Jackie McLean - 'Bout Soul
Es kostete mich einigen Schweiß - und ganz nebenbei auch noch ein paar Euros: Jackie McLeans "'Bout Soul"-Album wurde bisher noch nicht im Rahmen der Rudy van Gelder-Re-Issue-Serie wiederveröffentlicht, sodass ich auf einen LP-Import aus den USA angewiesen war. Und wo ich schonmal die amerikanische Wirtschaft ankurbeln sollte - der Dow Jones stieg tatsächlich am Tag meiner Überweisung um exakte 3,2% - dachte sich der Weltgeist: dann soll auch der deutsche Zoll noch sein Glück auf dem Rücken meines Kontos finden. Und zack, nochmals herzlichen Dank dafür. Ich nehme übrigens ab sofort Wetten hinsichtlich des Release-Datums der dann für 8,99 € feilgebotenen CD-Wiederveröffentlichung entgegen, es kann sich jetzt wirklich nur noch um Tage handeln.
Genug genörgelt. "'Bout Soul", aufgenommen in den den van Gelder-Studios am 8.September 1967, ist die vorletzte Session McLeans für das Blue Note Label, bevor er die Company nach der fantastischen "Demon's Dance" vom 22.Dezember desselben Jahres verließ.
McLean begann schon in den frühen sechziger Jahren damit, sich in freien Gefilden um zuschauen, wohl unter dem Einfluss von Coleman einerseits (mit dem er auch später noch die "New And Old Gospel"-Session spielen sollte) und seiner damaligen Line-Ups andererseits. Besonders seine Arbeiten mit dem auf diesem Blog schon mehrfach erwähnten Posaunisten Grachan Moncur III - und hier vor allem in Kombination mit Bobby Hutcherson und Tony Williams - hatten in erster Linie hinsichtlich der Strukturen und Stimmungen die Nase in vielfacher Weise vorne, beziehungsweise oben. In diesem Zusammenhang sei auch auf die vor kurzem wiederveröffentlichte Aufnahme "One Step Beyond" aus dem Jahr 1963 hingewiesen, auf der McLean mit ebenjener Besetzung (am Bass spielt Eddie Khan) der Zeit schon meilenweit vorausgeeilt erscheint. Eine zähe, in manchen Passagen förmlich auseinanderfallende Platte, die mindestens so rätselhaft flackert wie "'Bout Soul". Auch hier findet man alte Bekannte: Moncur ist dabei, dazu gibt es den großartigen Woody Shaw an der Trompete, Lamont Johnson am Piano, Scott Holt am Bass und den unvergleichlichen Rashied Ali an den Drums. Es wäre sicher spannend zu erfahren, ob McLean besonders durch Alis Arbeiten mit Coltrane auf dessen späteren Alben auf den Drummer aufmerksam wurde. In den Linernotes lässt sich Jackie lediglich zu einem "[Ali is] especially interested in immediate improvisation and that's why he was perfect for that date. He can let himself go and can be continually inventive." hinreißen.
Das Album hat auf mich eine mystische, kaum greifbare Faszination. Dabei ist "kaum greifbar" durchaus wörtlich zu nehmen: das Sextett ist irrsinnig schnell, nicht nur in seinen Sprüngen und Brüchen, sondern auch in den wendigen Themen, in seinen Andeutungen und Umrissen. So schnell, dass die Stücke wie vom Teufel getrieben an mir vorbei flitzen. Eine zerfledderte Grachan Moncur-Komposition eröffnet den Reigen, und "Soul" ist ein immer wieder von Barbara Simmons Gedichtrezitation diagonal durchkreuztes Stück Soul-Free-Jazz. Im Thema und im Klang durchaus Moncur-typisch in der Tradition verwurzelt, geht es aber hinsichtlich der Struktur und des gesamten Arrangements sogar weit über das hinaus, was ich "frei" nennen würde. Das Stück macht mich an schwachen Tagen fast wahnsinnig: es swingt an den unmöglichsten Stellen, es bricht abrupt ab, meist just in den Momenten, in denen man der Illusion erlegen ist, einen kleinen Strohhalm ergattert zu haben. Dazwischen jauchzt Simmons ihr eigens für Jackie McLean geschriebenes Gedicht und geht dabei immer wieder schöne Verbindungen und Ausbrüche mit der Musik ein.
Die beiden folgenden Tunes "Conversion Point" (von McLean) und "Big Ben's Voice" (von Lament Johnson) haben sich über die letzten Monate zu meinen Favoriten entwickelt. Vor allem erstgenanntes, laut Jackie der Ursprung für ihre hier praktizierte Art der Improvisation, ist für mich tatsächlich eine Art Blaupause für seine Musik in den Sechzigern: frei und wild, immer auf der Suche, niemals stillstehend, immer weiter dei energetischen und tonalen Grenzen auslotend, verflixt schnell und sehr einig: wie ein Zirkel, der alle Musiker umschließt, der ihnen Sicherheit und Freude schenkt. Aber auch die Lament Johnson-Kompositionen (es folgt später noch sein "Erdu") und Scotty Hills Tribut an Nicky Hill, einen Saxofonisten aus Chicago, und John Coltrane, der nur gut sechs Wochen vor den Aufnahmen verstarb, das balladeske "Dear Nick, Dear John", fügen sich nahtlos in die gebündelte Aura dieses Albums ein. Und ich muss an dieser Stelle unbedingt nochmal Rashied Ali erwähnen: was macht der Mann da eigentlich mit seiner Bassdrum? Die Fußmaschine muss nach den Aufnahmen geglüht haben...
Es ist oft die Rede davon, dass man sich der Musik auf "'Bout Soul" öffnen müsse, um sie an sich heran zu lassen. Ich glaube, ich kann das bestätigen. Es fällt nicht unbedingt leicht, eine Verbindung zu ihren Songs und ihrem Ansatz zu finden, dafür sind beide Elemente schlicht zu vielschichtig, zu unkonventionell. Ich kam dahinter, als ich versuchte, hinter die Musik zu blicken, die Vision zu sehen, die Verbundenheit der Musiker zu spüren und zuletzt als ich mich ihnen einfach ergab: ich will das jetzt nicht mehr ausdiskutieren...trampelt bitte einfach nur über mich drüber, 's tritt sich schon fest.
"'Bout Soul" von Jackie McLean ist 1967 auf Blue Note Records erschienen.