09.05.2015

Another Lesson In Violence




EXODUS - ANOTHER LESSON IN VIOLENCE


"I Love Heavy." (Paul Baloff)

Ich hatte es schon mal an anderer Stelle dieses Blogs erwähnt, dass ich Exodus beinahe immer eher so semigut fand. Zum einen komme ich mit den Stimmen der beiden langjährigen Sänger Steve "Zetro" Zouza und Rob Dukes ganz und gar nicht zurecht, dazu gab es immer wieder redneck'sche Patriotenaussetzer, "Support Our Troops"-Gepose und darüber hinaus mehr als nur ein schwaches Album - unvergessen in dieser Beziehung das bodenlose "Force Of Habit" Werk aus dem Jahr 1992, nach welchem dann auch sehr folgerichtig das vorläufige Karriereende eingeläutet wurde. Es ist wenigstens in meinem Buch einfach eine sehr unsympathische Band mit einem unangenehm großen Spritzer Selbstüberschätzung. Ich will die für gewöhnlich nicht sehen. Oder hören.

Und weil wir gerade dabei sind, was ich gar nicht so gerne mag und weil es außerdem inhaltlich so superangenehm hier hin passt: ich bin in der Regel auch kein großer Freund von Livealben. 

Womit genau jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, an dem wir zumindest für die nächsten Zeilen, das bisher geschriebene über den Haufen werfen sollten. Trotz meiner Aversion hat die Band drei dicke Steine bei mir im Brett - und diese dicken Steine heißen "Bonded By Blood", "Another Lesson In Violence" und vor allem, als verbindendes Element, Paul Baloff.

"Heavy must stay together, all others must die." (Paul Baloff)

Baloff war von etwa 1981 bis 1986 der Sänger der Truppe, bevor er wegen seines enormen Alkoholkonsums und der daraus resultierenden unprofessionellen Einstellung an die frische Luft gesetzt wurde. Baloff war es demnach auch, der das bereits 1984 aufgenommene und erst ein Jahr später veröffentlichte Exodus-Debut "Bonded By Blood" einsang - einer der ganz großen und legendären Genreklassiker. Gitarrist Rick Hunolt sagte mal, man habe in der Anfangsphase besonders die Entwicklungen in der Punk und Hardcoreszene aufgegriffen und sie zu Metal transformiert. Und Dead Kennedy Jello Biaffra fuhr Baloff sogar mal nach einem Konzert in seinem Auto nach Hause. Man kann diesen Einfluss des Punk auf "Bonded By Blood" noch erahnen, er zeigt sich ganz besonders in der aggressiven Stimmung und der grundlegenden Intensität des Albums. 

"Talk minus action equals nothing." (Paul Baloff)

Nachdem der zuvor bei Testament ausgestiegene Zetro ab dem zweiten Album "Pleasures Of The Flesh" am Mikro stand, die Band ab 1988 beziehungsweise 1990 sogar auf dem Major Capitol Records landete, und schwache Werke wie "Impact Is Immanent" und das erschütternd orientierungslose "Force Of Habit" das Tagelicht erblickten, die sowohl kommerziell als auch künstlerisch einem Offenbarungseid  gleichkamen, befand sich die Band, die sich darüber hinaus mit ernsten Drogenproblemen herumschlug, in einem zerstörerischen Treibsandszenario wieder - und knipste das Licht aus. 

"Give it up! This ain't no Arsenio Hall show, DESTROY SOMETHING!" (Paul Baloff)

Baloff, nach seiner Demissionierung zeitweise obdachlos und bis zum Hals in einem Misthaufen aus Drogen, Alkohol und Wahnsinn stehend, wurde nach der Auflösung seiner Nachfolgeband Piranha (das Demo produzierte übrigens ein gewisser James Hetfield; im Netz mit drei Klicks zu finden), im Jahr 1996 von Gitarrist Gary Holt kontaktiert, um Exodus wieder zum Leben zu erwecken. Baloff sagte sofort zu. "Another Lesson In Violence" ist, sieht man von der semioffiziellen DVD "Double Live Dynamo" ab, leider das einzige Zeugnis der neuerlichen Zusammenarbeit: die Band balancierte auch nach dem Comeback immer haarscharf an der Grenze zur spontanen Selbstentzündung entlang und es liegt vielleicht nicht nur am gleichen Anfangsbuchstaben des Nachnamens, dass das Gitarrenduo Hunolt/Holt den Beinamen "The H-Team" mit sich herumtrug. In Anlehnung an die Aerosmith-Staubsauger Perry und Tyler war auch von den "Toxic-Twins des Thrash" die Rede. Vor allem Hunolt, dem die Band auf einem späteren Album und nach dessen Ausstieg sogar den Song "Deathamphetamin" widmete, grub sich Mitte der 90er Jahre tief in die US-Techno und Raveszene ein, inklusive allem, was man sich in Pillen- und Pulverform in den Körper prügeln konnte. Dieses Kreuz hatte die Band also in die neue alte Inkarnation mit herübergeschleppt. Der andere Grund, warum Exodus kein Kapital aus der Reunion schlagen konnten, ist ein tragischer: nach allerlei Labeldiskussionen, die unter anderem dafür sorgten, dass der Vertrag mit Century Media aufgelöst wurde, was die Band erneut handlungsunfähig werden ließ, und einigen weiteren Versuchen, neue Songs zu schreiben, erlitt Paul Baloff einen Hirnschlag, an dem er kurze Zeit später im Krankenhaus von Oakland in Kalifornien starb. Die Folge: Exodus holten Zetro wieder in die Band und ersetzten ihn später durch Rob Dukes, der wiederum nach einigen Jahren von Zetro ersetzt wurde. 

