Der Sommer des Jahres 2019 im Hause Dreikommaviernull war nicht von der so sehnlich erhofften Beschwingtheit geprägt. Zunächst erlitt Anfang Juli unser Hund Fabbi einen Bandscheibenvorfall, der seine hintere Körperhälfte komplett lähmte. Unser Hund, ein Bündel an Lebenslust und -freude, war von einer Sekunde auf die andere Sekunde ein Pflegefall, der nicht mehr auf allen Vieren stehen, geschweige denn laufen konnte. Dank einer Spinalkatheteroperation bei Dr.Schrader in Hamburg hat er zwei Monate später vermutlich das gröbste überstanden: es ist nicht alles perfekt, aber Fabbi kann immerhin wieder laufen - wacklig und meist langsam, aber es reicht, um seine großen und kleinen Geschäfte in seinem Sossenheimer Kiez zu erledigen. Es reicht außerdem, mich an jedem Abend mittels auf den Arm gelegter Pfote darüber zu informieren, dass JETZT ein guter Zeitpunkt wäre, um mit seinem Plüschelefanten zu spielen. Es ist beeindruckend, wie wenig dieser Hund einen Shit gibt. Und wie stark sein Wille ist.
Wenn wir von Verletzungen und Willensstärke sprechen, müssen wir auch von unserer Katze Schnuffel sprechen. Man sagt Katzen ja so oder so nach, dass sie von einer ausgeprägten Zähigkeit durchs Leben getragen werden - und Schnuffel musste diesen Paragrafen im Katzen-Knigge wohl sehr genau studiert haben.
Schnuffel wurde vermutlich im April 1998 geboren und zog im Sommer 1999 bei Alina ein. Ich lernte ihn im Dezember des selben Jahres kennen, nachdem Alina und ich uns darauf einigen konnten, künftig gemeinsam durchs Leben zu gehen, und ich also erstmals die Wohnung in der Schmausengartenstraße im verschneiten Nürnberg betrat: ein juveniler Playboy im weißen Puff-Plüsch-Flausch, dominant und gerade im Begriff, sich seinen herbei halluzinierten Katzenthron in jedem der drei Zimmer zu schnitzen. Sein Fellkostüm war die Entsprechung zu Schulterpolstern in den 1980er Jahren: es machte ihn größer und mächtiger, fast erschien er ein wenig einschüchternd - wenn er denn in seinem Imposanzgehabe nicht mindestens genau so niedlich und leicht vetrottelt gewesen wäre. Unvergessen die Geschichte, als er sich in jungen Jahren unter ein Spannbettlaken quetschte und wir erstmals seine wirkliche Körpergröße sahen. War das immer noch Schnuffel oder eher ein kleines Nagetier von den Ufern der Nidda? Dennoch: man musste ihn ernst nehmen und ganz bestimmt mussten wir lernen, ihn zu lesen. Seine Geschwindigkeit im Austeilen von linken Haken war legendär, seine Stimmungsschwankungen waren gefürchtet, seine Hartnäckigkeit im Einfordern von Aufmerksamkeit machte beinahe den Einsatz eines Psychologen erforderlich. Sein Blick und die Stellung seiner Ohren verrieten viel, aber bei Weitem nicht alles. Subtilität in seinem Verhalten war Schnuffels große Stärke - und manchmal gar so stark ausgeprägt, dass man ohne jede Vorwarnung seine linke Hand verlor.
Kleini, seine Partnerin, wusste sich in solchen Momenten, ganz im Gegensatz zu Alina und mir, zu wehren. Manchmal sogar bis zum wochenendlichen Tiernotzarzteinsatz. Offensichtlich biss sie ihm eines Nachts beim Herumraufen mir nichts dir nichts in den Schwanz, was Schnuffel in bis dato völlig ungeahnter Weise zur Welt der Kommunikation mit Menschen brachte. Ich weiß, dass sich das nun übertrieben anhören mag, aber ich schwöre es beim Leben meiner Plattensammlung: als wir am Morgen die Schlafzimmertür öffneten, war er so aufgeregt und mitteilsam wie nie und es hätte gerade noch gefehlt, dass er uns das Telefon hinhält, natürlich mit der bereits eingetippten Telefonnummer der Tierklinik und schreit "EY! DIE HAT MIR IN DEN SCHWANZ GEBISSEN! RUFT DA SOFORT AN, DAS TUT WEH!"
Aber Kleini konnte Schnuffel auch das Gefühl geben, dass er der unumstrittene König ist. Schnuffel und Kleini waren seit Beginn unserer nun seit knapp 20 Jahre dauernden romantischen Beziehung immer da. Sie gingen mit uns durch dick und dünn, zogen mit uns von Stadt zu Stadt, von Wohnung zu Wohnung. Sie waren Teil von Raum und Zeit.
Kleini verließ dieses Gefüge im August 2016. Sie erkrankte plötzlich und eine schnell eingeleitete Diagnose ergab, dass es so plötzlich dann eben doch nicht war: in ihrem Körper wucherte ein Tumor, der es ihr unmöglich machte, ihr immer so heißgeliebtes Futter bei sich zu behalten. Damit verlor Schnuffel das, was in der Soziologie oft (i.S.v. nie) mit "gesundem Regulativ" gemeint ist: er verlor seine Sparingspartnerin, die Nähe, den Duft, die Liebe.
Schnuffel wurde krank.
Im Laufe des Jahres 2017 merkten wir, dass etwas nicht in Ordnung war. Er trank plötzlich überdurchschnittlich viel. Er verlor an Gewicht und die Auswahl seines Futters wurde zum Lotteriespiel: was am Montag gut und richtig war, war es am Dienstag plötzlich nicht mehr. Zugegeben, neu war das nicht. Ihn in seinen Futteransprüchen wählerisch zu nennen, wäre die Untertreibung des Jahrtausends, zumal er seit 2006 und zur Vermeidung einer Verstopfung täglich zwei Teelöffel Lactulose ins Futter gemischt bekam, was sicher nicht zur Futterakzeptanz beitrug. Trotzdem: er wurde alt, krank und er baute merklich ab. Der Tierarzt diagnostizierte eine Niereninsuffizienz, bei Katzen in hohem Alter keine Seltenheit, sondern oft der Anfang vom Ende. Er wurde unbeweglicher und hörte zuerst auf zu Spielen, dann stellte er die Körperhygiene ein. Im Februar dieses Jahres riefen wir nachts gar den Tiernotarzt und fürchteten, er hätte bereits seine Reise auf die andere Seite angetreten, aber nichts da: zwei Stunden später war von der Atemnot, der Kraftlosigkeit, dem glasigen Blick nichts mehr zu sehen. Schnuffel war wieder der Alte. Ein kauziger, gebrechlicher, wegen der Krankheit bisweilen streng muffelnder, aber lebendiger und liebender alter Kater, der unsere Nähe suchte und dankbar für jede Berührung und jedes Streicheln war.
Wir wussten, dass der Tag näher rücken würde, an dem wir für ihn eine Entscheidung treffen müssten - denn eines war klar: er würde es uns nicht so einfach machen und einschlafen. Aber diese Entscheidung ist man seinen Haustieren nach jahrelanger Gemeinschaft und all der Liebe wohl schuldig.
Schnuffel ist tot. Wir mussten ihn am Sonntag 8.September 2019 von uns gehen lassen.
Seitdem klingt selbst die Ruhe anders als sonst.
Wir lieben Dich, Schnuffel.
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