13.10.2019

Die Heavy Metal Ursuppe (3)


THE YEAR THRASH BROKE (AGAIN)


2019 ist das Jahr der Thrash und Death Metal-Comebacks. Das gilt besonders für jene Fälle, in welchen wir über die Veröffentlichung neuer Studioalben einer ganzen Reihe alter Kultbands sprechen, die über Dekaden hinweg eigentlich schon mausetot in der Kiste lagen und allerhöchstens für vereinzelte Liveshows reanimiert wurden. In dieser Hinsicht war der Status so mancher Kapelle indes nur schwer zu durchschauen: mal standen sie, mitunter im Original-Line-up und mit großspurigen Ankündigungen über geplante Aufnahmen und Tourneen, auf der Bühne, nur um im nächsten Augenblick wieder komplett vom Radar zu verschwinden. Ja, was denn nun?

Nun bin ich ja immerhin nicht komplett doof und habe genügend Imaginierungsvermögen, um mir die Lebensumstände eines ehemals semiprofessionellen Musikers vorzustellen, der mit seinen heute 50+ Jahren und dem bestenfalls erfolgten Abtauchen ins blanke Hobbymusizieren, schlechtestenfalls ins Familienleben mit 9-to-5 Job, in Sachen Karriereplanung vor anderen Herausforderungen stehen dürfte als noch in blühender Adoleszenz Ende der 1980er Jahre.

Dass es oftmals für nicht viel mehr reicht, als einmal kurz den Kopf in die angegammelte Brise zu stecken, die aus den Achselhöhlen des mittlerweile ergrauten und erbierbäuchten Publikums herausströmt, haben seit der vor gut 20 Jahren startenden Reunionwelle mehrere und im Rückblick eher unerfreuliche Comebackversuche von Bands gezeigt, die schneller wieder in der Versenkung verschwunden waren als die "We're back for good because we love our fans so much"-Ansagen in einem halbleeren Club verhallten. Und ganz allmählich fragt man sich abseits der immer noch aufkommenden bittersüß-verzweifelten Erinnerungen an vergangene Zeiten: was wollen die alten Klappergestelle eigentlich mit ihren ganzen Reunions? Metal ist heute erfolgreicher, als er es vielleicht jemals war, bon. Und die Möglichkeit, sich nebenbei einen Extra-Buck zu verdienen, ist unter heutigen Businessmaßstäben vermutlich erfolgsversprechender als noch vor 30 Jahren - will man also ein Stück vom Kuchen abhaben? Reich i.S.v. "Privatjet-Reich" wird man damit ja nun wirklich nicht. Oder wird immer noch auf den richtig großen Durchbruch gewartet, vulgo: gehofft? Oder ist es - haha, Riesenwitz: die Mischung aus simpler Lust, die alten Tage wieder aufleben zu lassen? Bevor Taschentücher gereicht werden müssen: ich hielte alle drei Optionen sowohl für denkbar, als auch für legitim.

In der Bewertung der Musik spielt das freilich keine Rolle. Oder vielleicht doch?

Wer 1988 in unerlösten Flammen stand und sich Frustration, Wut und Testosteron einen Weg an die Oberfläche suchen mussten, hatte ganz möglicherweise eine andere Herangehensweise, Musik zu komponieren als im Jahr 2019 mit 50 Jahren und der Verantwortung über zwei Jobs und drei Kinder. Ganz zu Schweigen von der technischen Weiterentwicklung, die stärker als je zuvor Kreativität fördert und ganz neue Kanäle öffnen kann. Wer würde angesichts solcher veränderten Voraussetzungen ernsthaft erwarten, die Musik unserer Röhrenjeans'n'Patronengut-Helden wäre 1988 eingefroren und just zum Mastering des neues Albums aufgetaut worden? Darf, soll oder muss man wirklich erwarten, auch im Jahr 2019 immer noch den gleichen Krempel von 1988 zu hören? Am Ende ist's vermutlich nur das Spiel mit der eigenen Erwartungshaltung, dem eigenen Leben nebst geistigem Horizont.

Problematisch wird's wenigstens in meinem Buch nur dann, wenn der besonders in Genres wie dem Speed, Thrash und Death Metal so immanent wichtige und prägende Vibe juveniler Durchgedrehtheit abhanden kam und entweder mit bräsiger Loggerpeder-Arroganz und/oder einem over-the-top-Soundmassaker ersetzt wurde. Ich kann viel aushalten. Ich gebe auf Schubladen und Genredefinitionen und -dogmen sehr viel weniger, als es mir so mancher andichten will. Aber mir fehlt bisweilen das Verständnis für laue Kompromisse und für Faulheit.

Die kommenden sechs Beispiele für Alben-Comebacks, die ich mir für diese Serie herausgefischt habe und die alle mit kleinen aber feinen Reviews bedacht werden, bilden für derlei Betrachtungen einen idealen Rahmen, denn eigentlich ist damit die volle Bandbreite abgedeckt. Und manchmal ist sogar noch Platz für die berühmten Zwischentöne.

Den Anfang machen Noctnurnus AD, eine Inkarnationen der legendären Death Metal Band Nocturnus, mit ihrem Comebackversuch "Paradox".




NOCTURNUS AD - PARADOX

Erster Grund für Herzoperationen bei Managern, Promotern und allen anderen Musikindustriemenschen: eine Band löst sich auf und macht danach mit unterschiedlichen Line-ups und sich ständig wechselnden Bandnamen weiter. Spätestens nach dem zweiten Wechsel wissen nur noch eingefleischte Superloyalo-Nerds wer hier eigentlich mitmischt, der Rest ist von derlei künstlerischer Exzentrik völlig überfordert und macht den Peter Lustig. Abschalten.

Über 26 Jahre hatte Gründungsmitglied und Drummer Mike Browning sein Nocturnus-Outfit abgeschaltet (von einer eher obskuren und ohne ihn stattfindenden Wiederbelebung zwischen 1999 und 2002 abgesehen, q.e.d.) und kehrt nun, natürlich unter erneut verändertem Namen und Line-up, zurück. "Paradox" schließt - und das ist in diesem Fall mehr als nur eine Floskel - nahtlos an das als Klassiker im Death Metal-Kanon verankerte "The Key" von 1990 an. Angefangen beim Cover-Artwork, über den Sound, den Einsatz schräger und origineller Keyboards fernab jedes Gothic Kitschs, manisch verspulten Gitarrenriffs, komplexen Songs bis hin zum textlichen Konzept ist hier selbst für die traditionell vergangenheitsfixierte Metalszene auf beinahe bizarre Weise die Zeit stehen geblieben. Das ist für einen kurzen Moment charmant, in der immanenten Verzweiflung aber auch ungesund traurig: wie sich die Band im Videoclip zum klar schwächsten Song des Albums "Apotheosis" in Billo-Sci-Fi-Umgebungen mit Billo-Überblendungen und Billo-Videoeffekten wie eine Horde "querschnittsgelähmter Faultiere" (Kalkofe) abmüht, schaut man sich besser gar nicht an. Oder eben doch.




Wer indes "The Key" und zu gleichen Teilen technischen wie kruden Old School Death Metal feiert und modernen Metal in all seinen uninspirierten, oberflächlichen, ranschmeißerischen, polierten Auswüchsen in weiten Teilen für einen Haufen festgekrustetes Elefantensperma hält, findet mit ein paar Metern Sicherheitsabstand sicher Spaß an "Paradox". Ich habe an solchen Platten mehr Freude als am gesamten Labelprogramm von Nuclear Blast.

Kann man sich neben die 1-Euro-Ammoniten vom Flohmarkt und die Inklusen von in Bernstein eingeschlossenen Insekten aus dem Paläozän ins Regal stellen und ab und zu melancholisch in der Hand wiegen.





Erschienen auf Profound Lore Records, 2019.

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