"Just remember one thing: we couldn't do this shit without you guys. We would just be heavy without anybody to watch." (Paul Baloff)

"Another Lesson In Violence", aufgenommen im März 1997 im Torocadero Club in San Francisco ist für mich - genreübergreifend - eines der zehn besten Livealben aller Zeiten. Die Setlist besteht ausschließlich aus den königlichsten Songs des Thrash Metal, angefangen bei "Bonded By Blood", "A Lesson In Violence", "Exodus", "And Then There Were None", "Piranha", "Strike Of The Beast" bis hin zu "Pleasures Of The Flesh", einer atemberaubenden Version von "Seeds Of Hate" und dem alten Demoklassiker "Impaler", dessen Riffs der damalige Exodus-Gitarrist Kirk Hammet einst mit zu Metallica nahm. Der Sound der Liveaufnahme ist in seiner Breite und Dichte für die damalige Zeit eine Sensation - freilich wird man im Studio sicher den ein oder anderen Regler bedient haben, und ob Baloff, der auf der Bühne auch gerne mal seine Einsätze und Texte vergaß, die 70 Minuten tatsächlich so beeindruckend einwandfrei absolvierte, sei auch mit einem Fragezeichen versehen. Songs und Sound sind also herausragend. Das folgende Video von "A Lesson In Violence" (mit Machine Heads Rob Flynn als Gast) stammt von genau jenem Gig und ist neben zwei, drei weiteren Tracks irgendwie auf Youtube durchgesickert. Vielleicht hat Century Media ja irgendwann nochmal ein Einsehen und einigt sich mit der Band auf eine vollständige Veröffentlichung. 





Was "Another Lesson In Violence" indes zu einem echten Klassiker macht, ist die unbändige Energie eines Paul Baloff, der hörbar auf Hochtouren läuft und regelmäßig mit animalischen Schreien seiner eigenen Begeisterung Ausdruck verleiht. Der in Instrumentalparts aus dem Off "SO FUCKING HEAVY" oder wie vom wilden Affen gebissen "YEEEEEEEEAAAAAAAAAAAHHHHHHHHH" ins Mikro röhrt. Baloff war ein Wahnsinniger, nicht immer nur im besten Sinne, aber auf der Bühne katalpultierte ihn dieses positive Rowdytum trotz stimmlicher Unzulänglichkeiten in die Höhen der allergrößten Thrash-Shouter und -Entertainer. Alleine seine Ansagen, von denen ich in diesem Posting einige dokumentiere, sind hochunterhaltsam und passen in der Ausprägung eines asozialen Monsters mit Herz bestens zu der Backing-Band, die sich gleichfalls in einen wahren Rausch spielt und die Rohheit ihrer Anfangstage bei aller Souveränität beibehalten hat. "Another Lesson In Violence" zeigt eine Band, die trotz des fortgeschrittenen Alters ihrer Mitglieder, in ihrer schieren Ausgelassenheit tatsächlich radikal und gefährlich wirkt. 

"This song is older than shit, heavier than time." (Paul Baloff)

Die neunziger Jahre waren kein gutes Jahrzehnt - weder für den Metal im Allgemeinen, noch für den Thrash Metal im Besonderen. Herausragende Momente nach 1992 sind rar gesäht - Sacred Reichs Spätwerk "Heal" aus dem Jahr 1995, oder Invocators "Weave The Apocalypse" von 1993 sind derer zwei - wer indes für die zweite Dekadenhälfte nach hochklassigem Thrash sucht, sollte sich ein paar Wochen Zeit nehmen, etwas relevantes zu finden. Oder man nimmt sich meine Ausführungen zu Herzen, investiert 15 Kröten für "Another Lesson In Violence" und erkennt nach dem ersten Durchgang, dass dieses Livealbum der Grabstein für ein Genre war, das sich trotz der eine Jahre später aufstrebenden jungen Wilden wie Municipal Waste, Gama Bomb oder Warbringer in den nuller Jahren aus künstlerischer Sicht bis heute nicht mehr von dem Niedergang in den frühen 90ern erholen sollte. 

Dass "Another Lesson In Violence" dabei ausschließlich Songs aus den achtziger Jahren präsentiert, darf man getrost als Beleg werten. Was es nicht besser macht. 

Aber verständlicher.


Erschienen auf Century Media, 1997.


Keine Kommentare: