11.12.2007

The Lips That Ate Nebraska



Es ist nicht von der Hand zu weisen: ich habe schon so einige musikalische Leichen im Keller, von denen ich mal mehr, mal weniger stark hoffe, dass sie niemals ans Tageslicht gezerrt werden. Meine Vorliebe für einige Hair Metal Bands der achtziger Jahre muss beispielsweise nicht unbedingt via eines Blogeintrags in die Öffentlichkeit hinausposaunt werden, das Faible für die Progressive Rock-Sensation Spock's Beard hingegen kann ich ruhigen Gewissens vertreten.

Ich könnte mir vorstellen, dass der ein oder andere Leser spätestens beim Begriff "Sensation" das Schmunzeln begann (so wie die jungen Leute von heute über die alten Leute von gestern schmunzeln, wenn herauskommt, dass die alten Säcke mal Nirvana für den heißesten Scheiß unter der Sonne hielten), aber die Band um Alleskönner Neal Morse war ab ihrem ersten Album "The Light" aus dem Jahre 1995 sowas wie die Lichtgestalt des bis dato gnadenlos am Boden liegenden Genres, und die folgenden vier Alben "Beware Of Darkness", "The Kindness Of Strangers", "Day For Night" und (mit kleinen Abstrichen) "V" zementierten diesen Status sogar noch mit Superkleber metertief ins Erdreich. Dabei waren Spock's Beard keine Innovatoren, eher Wiederentdecker. Allen voran entdeckte Songwriter Morse die alten Yes-, Genesis- und Gentle Giant-Platten wieder, besorgte sich eine Begleitband, die an guten Tagen alles und jeden an die Wand spielen konnte (und es gibt Stimmen, die besagen, dass Spocks's Beard bis ins Jahr 2001 hinein nicht einen einzigen schlechten Tag hatten) und schrieb Songs, die - Pardon für die Euphorie - schlicht zu gut waren, um wahr zu sein. Die größtenteils überlangen Kompositionen waren vollgestopft mit vertonten Sahnebonbonmelodien, die mir bis heute eine Gänsehaut bescheren. Die Band platzte förmlich vor Spielfreude; ihre demonstrative Lässigkeit und Unbeschwertheit hievten die Tracks auf eine Ebene, auf der einem nichts mehr anderes übrig blieb, als sich mit einem seeligen Lächeln im Gesicht zurück zu lehnen und sich einfach nur noch hin zu geben.

Die Frage nach dem stärksten Album der Band kann ich bis heute nicht beantworten, allerdings tendiere ich in letzter Zeit immer vehementer zur zweiten Veröffentlichung "Beware Of Darkness". Wenn ich heute noch eine Platte von ihnen auflege, ist es meistens jene aus dem Jahr 1996, und auch hier bleibe ich die definitve Antwort auf das "Warum?" schuldig. Vielleicht ist es der dunkle Charme des Titeltracks (eine George Harrisson-Coverversion) und des 17-minütigen Schlusspunkts "Time Has Come", vielleicht das unfassbar hoffnungsvolle "The Doorway", vielleicht aber auch die Übernummer "Walking On The Wind", bei dessen Liverperformance ich im Offenbacher MTW im Januar 1997 tatsächlich dachte, ich hätte nun das Licht gesehen. Und das möchte ich ausdrücklich nicht als Redewendung verstanden wissen, ich sah es tatsächlich.

Dass Neal Morse beim frühmorgendlichen Joggen eben jenes Licht sah und daraufhin die Band verließ ("And HE said to me: leave Spock's Beard!"), ist gemessen an der Qualität des letzten gemeinsamen, arg farblosen Konzeptalbums "Snow" (2002) zu verschmerzen. Dass es seitdem aber weder Spock's Beard noch Morse nicht einmal annährend schafften, die Magie des Bartes ein zu fangen, stimmt mich in schwachen Momenten dann doch so ein ganz klein bisschen traurig. Andererseits: ihre ersten fünf Studioalben bleiben so oder so - wenigstens für mich - unerreicht. Und das kann dann auch ruhig so bleiben.

"Beware Of Darkness" von Spock's Beard ist Im Jahr 1996 auf Inside Out erschienen.

09.12.2007

Sex, Sex, Sieben



LEELA JAMES - A CHANGE IS GONNA COME 


Da schlägt sie wieder gnadenlos zu, diese Ironie. An jeder Straßenecke ist es zu hören: seelenlos ist er, der heutige R'n'B. Eine aufgestylte Karikatur seiner selbst, Songs geschrieben von Nichtsnutzen, gesungen von Nixkönnern mit aufgespritzten Lippen, die für einen geilen, flimmernden Videoclip mit hotten Boys'n'Girls ihre Oma verkaufen würden. Und dann kommt eine 23-jährige Kalifornierin daher, setzt ausdrücklich auf den Soul und Funk der sechziger Jahre, lässt sich und ihre außergewöhnliche, minimal angerauhte Stimme von Produzenten wie Wyclef Jean und Kanye West in den wunderbarsten, smoothesten Vordergrund rücken, singt Soulballaden, dass es einem die Schuhe auszieht, bevor Du sie bei den lässig angefunkten Clubsounds von "Music" sowieso in die Ecke gefeuert hättest...und fast keinen juckt es. "A Change Is Gonna Come" von Leela James aus dem Sommer 2005 holte sich gerechterweise eine Journalisten(ver)ehrung nach der anderen ab, den großen Erfolg hatten andere. Vor allem Europa schunkelt sich nachwievor lieber zu Destiny's Child ins Deppennirwana.

Das einzige, was man Leela James und ihrem Debut vorwerfen kann, ist die - diplomatisch gesagt - unglückliche Wahl von No Doubts "Don't Speak" als Coverversion, das auf immer mein Skipkandidat dieses Albums bleiben wird. Was zugegebenermaßen eher am Original, als an Leelas Version liegt.

Hier ist der Videoclip zu der ersten Single "Music" aus dem Hause Youtube zu sehen.





"A Change Is Gonna Come" von Leela James ist im Jahre 2005 auf Warner erschienen.

07.12.2007

"It's Like Psychoanalysis"



Ein weiteres Album, das sich seit Monaten wacker in meiner Playlist hält, ist Bobby Hutchersons "Dialogue" aus dem Jahre 1965. Unterstützt von einer durchaus beachtlichen Begleitband (u.a. Freddie Hubbard, Andrew Hill, Joe chambers, Sam Rivers), meistert Hutcherson mühelos den sicher nicht zu unterschätzenden Ritt zwischen den Welten des Free Jazz und des Hard Bops und hält selbst in den freejazzigen, ausgefransten Momenten sein Ensemble beisammen, füttert es mit einem unüberhörbaren Zusammengehörigkeitsgefühl. Am deutlichsten kommt diese Gemeinschaft bei der Andrew Hill-Komposition "Les Noirs Marchant" zur Geltung: die spitzen, avantgardistischen Triebe Hills und Davis' werden von Hutchersons Vibraphon zwar nicht geglättet, aber eben doch in einen flüssigeren Kontext gebracht, der weitgehend nachvollziehbar bleibt. Auch im folgenden Titelsong spielt sich das Sextett nach ganz weit draußen, das Gefühl für den Dialog (da schau' her!) mit- und untereinander schießt aber nahezu niemals aus den Fugen. Die Joe Chambers-Komposition ist für mich neben dem fantastischen Opener "Catta" (Andrew Hill) der Höhepunkt der Platte. Ein ungewöhnliches, fast zehn Minuten langes Stück mit einer sehr freien, eigenwilligen Struktur und einem Hutcherson, der mit seinem puren, leicht zischelnd klingenden Vibraphon viel Raum für die Solisten schafft, die kurioserweise gar nicht solieren. Der Titel verfolgt tatsächlich die Idee von "No Solos", dafür vergraben sich sie Musiker förmlich in einem Geben und Nehmen, einem "One Mind"-Gedanken.

So zeigt sich auch an "Dialogue" zum wiederholten Male: die sechziger Jahre sind in Sachen Jazz Gold wert. Wenn eine 42 Jahre alte Platte auch im Jahr 2007 noch derart modern und zeitlos klingt, wenn man den Spirit dieser außergewöhnlichen Epoche noch so lebendig und intensiv in die heutige Zeit transportiert bekommt...es müssen wunderbare Jahre gewesen sein. Andrew Hill drückt es in den Liner Notes wie folgt aus:"It was just wonderful to be alive."


"Dialogue" von Bobby Hutcherson ist im Mai 1965 auf Blue Note erschienen.


04.12.2007

(Tapping)




Vielleicht wäre es doch eine Option, das Internet einfach komplett dicht zu machen. Mir kommt dieser eigentlich eher unschöne Gedanke meist dann in den Sinn, wenn ich Texte wie den folgenden lesen muss:

Die Musik der Band zeichnet sich durch das abwechslungsreiche Gitarrenspiel Dave Knudsons (Tapping) und viele elektronische Einflüsse aus. Abgesehen davon ist die Musik der Band auf einem recht hohen Niveau anzusiedeln. Minus the Bear sind für ihre unterhaltsamen Liedtitel bekannt, so trägt ein Lied des 2002 erschienen Albums Highly Refind Pirates den Titel „Monkey!!! Knife!!! Fight!!!“, was für den Zuhörer recht skurril ist. Auf dem zuletzt erschienen (sic!) Album Menos el Oso sind diese humorvollen Titel allerdings nicht mehr zu finden.

Aber ich muss es ja nicht lesen...

Jedenfalls: Der Auftritt von Minus The Bear, der Band mit dem angesiedelten Gitarrenspiel, dem abwechslungsreichen Niveau und dem hohen (Tapping) in der letzten Woche in Wiesbaden geriet eher lau, vor allem aber laut. Zu laut. Ich möchte sogar sagen: viel zu laut. Es ist schon schade, dass die zweifellos vorhandene Virtuosiät der Band in einem furchtbaren, schmerzenden Brei untergeht. Dass die Songs ihres Meisterwerks "Menos El Oso" aus dem Jahr 2005 bei den etwa 150 Besuchern mit Abstand die besten Reaktionen hervorriefen, während bei den Stücken ihres aktuellen Albums "Planet Of Ice" eher Zurückhaltung Trumpf war, beweist letztlich drei Dinge. Erstens: ich habe immer noch keinen Bock auf "Planet Of Ice" und habe nun auch noch einen guten Grund dafür, wo nicht dagegen, zweitens: "Menos El Oso" ist DAS Minus The Bear-Album, "Basta!"(G.Schröder) Und drittens: wenn eine Band, die sich hinsichtlich ihres Auftretens sichtlich darum bemüht, extrem schüchtern und bodenständig 'rüber zu kommen und sich mit nichts als einem praktisch nur dahingehauchten Queen-Mum-Gedächtniswinker von den Fans verabschiedet, dann eben doch locker drei Minuten als Rockstars feiern lässt, bevor sie nochmal zwei Zugaben spielt, dann finde ich es im besten Fall "amüsant", im schlimmsten Fall unsagbar öde.

Aber sonst war's eigentlich ganz gut.


30.11.2007

The Ruling Class Are Penguins



Mindestens einmal im Jahr erinnere ich mich daran, dass Warrior Soul die vielleicht großartigste Rockband aller Zeiten waren, und ich komme tagelang nicht ohne ihre Musik aus. Was meine Wenigkeit von ihren insgesamt fünf Studioalben hält, kann man getrost an anderer Stelle nachlesen, deshalb soll es hier und heute in erster Linie um ein Album gehen, das meine "Best of 2003"-Liste souverän anführte.

"Opium Hotel" ist das Solodebut des ehemaligen Warrior Soul-Frontmanns Kory Clarke und bevor der ein oder andere alte Fan der Band vor Überraschung ob der Existenz dieser Platte die Augenbrauen hochzieht und sich auf die Suche nach Downloadlinks macht: vielleicht vorher einen großen Schluck "Raffnix" trinken, oder eben gleich an den großen Schmerzmitteltabletten lutschen. "Opium Hotel" ist wahrhaft kaputt, ein schmieriger Putzlumpen, der mit einer Ladung Schrot durchlöchert wurde. Clarke lässt seinem Talent für Spoken Word-Performances und seiner Liebe zur Poesie alle Freiheiten, arbeitet mit zerfledderten Loops, wild herumwütenden, entrückten Beats, und nur auf den ersten Blick dilettantisch anmutenden Sounds, auf die er seine immer noch faszinierende Lyrik setzt. Gegen einen Brocken wie "Boom Ka Boom" klingt "Four More Years" von Warrior Souls Debutalbum "Last Decade, Dead Century" wie ein Kinderlied aus der Sesamstraße:

We are tortured by retardation
Lost freedom becomes Pepsi
broke
Raining smoke oil cloak
Elite walk on your corpses
enjoy
Nothing on corporate drugs
Folks farm sold no cash
for unconnected
Suspected terrorist soldiers
blind enemy


In meinem Interview mit Clarke aus dem Jahr 2006 fragte ich ihn, in welcher Stimmung er eigentlich gewesen sei, als er "Opium Hotel" aufnahm, und er antwortete:"Weißt du, es war so seltsam und verrückt in dieser Stadt [New York] zu sein, kurz nachdem die Anschläge von 11.September geschahen, und viele Songs von "Opium Hotel" wurden genau zu diesem Zeitpunkt geschrieben. Eine sehr furchteinflößende, schreckliche Zeit."

