31.05.2011

Unaufhörlich

GIDEON VAN GELDER - PERPETUAL

Es ist gar nicht mehr so leicht heraus zu finden, warum "Perpetual", das Solodebut des Pianisten Gideon van Gelder, es nicht in meine Top 20-Liste des vergangenen Jahres schaffte. Ich erinnere mich daran, dass ich es gerne und ausführlich hörte und das, obwohl 2010 grundlegend nicht als "Florians Jahr des Jazz" in die Geschichte eingehen wird. Und auch wenn außerdem fantastische Musik veröffentlicht wurde, im Nachgang hätte "Perpetual" durchaus und wenigstens in der "Nachzügler"-Reihe erscheinen müssen.

Aufmerksam wurde ich auf den Niederländer erstmals durch seine Arbeit mit dem britischen Soul-Sänger José James, in dessen Liveband van Gelder seit einigen Jahren spielt und mit dem er außerdem das "Blackmagic"-Album aufnahm. Im Soul-Korsett von James passt van Gelder sich sehr genau ein und folgt den Songs eher, als dass er sie prägt. Was dennoch heraussticht ist viel mehr sein warmer Ton und sein Einfühlungsvermögen, ganz besonders in den sensitiven Momenten von "Blackmagic". Was übrigens auch eine ganz großartige Platte wäre - wäre sie nur 30 Minuten kürzer. Mehr dazu vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt.

"Perpetual" ist eine zeitgenössische, urbane Jazzplatte geworden. Der Einstieg mit "Wave" gerät zu einer stilistischen Vorankündig des gesamten Werks: van Gelders Kompositionen spielen mit Dynamiken und Ebenen, der wortlose Gesang von Becca Stevens ist selbst in Momenten vollständiger Gleichheit von Ton und -höhe Fixpunkt und Schleifpapier in einem. "Wave" wird gekrönt von gleich mehreren wilden Ausbrüchen, die aber seltsamerweise immer im Bereich dessen bleiben, was die Basis des Songs vorgibt. Einsame Spitzen und bodenlose Täler sucht man vergebens, die Band präsentiert sich äußerst kompakt, symmetrisch und balanciert auf dieser dünnen Linie, die "unspektakulär" und "songdienlich" voneinander trennt. Nein, viel Luft zum Atmen bleibt ihnen tatsächlich nicht. Was möglicherweise der einzige kleine Wermutstropfen an "Perpetual" ist.

Wahnwitzig freies Spiel darf man also nicht erwarten, eher durchkomponierte Songs mit überraschend großem Wiedererkennungswert und straff strukturierte Arrangements.
"Glow" ist diesbezüglich fast schon bis zum ätherischen Hauch reduziert, dabei gleichzeitig distanziert und intim. Und während die Coverversion von Joe Hendersons "Inner Urge" den Blick auf den swingenden Unterschied zwischen "Perpetual" und den Klassikern im Jazz-Kanon preisgibt, nämlich dass die 60er am Ende des Tages doch etwas luftdurchlässiger waren, hauchen "Lullaby" und "Arctic Queen" den soulig-smoothen und zeitgleich melancholischen Vibe einer zerrissenen Generation aus, der eine neue Ernsthaftigkeit ganz gut zu Gesicht stünde. Und ich hätte nichts dagegen, wenn die jungen Musiker, die - das sei nochmal ausdrücklich erwähnt - eine tolle, kompakte, und leidenschaftliche Platte eingespielt haben, den teils aufblitzenden Schwermut auf "Perpetual" in etwas mehr Risiko und Mut umwandeln würden.

Erschienen auf Kindred Spirits, 2010.

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