24.02.2008

"Haste Schon Gehört?"


Auflistungen mit dem Titel "Beste Songs des Jahres" sind schon so immer einer Sache: meist lassen sich dort ja doch nur die vermeintlich besten Tracks aus den jeweils besten Alben des Jahres blicken, und das wirft schon ein wenig die Sinnfrage auf. Dennoch gab es zumindest in meiner Wahrnehmung dieses Jahr den ein oder anderen Tune, der auf diesem Blog bisher noch keine Erwähnung erfuhr, mir aber dennoch sehr oft durch den Gehörgang rauschte. So oft sogar, dass ich nicht umhinkomme, eine kleine Auswahl in meiner Bestenliste zu präsentieren.

Danach ist aber wirklich Schluss mit dem Listenkram, versprochen.



01 Apparat (feat. Raz Ohara) - Hold On (Chris De Luca Vs. Phon.O-Remix)
"Get Off"-Prince trifft "Sexy Back"-Timberlake. Muss man laut hören, am besten nachts um vier, mit klatschnassen Klamotten, auf der Tanzfläche. Hätte sowas wie der ultimative Sommerhit 07 werden können, und das nicht nur für meine geschätzten Leser.


02 Yoko Ono  - Every Man Every Woman
Jeder meiner selbst zusammengestellten Sampler des Jahres 2007 begann mit diesem Song: Yoko Ono hat für ihre aktuelle Platte "Yes, I'm A Witch" ihre teils bis zu 25 Jahre alten Songs von aktuellen Künstlern remixen lassen. Das einzige Element, das bleiben durfte, ist ihr Gesang. "Every Man Every Woman" verwandelte sich unter der Bearbeitung von Blow Up zu einem hippen, taufrischen Dancefloorstomper, der den Innovationswillen der Künstlerin eindrucksvoll untermauert. Ein beeindruckendes Statement.


03 Battles - Atlas
Das Lied der Schlümpfe in einer atemberaubenden Neufassung. Battles schaffen es seltsamerweise nie, mich mit ihren Alben zu überzeugen, aber "Atlas" ist ein großartiger, verwirrter, selbstbewusster Ohrwurm Deluxe.


04 Brazzaville - 1983
Wenn man die Definition von "Tolle, aber völlig untergegangene Platte" benötigt, sollte man "East L.A. Breeze" der Exil-Spanier Brazzaville etwas näher betrachten. Traumhafter, souveräner Indiepop, dazu mit "1983" einen Song im Köcher, der an endlos lange, weiße Sandstrände und mächtige, schattenspendende Palmen erinnert. Perfekt.


05 Gudrun Gut - Rock Bottom Riser
Auch über "Rock Bottom Riser" wurde meinserseits schon so einiges gesagt. Für mich ist die flirrende, leicht angeschrägte Coverversion des Smog-Songs das Highlight auf Gudruns Debut-LP "I Put A Record On". Landete ebenso auf praktisch jeder meiner Song-Zusammenstellungen des Jahres.


06 Black Rebel Motorcycle Club - Weapon Of Choice
Das Album "Baby 81" schlitterte haarscharf an meiner Top 20 vorbei, nichtsdestotrotz lassen sich auf dem nunmehr vierten Album einige saucoole, schnoddrige Songperlen finden. "Weapon Of Choice" ist nur ein Beispiel dafür.


07 Redshape - Alone On Mars
Mir ist Redshape bishweilen etwas zu direkt und straight, aber "Alone On Mars" entwickelt sich über knapp neun Minuten zu einem trippigen und treibenden Vorzeigetrack, der sich zwischen futuristischen Sci-Fi-Sounds und einer mystischen Schwebeästhetik entlang schlängelt. Genau dieser Gegensatz macht "Alone On Mars" so besonders und wertvoll.


08 David Judson Clemmons & The Fullbliss - Our Houses
Auch hier würde ich so langsam Eulen nach Athen tragen, würde ich nochmals auf die Größe von Clemmons aktueller scheibe "Yes Sir" hinweisen. Also machen wir's es kurz:"Our Houses" ist Melancholie in Vollendung, gespielt von einem, der ganz genau weiß, was er tut.


09 Claude VonStroke - Who's Afraid Of Detroit (Deepchord Remix)
Ein zusammengebrutzelter, knietiefer Technotrack, der sich herrlich reduziert durch ein im Nebel liegendes, 150 Quadratkilometer großes Maisfeld (in Downtown Detroit, natürlich) kämpft. Irgendwie verschwommen, urban und dunkel. Für zwölf Minuten und eine Handvoll Pillen.


10 Gui Boratto - Beautiful Life
Ich wiederhole mich, aber alles egal jetzt: "Beautiful Life" ist vertontes Zitroneneis mit Sahne. Ein strahlender, positiver, lebensbejahender Song, eine der absoluten Sternstunden des Jahres.


Und jetzt, auf zu neuen Ufern!


21.02.2008

Platz 1



Vladislav Delay - Whistleblower

Noch nie zuvor fiel mir die Wahl zum Album des Jahres so schwer wie in 2007. Ich schreibe das nur schonmal vorab, um ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie rastlos ich in den letzten Tagen mit dieser Frage umging. Theoretisch hätte 2007 zwei erste Plätze verdient gehabt, aber praktisch ist das ja ein ziemliches Herumgeeiere, ein fauler Kompromiss. Also, Augen zu und durch.

Seit sage und schreibe März steht "Whistleblower" nun im CD-Wechsler, und die Frage, dieses bewundernswerte Album ins Regal zu stellen, stellte sich seitdem nicht ein einziges Mal. "I Saw A Polysexual" war vorab der Auslöser für meine Neugier auf diese Musik: seltsam gebrochene Beats, die eigentlich keine Beats waren, vielleicht ein Puls, aber eben doch eine Art Groove ergeben, wie ich ihn noch niemals zuvor hörte. Der endlos tiefdröhnende Bass, der seinen Platz wie ein König einnahm und die Vasallen in unterirdischen Minen dirigierte, drangsalierte, ja möglicherweise gar folterte. Und nach sieben Minuten verschmilzt dieser schemenhafte Geist aus Feuer, Glut und ätzendem Qualm in eine Figur aus Fleisch und Blut, plötzlich ist alles klar. Und wir wissen trotzdem nicht, wie der König das jetzt hingezaubert hat.

Man weiß sowieso so wenig.

Woher die teils gar nicht mal so unterschwellige Aggressivität in Delays Musik herkommt, beispielsweise. Der sich durch die überlangen Tracks (Delay benötigt für sieben Songs knappe 70 Minuten) ziehende Soundteppich, das Grundrauschen beruhigt die Musik eher, als dass er die Säbel rasseln lässt. Und dennoch kommen mir bisweilen Bilder in den Kopf, die nichts von Blümchensex bei Schwebemusik erzählen, sondern recht martialisch und kämpferisch erscheinen, die von harter Arbeit berichten. Ein sehr persönliches Erlebnis geschah im Frühjahr des letzten Jahres, als ich zu der Musik von "Whistleblower" in der warmen Badewanne hinwegdöste und in meinem Halbschlaf Bilder von kleinen Gestalten in einem menschlichen Körper entdeckte, die mit kleinen Spitzhacken und elektrischen Bohrern und anderen Gerätschaften Krebszellen abbauten und bekämpften. Hier manifestierte sich das weiter oben beschriebene Bild von Minenarbeitern in diesem Traum und auch wenn es sich für den ein oder anderen reichlich far-out anhören mag: das war eines der schönsten und wichtigsten Erlebnisse mit Musik der letzten 10 Jahre. Nicht nur aus diesem Grund ist Vladislav Delays "Whistleblower" für mich das strahlendste, großartigste Album des letzten Jahres, und eines der bemerkenswertesten Scheiben des bisherigen Jahrzehnts.

18.02.2008

Platz 2



The Sea And Cake - Everybody

Ich könnte The Sea And Cake gar nicht genug in den Himmel loben. Seitdem ich vor fünf Jahren zum ersten Mal Bekanntschaft mit der Musik des Quartetts machte, sind sie mir mehr als nur ans Herz gewachsen. Meine Einstiegsplatte hieß "Oui" und hatte mit "All The Photos" einen Song an Bord, der künftig stellvertretend für meine Verehrung stand. Nach vier langen Jahren Pause kehrte die Band aus Chicago im Mai dieses Jahres mit einem neuen Album zurück ins Rampenlicht. "Everybody" entpuppte sich nach der üblichen, kurzen Eingewöhnungszeit nicht nur als ungewöhnlich rockige Platte, sie stellt auch nahezu alles in den Schatten, was die Musiker in ihrer an Höhepunken sicher nicht armen Karriere veröffentlichten. Ihr Anspruch, in dem zugegebenermaßen begrenzten stilistischen Rahmen um die Fixpunkte Jazz, Indie und Pop, immer wieder die besten Songs aufzunehmen, die sie zur Zeit in der Lage sind zu schreiben, findet hier seine Vollendung. "Everybody" ist atmosphärisch geradezu beängstigend stimmig und bekam tatsächlich die schönsten, wärmsten, straightesten und zeitgleich vielschichtigsten Songs geschenkt, die je auf einer Sea And Cake Platte zu finden waren. Sänger Sam Prekop, der erneut mit seiner halb-lasziven, halb-schüchternen, gehauchten Stimme zu jeder Sekunde die passenden Worte und Melodien findet, betonte in Interviews zu "Everybody";"It's a rock album.". Was man eben in Sachen Rock von dieser Band erwarten kann.

Als ich kürzlich im Rahmen dieses Countdowns die Scheibe nochmal in den Player schob, um sicher zu gehen, dass ich hier auch bloß keinen Blödmist erzähle, waren Songs wie "Exact to Me" mit seinen perkussiven, afrikanisch-angehauchten Gitarrenfiguren, die laue Sommerabend-Hymne "Middlenight" und der unbeschwerte, lebensfrohe Opener "Up On Crutches" um ein Haar dafür verantwortlich, dass "Everybody" mit meiner eigentlich gesetzten Nummer eins die Plätze tauschte. Mir geht immer das Herz auf, wenn ich diese durch und durch fantastische Platte höre.

Hört mehr The Sea And Cake!

14.02.2008

Platz 3



Seaworthy - Map In Hand

Eine der großen Entdeckungen des Jahres 2007. Ein musikalischer Balsam, der sich über jede Nervenbahn deines Körpers legt, streichelnd und zärtlich. Und das mit minimalstem Aufwand, möchte man meinen: das australische Trio hat im Grunde lediglich rings um hin- und herwogende Fieldrecordings, sowie Natur- und Windgeräusche spartanische Bambushütten aus dürren Gitarrenimprovisationen und surrenden Feedbacks erbaut, das war's. Das Ergebnis hingegen ist so erfüllend, so reich an Stimmungen und Gefühlen und geradezu überschwenglich bildhaft, wie man es von der beschriebenen Methodik gar nicht recht erwarten möchte. "Map In Hand" fließt unaufhaltsam, geradezu sirupartig zur Körpermitte und entfaltet hier seine heilende Kraft, seine schützende Wärme. 'Natürliche Schönheit kommt von innen', lautete vor Jahren ein Werbeclaim eines Kosmetikherstellers, den man ohne Weiteres auch auf dieses wunderbare, leise Stückchen Musik anwenden könnte.

Es ist für mich immer wieder verblüffend, wie präsent diese eigentlich ätherische Musik ist, wie sie zu jeder Sekunde strahlt, wie intim sie werden kann, wie sie ohne ein Wort zu sagen Geschichten voller Liebe erzählt. Pure Poesie.

10.02.2008

Platz 4



Fennesz/Sakamoto - Cendre

Schon im Mai 2007 war klar, dass "Cendre" einen der vorderen Plätze meiner Jahrescharts einnehmen wird. Die zweite Kollaboration des japanischen Pianisten Ryuichi Sakamoto mit dem Elektronik-Minimalisten Christian Fennesz nach der gemeinsamen "Sala Santa Cecilia"-EP aus dem Jahre 2005 hat mich praktisch ab der ersten Sekunde an den Kopfhörer gefesselt. Es überrascht, wie sehr sich die Pianoarbeit Sakamotos und der hier zerrupft-noisige, da sanft fließende Fennesz'sche Klangteppich auf Augenhöhe begegenen, ohne jemals in einen eitlen Konkurrenzkampf um die Vorherrschaft ein zu treten. Mal tupft der Pianist seine Töne nur vage in das funkelnde Hintergrundsurren des Österreichers ("Kokoro", "Glow"), mal lässt er mit seiner linken Hand kleine Melodieminiaturen erkennen ("Haru"), die von Fennesz empfangen und in den Gesamtsound weitergeleitet werden. Das Ergebnis bleibt indes gleich: die beiden Künstler sprechen durchgängig eine Sprache, sie teilen eine Vision einer zutiefst melancholischen Musik, die meilenweit von Kitsch einerseits und Hoffnungslosigkeit andererseits entfernt ist. "Cendre" ist introspektiv, hört hinein, erkennt Schatten und will sie ausdrücklich nicht auflösen. "Cendre" will erstmal, dass Du sie überhaupt annimmst. Das ist der erste Schritt.


P.S. Und ist dieses Artwork von Jon Wozencroft nicht zum Schreien schön?


05.02.2008

Platz 5



Gudrun Gut - I Put A Record On

Jedesmal, wenn ich das Solodebut der Berlinerin Gudrun Gut auflege, fällt mir auf, was für ein elend starkes Album "I Put A Record On" ist. Vor allem atmosphärisch ist der Longplayer der blanke Wahnsinn. Die erste Single "Move Me" gibt mit Tango-Flair den Startschuss in eine schwüle, verschwitzt-flirrende Musik, die schwerelos durch wabbelndes Soundgesumme hindurchschwebt, über Clubbeats stolpert und mit Boogie-Woogie einen One Night Stand in einem Berliner Abrisshaus hat. Bei aller Vielseitigkeit der insgesamt elf Songs (darunter eine atemberaubende Coverversion des Smog-Songs "Rock Bottom Riser") behält Gudrun stets einen vibrierenden, flimmernden Großstadtvibe bei, ohne dabei penetrant den mittlerweile ärgerlichen Berlin-Hype zu bedienen. "I Put A Record On" ist stylish, dabei aber sympatisch und sehr natürlich. Ganz selbstverständlich geil.

02.02.2008

Platz 6



!!! - Myth Takes

Meine Sommerplatte 2007 kam von dem Musikerkollektiv !!! und selbst jetzt, im kalten und grauen Januar kommt einem beim Anhören von "Myth Takes" nur ein Bild in den Sinn: ein angesagter, stylischer und voller Club in einer heißen Julinacht, zuckende Leiber und das gute Gefühl, dass nichts, aber auch so rein gar nichts unsere Euphorie bremsen kann. Wir sind jung und wir leben. Und scheißrein: es geht uns gut.

Dass das legendäre WARP-Label seit einigen Jahren nicht nur einen weiterhin guten Riecher für elektronische und experimentelle Musik hat, sondern auch in Sachen Indierock expandiert, dürfte spätestens seit Maximo Park bekannt sein. !!! platzieren sich stilistisch zwischen Funk, Elektronica und ebenjenem Indierock, mit so manchem Querverweis zum Soul und zur Post-Punk Szene der frühen achtziger Jahre und deren "Anführern" The Talking Heads. Die drei Singles "Must Be The Moon", "Heart Of Hearts" und "Bend Over Beethoven" stechen zweifellos heraus, aber nicht nur jene Highlights sind frisch und sexy wie Sau: schon das Eröffnungsduo mit dem schrägen Opener und Titeltrack und dem hektisch-flirrenden "All My Heroes Are Weirdos" lässt mich in der formschönen Feinripp-Unterhose über sämtliche Tische wackeln und das prickelnde Bad im Schampus nehmen. Selbst Sven "Feierei" Väth wackelt und badet mit; er bezeichnete den Vorgänger "Louden Up Now" als eine seiner Lieblingsplatten. Das läuft zugegebenermaßen unter der Rubrik "Vermischtes & Triviales", zeigt aber auch, dass !!! nicht nur für Rockfans interessant sind, die den letzten Trentemöller-Schnarchsack "The Last Resort" hören und sich dabei sehr open-minded fühlen.

01.02.2008

Platz 7



Gui Boratto - Chromophobia

Der Mitschnitt vom Gui Boratto-Set auf der Kölner Kompakt-Labelparty war der Anfang vom Ende meines Widerstands gegen ein Genre, für das ich früheren Zeiten keinerlei Verständnis aufbringen konnte. Im Wortsinn. Aber das...eine extatische, mitreißende Musik, die mich ab der ersten Sekunde mit positiv geladenen Teilchen beschoss und so hell und lebensbejahend wie drei Kugeln Zitroneneis bei 38°C schmeckte. Beim darauffolgenden Album "Chromophobia" war es dann ganz um mich geschehen, ich musste dem Techno "Guten Tag!" sagen.
Verblüffend, wie der Brasilianer eine Musik, die wahrlich nicht für den Tonträger gemacht wird, so lebhaft und spannend auf sage und schreibe 70 Minuten präsentiert, ohne dass einem, wie bei manch anderer Scheibe des Genres, die Füße einschlafen. Wo andere aufhören, fängt Boratto erst richtig an. Nicht nur die offensichtlichen Tanzflächenfeger "Terminal" "Mr.Decay" oder das absolute Highlight "Beautiful Life" treffen ins Schwarze, für mich sind insbesondere die ungewöhnlicheren Tracks wie das durch die Tiefsee tauchende "Acróstico", das aufgrund seiner geradezu opulenten Melodie haarscharf am Kitsch entlangschrammende, trotzdem subtil groovende "Xilo" oder der starke Titeltrack (Hypnose, verdammt!) die für dieses Album unverzichtbaren Helden, die letztendlich dafür verantwortlich sind, dass "Chromophobia" auch heute noch regelmäßig seine Runden im Player dreht. Ganz Außergewöhnlich.


29.01.2008

Platz 8



Xiu Xiu Larsen - ¿Spicchiology?

Ein klitzekleines bisschen geschwächelt hat sie im Jahresverlauf ja schon, die zweite Kollaboration der US-amerikanischen Avantgarde/Post-Pop-Band Xiu Xiu mit den Italienern von Larsen. Was zugegebenermaßen weniger an " ¿Spicchiology?", als an einer sehr starken zweiten Jahreshälfte lag. War das Album zur Jahresmitte sogar mal Anwärter auf den begehrten Thron, hat es sich nun immerhin noch souverän in den Top Ten platziert .

Das dunkel-schimmernde Werk ist sicherlich die zugänglichste Arbeit, die Xiu Xiu-Sänger und -Tausendsassa Jamie Stewart mit seinen Freunden bisher präsentierte. Auf Songbasis ist das wunderbare "Little Mouse Of The Favelas" das bestes Beispiel für diese Feststellung: ein verträumtes, flackerndes, engumschlungenes Duett Stewarts mit Xiu Xiu-Sidekick Caralee McElroy, das durchaus für mehr Aufsehen hätte sorgen dürfen, als lediglich unter einer Handvoll Connaisseuren heiß und innig geliebt zu werden. Die zweite Hälfte von "¿Spicchiology?" verlässt den Pfad der Versöhnung indes etwas und bietet besonders mit dem Ambient-Track "What About Dwarves?" und dem überlangen "The Tale Of Brother Cakes And Sugar Dust" (mit Klangschalen, Gongs und Akkordeon verfeinert) jene Art der Bewusstseinserweiterung, die man - wenn auch in weitaus schrofferer Form - von den frühen Xiu Xiu-Alben gewohnt ist. Vor allem letztgenannter Song ist der alles überstrahlende, sich unentwegt nach oben schraubende Schlusspunkt einer durch und durch sympatischen und famosen Platte.

24.01.2008

Platz 9



Frank Bretschneider - Rhythm

Ich begreife "Rhythm" mittlerweile für mich persönlich als wegweisend hinsichtlich meiner Aufnahme und Verarbeitung von elektronischer Musik. Der Berliner Künstler Frank Bretschneider verwebt auf seinem aktuellen Album mikroskopische elektroakustische Sounds zu einer Minimal-Matrix, detailliert und nackt zugleich. Zusammengeköchelt zu einer Essenz der Tanzmusik mehrerer Jahrzehnte, heruntergebrochen zu einer Miniatur der Beats, die trotzdem so clever eingesetzt werden, dass das Ergebnis groovt wie Hulle. "Rhythm" bietet höchst inspirierende, innovative und moderne elektronische Musik und hat seinen Platz in meinem Herzen schon sicher.


22.01.2008

Platz 10




David Judson Clemmons & The Fullbliss - Yes Sir

Wir steigen mit einem Album in die Top Ten 2007 ein, über das ich im Grunde nicht mehr viele Worte machen müsste. Bereits im Oktober des vergangenen Jahres schrieb ich einige Sätze über "Yes Sir" und lobte die Platte als die bisher vielleicht persönlichste Arbeit des Songwriters David Judson Clemmons mit seinen beiden langjährigen Freunden James Schmidt (Drums) und Jan Hampicke (Bass). Sicher, der Exil-Berliner ist einer meiner erklärten Lieblingsmusiker, aber auch ohne Fanboy-Brille ist sein drittes Werk unter dem Fullbliss-Banner ein originelles und intensives Singer/Songwriter-Album, das den Gitarristen vielleicht zum ersten Mal in seiner Karriere als wirklich vollständigen Künstler und gereifte Persönlichkeit präsentiert. Einen sonnigen Titel wie "Someday" oder das seiner Tochter gewidmete "The Miranda Song" hätte es vor drei Jahren sicherlich nicht auf einer seiner Platten gegeben, und "Red Hot Soul", eine heißblütige, tief unter die Haut gehende Sternstunde, hätte zu jener noch viel dunkler und verzweifelter geklungen. Ich bin sehr neugierig, ob David Judson Clemmons für seine künftigen Arbeiten "Yes Sir" als Neuanfang begreift, den hier mit dem großartigen "The Great Hereafter" liegen gelassenen Faden aufgreift und vielleicht noch den ein oder anderen Schritt weitergeht. Für den Moment gilt jedoch zweifelsfrei: "Yes Sir" ist das bis dato beste Fullbliss-Album. End of story.

