30.07.2018

Stone Cold Dub



SLY & ROBBIE, NILS PETTER MOLVAER, EIVIND AARSET & VLADISLAV DELAY - NORDUB


Glaubt man erst, wenn man es hört: die Jamaikanischen Dub-Kings Sly & Robbie, den besser informierten noch aus ihrer großen Phase mit der noch viel größeren Grace Jones bekannt, haben sich mit den norwegischen Trompeter Nils Petter Molvaer und dem Finnen Vladislav Delay zusammengetan - den letztgenannten kennen die noch besser informierten möglicherweise noch aus genau diesem Blog, der Delays Album "Whistleblower" vor 11 Jahren mal auf ein ziemlich weit gespanntes Hochplateau nagelte. Der Norweger Eivind Aarset bedient zusätzlich die Gitarre. 

Ich glaube es mittlerweile, und ich kann es bestätigen: das Hören dieser Musik hilft dem Verständnis tatsächlich nachhaltig auf die Sprünge. Was zunächst und mit viel Optimismus nach wenig mehr als einem Gimmick klingt, nach einer fixen Idee von cleveren Marketingmanagern halbgroßer Plattenfirmen, die aus der aufgespannten Exotik und der zu erwartenden Provokation der Pleistozän-Jazzer, die bereits bei Kamasi Washingtons "The Epic" einen deutlich wahrnehmbaren Engpass in der zerebralen Sauerstoffzufuhr erleiden mussten, einen kommerziell erfolgreichen "Szenediskurs" (Bushido, nach dem Schlaganfall) erwarten, blättert bei der aufmerksamen Auseinandersetzung mit "Nordub" zwar nicht im Handumdrehen, aber wenigstens kontinuierlich immer weiter ab. Die zunächst imaginierte Scharade löst sich am einfachsten, indem man die so liebgewonnenen Schubladen mit achtfachem Panzertape umwickelt und damit gar nicht in Versuchung kommt, die beiden Fixpunkte Dub und Jazz krampfhaft in die Hirnkamera zu halten und miteinander aufzulösen - das ist nicht immer einfach, weil beide Seiten sehr viel Aufmerksamkeit in dieser Musik einfordern, weniger drängelnd als selbstverständlich - aber durchaus getrennt vom Gegenüber und nur selten als eine echte Verbindung. Die Musiker lassen zur Unterstützung der angedachten Amalgamierung viel expandierenden Raum durch das Album fließen, ziehen die dichten Drum'n'Bass-Kaskaden aus Jamaika wie Kaugummi über Delays teils barock anmutende Avantgarde, lassen Molvaers Trompete einen tiefen Zug durch kristallklares und eiskaltes Wasser nehmen, durch Gebirgsketten und am Horizont diffundierende Wolken schrapnellen. Das ist vielleicht das beeindruckendste Merkmal dieser Platte: der Versuch, die hypnotisierende Kraft der Monotonie mit der neutralisierenden Macht der Klarheit und der Distanziertheit zu verbinden. Improvisation trifft auf eine geradewegs bodenlose Sturheit, freies Spiel auf Verdichtung im Bassgestrüpp.

Dabei hilft die Vogelperspektive: there is no dub, there is no jazz, there is no ambient. "Nordub" ist weniger Endstation als Entwicklung, mehr Mut als Zurückhaltung. Es erzählt mehr vom Forschen und Scheitern, weniger vom Interieur eines Refugiums für eine Horde Zyniker. Und ab genau jener Erkenntnis wird "Nordub" plötzlich interessanter als gedacht. 




Erschienen auf Okeh Records, 2018.


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