"-Liste, und der Tod ist ironischerweise oftmals der Startschuss für den Beginn einer Auseinandersetzung mit der Kunst der/des Verstorbenen. Immerhin bleibt mir für die nächsten Tage eine Zusammenstellung seiner größten Momente, die auch im Moment im CD-Player rotiert.

Auf Petersons Homepage ist derzeit die aktuellste Meldung vom 28.November 2007, überschrieben mit Welcome To My New Beginning. Darin heißt es:"I am very happy to say I am back."


Ruhe in Frieden.

Die Neue Zürcher Zeitung zum Tod von Oscar Peterson

16.12.2007

In Eigener Sache: Frohe Weihnachten!

Es ist soweit, der erste Urlaub seit nunmehr zwei Jahren steht an. Keine Bange, an dieser Stelle wird kein "Was muss ich alles noch einpacken und was muss ich darüber UNGEDINGT in meinen Blog schreiben?"-Quatsch stehen, vielmehr möchte ich meinen Lesern ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest wünschen!

In diesen Tagen ist an nahezu jeder Ecke die Rede von Jahresbestenlisten, und auch meine Wenigkeit freut sich bereits darauf, eine solche ebenfalls zu veröffentlichen. Nach meiner Rückkehr startet mein Top20-Countdown 2007 und eine neue Radiosendung ist ebenfalls in Vorbereitung. Das nur als kleiner Ausblick...

Bevor ich mich nun in den wohlverdienten Urlaub (übrigens der erste seit zwei Jah...aber ich glaube, ich erwähnte es bereits...) begebe, möchte ich Ihnen noch ein Video präsentieren, über das ich heute im Zuge einer Diskussion in einem Forum stolperte. Sammy Davis Jr. trat ein Jahr vor seinem Tod im Jahre 1990 in der Lateshow von David Letterman auf und ich darf den Begleittext des Videos zitieren:

Probably Sammy Davis, Jr.'s last TV performance. He died of throat cancer about a year later. At the end, he tells Paul Shaffer "No rehearsal. See--better!" This explains the very light touch by the band until the tempo changes--they've never played with this man before, and he's a legend among legends! But when they hit the groove, they all swing.

Es gibt sicherlich Videos mit legendäreren Auftritten Davis', aber seine Ausstrahlung, sein Lachen, seine physisch spürbare Größe und Güte hat mich heute glatt umgehauen. Zum Heulen großartig.



13.12.2007

Jud Returns

Sieben Jahre nach ihrem letzten Album "Perfect Life" haben sich Jud wieder zusammengerauft. Unter der Webadresse www.judtv.com kann man bereits das neue, wütende, höchst energische "Drained" hören. Die CD namens "Sufferboy" erscheint voraussichtlich im Frühjahr 2008.

Reunions ja bitte grundlegend und allesamt an den höchsten Baum, aber ich freue mich trotzdem mal ganz dolle. 

Und "Drained" kann alles. So.