27.11.2021

A Walk in My Atomic Garden - Platz 13: Bad Religion - The Dissent Of Man


BAD RELIGION - THE DISSENT OF MAN


Es gibt im Großen und Ganzen selten wirkliche Überraschungen, wenn es um Platzierungen im Sinne einer Reihenfolge für Alben von Bad Religion geht. "The Dissent Of Man" findet sich beispielsweise bei den allermeisten Fans stets im unteren Drittel der Diskografie wieder, und ich sehe nicht, was ich mit meiner Auswahl daran ändern könnte - dafür lassen alleine die Klassiker aus den 1980er und 1990er Jahren so oder so nur wenig Spielraum. Aber auch ohne den ausschweifenden Blick über das verdorrte Tal der Nostalgie hat das Album einen schweren Stand.  

Im Veröffentlichungsjahr 2010 war "The Dissent Of Man" nicht gut genug für mich. Möglicherweise hat mich die Platte damals in einer Phase erwischt, in der ich soweit von Punkrock entfernt war wie LalaLaschet von einem zweistelligen IQ, vielleicht erschien mir das alles aufs erste Hör' als zu schalala und tralala, vielleicht habe ich "Wrong Way Kids" gehört und mich wegen der unsagbar peinlichen Chöre vollgekotzt, ich weiß es nicht mehr. In den vergangenen zwölf Monaten vertiefte sich die Auseinandersetzung mit dieser Platte indes, und meine Aversion ist seither auf ein unerwartet niedriges Niveau geschrumpft. Möglicherweise bin ich andererseits mittlerweile auch einfach so angeschimmelt und weichgespült, dass mir nicht mal eine Deppenrock-Frechheit wie "Cyanide" oder bräsiger Mittneunziger-Collegerock wie "I Won't Say Anything" die Laune verhageln können. 

Was "The Dissent Of Man" im Jahr 2021 vermutlich in erster Linie für mich rettet, ist eine gefühlte Qualitätsglättung: die Tiefen sind nicht ganz so tief wie es beispielsweise bei "Age Of Unreason" der Fall ist, die Höhen schnuppern dafür ein bisschen dringlicher am eigenen Klassikerkanon - "Avalon" und "Only Rain" reihen sich wie selbstverständlich in die lange Liste herausragender Songs dieser Band ein - und "die Midde" (Birne) ist eben genau da: in der Mitte, über weite Strecken vereint mit dem Großteil ihres Oevres nach 2001. 

Geht schlechter. Besser aber leider auch.


   


Erschienen auf Epitaph, 2010.   

12.11.2021

A Walk in My Atomic Garden - Platz 14: Bad Religion - Age Of Unreason


BAD RELIGION - AGE OF UNREASON


Meine früheren Bewertungen für jene Bad Religion-Alben, die nach "No Substance" erschienen, waren erstens nicht immer schmeichelhaft und zweitens - das weiß ich jetzt - vielleicht auch nicht immer akkurat. Oder fair. Ich bin Emotionshörer, ein recht volatiler noch dazu, und manchmal grätscht mir irgendwas Herbeihalluziniertes die "Gude Laune!" (Väth) weg, ich rede/denke mich in Rage, alles ist verdammt, wir warten apathisch auf den Untergang, Fleischsalat aus der Dose, Mutti ist in Rente, schlimm, schlimm, schlimm. Mal bleiben solch vernichtenden Urteile Jahre und gar Jahrzehnte unangetastet und wie der zusammengerollte Hunni im Kokshäufchen stehen, manchmal sieht man mich aber auch hektisch zurückrudern. In Sack und Asche, weil ich ein Kanisterkopp bin, pardon, sorry, kommt nicht wieder vor. 

Es gibt einige Platten, über die hier noch zu schreiben sein wird, bei denen ich heute weiß, dass ich zu streng und/oder zu doof war. Muss ich anerkennen. An dieser Stelle darf die große Einlaufwelle nun endlich den Badestrand erreichen: "Age Of Unreason" ist keine solche Platte, und solange das Wachkoma mich nicht schnappt, wird sich daran auch mit sehr großer Sicherheit nichts mehr ändern. Aus mir völlig unerklärlichen Gründen finden selbst langjährige Fans, "Age Of Unreason" sei endlich der "langersehnte Befreiungsschlag", eine Rückkehr zu "alter Größe" - und das alleine macht die Platte fast noch ein bisschen ärgerlicher. Nicht, dass es hierfür noch zusätzliche Unterstützung bräuchte, denn die Sammlung von wirklich kaum zu ertragenden Schunkelrocksongs mit einem manchmal erschütternd tattrigen Greg Graffin und einer höchst diskussionswürdigen, weil mumpfigen Produktion ohne jeden Biss sind schon schlimm genug. 

Aber dass diese windelweiche und karobehemdete Gaslightanthemisierung des Punk Rock mittlerweile die Köpfe derart verklebt zu haben scheint, durch und durch entsetzliche Offenbarungseide wie "Candidate" oder "Downfall", zu denen sich Dieter Thomas Heck die obligatorischen sechs Aquavit noch vor seiner Moderation der ZDF-Hitparade über die eigene Dauerwelle gekotzt hätte, fröhlich nickend durchzuwinken, macht mich auch an den Tagen zwischen den Tagen einigermaßen fassungslos. 

Immerhin, und das soll nicht verschwiegen werden: vier Songs ("Chaos From Within", "The Approach", "Old Regime" und der Titelsong) werden sich künftig auf der Florian'schen "Best Of Bad Religion"-Playlist wiederfinden. Ich bin möglicherweise manchmal ein Blödmann, aber ja auch kein Unmensch.

 


Erschienen auf Epitaph, 2019.



05.11.2021

A Walk in My Atomic Garden - Platz 15: Bad Religion - The New America



BAD RELIGION - THE NEW AMERICA


Nach der katastrophalen Bruchlandung mit "No Substance" zeigte sich die Band mit dem Nachfolger "The New America" wieder etwas besser in Form, trotzdem reicht es für das im Jahr 2000 erschienene Album nicht für eine bessere Platzierung. Zum dritten Mal fand man sich ohne Gründungsmitglied und Fels in der Songwriting-Brandung Brett Gurewitz im Studio wieder und kam mittlerweile strenggenommen im Arsch des Corporate Punkrocks an. Ich kann aus eigener Erfahrung anerkennen, dass die Platte im entsprechenden Setting, beispielsweise als 23-jähriger frisch verliebter Blödmann im Hochsommer des Jahres 2000 zwischen Alkohol, Weed, Sex und Endorphin-Feuerwerk im knallorangenen Opel Corsa mit heruntergelassenen Hosen Fenstern und Sonnenbrille auf der Nase, an der ein oder anderen Stelle selbst die niedersten und hier leider recht zahlreich anzutreffenden 4/4-Takt-Schunkler vergessen machen kann, und erinnere mich mit verklärtem Blick und leicht dümmlichen Grinsen an wochenendliche Autobahnfahrten zur Herzallerliebsten nach Nürnberg (160, linke Spur, alle Fenster unten, CD-Lautstärke auf Atomkrieg), und an wildes Lenkradgetrommel, Windschutzscheibenangesinge und Fahrersitzgepoge. 

Aber spätestens Anfang Oktober wollte ich diesen bräsigen Hängemattenpunk eigentlich nie wieder hören müssen.


   


Erschienen auf Sony Music Entertainment, 2000. 


02.11.2021

A Walk in My Atomic Garden - Platz 16: Bad Religion - Into The Unknown


BAD RELIGION - INTO THE UNKNOWN


Das echte schwarze Schaf der Diskografie, denn "No Substance" ist zwar scheiße, aber "Into The Unknown" ist nicht Bad Religion. Nach dem noch sehr schroffen Debutalbum "How Could Hell Be Any Worse?" schlug die Band kurze Zeit später eine komplett andere musikalische Richtung ein und versuchte sich an einer Art Progressive Rock mit Akustikgitarren und Keyboards; "if Hüsker Dü and Genesis made a baby" ist ein sehr treffender Kommentar, und wenn man noch die Titelmelodie von "Na Sowas?!" aus den Untiefen der deutschen Fernsehunterhaltung der 1980er Jahre als zusätzlichen Vergleich in Spiel bringt, weiß man ziemlich gut, wie "Into The Unknown" klingt. 

Der Mumpitz ging natürlich kolossal nach hinten los: Nach dem überraschenden Erfolg des Debuts, das sich über 10000 Mal innerhalb eines Jahres verkaufte, stand die Band beim ersten Konzert nach dem Release von "Into The Unknown" gerade mal einem Dutzend Zuschauern gegenüber, bekam die ausgelieferten Platten gleich kistenweise wieder retourniert, verlor ihren Bassisten Jay Bentley und Schlagzeuger Pete Flintstone im Streit über den Richtungswechsel - und löste sich nach der Tour zunächst für 2 Jahre auf. Natürlich ist es fast 40 Jahre später ziemlich edgy, selbst diesem doch sehr zähen Geklimper etwas Positives abgewinnen zu können, und ich bin nicht selten gerade jenen Platten einer Band-Diskografie zugetan, die im kollektiven Bewusstsein der Fangemeinde besser im achtfach gesicherten Giftschrank verrotten sollten, aber ich kann damit in diesem Fall nicht dienen: das ist unabhängig vom Schock des Stilwechsels einfach keine gute Platte. "Into The Unknown" ist orientierungslos, unausgereift und einfach auch wirklich stinkend langweilig. 

Zwei Jahre nach diesem Blackout hatten Gurewitz und Graffin jedenfalls wieder alle Latten am Zaun, Flintstone und Bentley kamen zurück, Greg Hetson stieß als zweiter Gitarrist dazu. Es folgt ein Köpper ins mit toten Seelen gefüllte Phrasenschwein des Musikjournalismus: "Der Rest ist Geschichte."


    


Erschienen auf Epitaph, 1983.