21.01.2008

Platz 11 - Jessica Rylan - Interior Designs




JESSICA RYLAN - INTERIOR DESIGNS



Meine Metalphase hielt lange (im Grunde genommen: viel zu lange) an, die Indiephase ging spätestens 2005 den Bach 'runter, und ich stand (Achtung, Pathos!) vor den Scherben meines musikalischen Lebens. Alles Mist. Alles öder, kalkulierter Scheißdreck ohne Stil und Esprit, ohne den Funken einer Vision. Tumb und stumpf. Als Antidot macht man sich zunächst frei von der Maßgabe, "alles" kennen zu müssen, dann setzt man das Vorhaben in die Tat um und entscheidet, dass ein Interpol-Album in der Sammlung völlig ausreicht. Und dann sucht man nach etwas Neuem. Neue Musik, neue Sichtweisen, neue Ideen, neue Luft, neues Licht. Ich landete zunächst beim Jazz, dann bei elektronischer Musik. Und fand hier und da musikalische Wegweiser, die einem recht zuverlässig mitteilten, wenn etwas außergewöhnliches auf die Piste gerollt wurde. Ein solcher Wegweiser war 2007 die bereits erwähnte Geräuschmusik-Kolumne der Spex, durch die ich auch auf Jessica Rylans Quasi-Debut aufmerksam wurde. Unter dem Namen Can't veröffentlichte die Noise-Künstlerin aus Boston in den vergangenen Jahren zahlreiche LPs, CD-Rs und Tapes, bevor sie nun mit "Interior Designs" bei Important Records debutierte.

Rylans Musik ist schwer zu beschreiben: ihre selbstentworfenen und -zusammengebastelten Synthesizer knacken und blubbern in einem scheinbar abgeschlossenen System, das sie ihnen eigens für ihre Improvisation in genau diesem Moment auf den Leib schneiderte. Mit dieser Herangehensweise ist sie nicht wirklich weit vom Ansatz des Free Jazz entfernt, denn auch dort entsteht das Besondere im Moment des Spielens, symbiotisch und doch höchst individuell. Ich habe mich manches Mal gefragt, was mich dazu treibt, diese harsche Musik, die aufwühlt und pulsiert, immer wieder mit einiger Begeisterung auf zu legen; wo es doch eine auf den ersten Blick karge, öde und abweisende Landschaft ist, die hier präsentiert wird. Mich fasziniert die Vielschichtigkeit dieser Musik, die Anspannung und Dynamik, das seltsame Gefühl, dass hier tatsächlich ein Mensch durch Maschinen spricht und gar eins mit ihnen wird, und der vor allem im Titelstück hervortretende Humor, wenn Rylan über einen blassen und einlullenden Beat mit einer verstimmten Wandergitarre herumschrullt und damit die vorher in teils überlangen Tracks aufgebaute Spannung mit einem winzigen Grinsen auflöst. "Sometimes I do feel this psychic connection with machines", sagt sie. Ich glaube ihr.


Erschienen auf Important Records, 2007.

19.01.2008

Platz 12


VALET - BLOOD IS CLEAN

Fackeln an den Wänden, Hitze, Stimmen aus dem Off oder aus einer dreißig Meter tiefer gelegenen, verborgenen Kammer, Extase im Ritalinrausch: Honey Owens aus der Künstlerszene Portlands ist auf ihrem bei Kranky erschienenen Debutalbum "Blood Is Clean" die alles in ihren Händen haltende Voodoopriesterin mit Zusatzausbildung Schamanismus.

Auf freier Improvisation basierend, gleitet sie auf einem spirituellen Klangpolster durch unterirdische, in tiefes Rot getauchte Orte des Bewusstseins, der Katharsis, der Klarheit. "I wanted to be a medium, channeling sounds from an unknown place, opening up and spilling out on the computer tape", sagt Owens über ihre Vision für dieses spannende Stückchen Kunst. Hypnotisierend und einlullend auf der einen Seite, extatisch und losgelöst von jeder Struktur auf der anderen Seite schlägt Owens Brücken zur Mystik und Esoterik, lässt Flammen wild und unkontrolliert auflodern, vergräbt die Seele in eine ewige, warme und schmerzhafte Sinnsuche.

Höhepunkte des Trips: die stets nach vorne stolpernde, fantastische Gitarrenimprovisation im Titeltrack, das perkussive Meditationsmonstrum "Mystic Flood" und natürlich das eindringliche 13-Minuten-Epos "North".

Tame All The Lions, Tame All The Lions.






Erschienen auf Kranky, 2007.