Ein ratlos machendes Album, das zwischen narkotisierter Resignation und verwirrter Wut umhertaumelt.


"Opium Hotel" von Kory Clarke ist im Jahre 2003 auf Cargo Records erschienen.

25.11.2007

Rebirthing


Die außergewöhnlichste Musik stammt nicht selten von Musikern, die abseits ihrer Homezone musizieren. Die sich nach einer möglicherweise erfolgreichen Karriere in einer großen, bekannten Band zurückzogen und ihren kreativen Geist in Gefilden Gassi führten, in denen sie sich (und vermutlich auch den alten Fans...) fremd waren. Als ich im Sommer des Jahres 2000 "Music To Be Born By" kennenlernte, verband ich mit dem Namen Mickey Hart nichts Außergewöhnliches. Mit großem Erstaunen fand ich erst viele Jahre später heraus, dass Hart einer der beiden Schlagzeuger von The Grateful Dead war, und "Music To Be Born By" ist nun alles andere als eine Platte, die man von einem ehemaligen Mitglied einer rocken- und rollenden Hippiekommune erwartet. Und gerade, als ich diese letzten Worte schrieb, fiel mir auf: vielleicht ist es EXAKT die Platte, die man von einem ehemaligen Mitglied einer rocken- und rollenden...

Um "Music To Be Born By" auf wenigstens einer Ebene in Gänze zu beschreiben, reicht das Zitat eines Amazon.com-Käufers, der seinem Unmut über das 1989 veröffentlichte Album mit folgenden Worten Ausdruck verlieh:"Pure crap! It's the same 10 notes over and over and over and over and over again for over an hour." Für so manchen dürfte das allein als Kaufanreiz ausreichen, aber ich bin so frei, noch einige Worte an zu fügen. Das tatsächlich über 70-minütige Stück wurde von Hart anlässlich der Geburt seines Sohnes Taro produziert und sollte dazu beitragen, die sterile Atmosphäre eines Krankenhauszimmers angenehmer, ruhiger und wärmer zu gestalten. Dazu nahm er den Herzschlag Taros im Mutterleib auf und fertigte daraus zusammen mit Bass, Flöte und einem brasilianischen Surdo einen hypnotischen, pulsierenden Dauer-Loop, der sich mit zunehmender Spielzeit immer tiefer in das Bewusstsein schleicht und von dort Geborgenheit und Sicherheit signalisiert. Ich selbst verwendete "Music To Be Born By" schon oft als Meditations- und Heilungsmusik und genieße die Kraft und die rot-strahlende Wärme, die von ihr ausgeht. Für mich sicherlich eine der wichtigsten Platten der letzten zehn Jahre.





"Music To Be Born By" von Mickey Hart ist im Jahre 1989 auf Rykodisc erschienen.

17.11.2007

MUSIKJOURNALISTEN!!!



Verarschen kann ich mich alleine!!!


"†" von Justice ist im Jahre 2007 auf Barf Records erschienen.

P.S.: Mailt an dreikommaviernull@yahoo.de und teilt mir mit, warum ihr dieses Album haben wollt. Der beste Grund gewinnt und erhält die Platte als vorgezogenes Weihnachtsgeschenk. Von mir. Für Dich, Euch und unsere Muttis.

Einsendeschluss ist der kommende Mittwoch, 21.11.2007, 12:00 Uhr

16.11.2007

"Das kannst du deiner Oma vorspielen!" -"Die is' tot." -"Ja, eben."


Wozu doch ein durchgegammeltes Wochenende gut sein kann. Ich hatte Ryoji Ikedas "dataplex" nun schon einige Zeit auf dem Schirm, stellte die Beschäftigung mit der auf das erste Gehör sehr eigenwilligen und scheinbar undurchdringbaren Produktion des Japaners aber immer hinten an. Bis ich mir tief in der Nacht ein Herz fasste und den Laser auf die Reise und mich damit ins Wunderland schickte. Schon wieder so ein Fall von "Auf den perfekten Moment gewartet".

Ikeda ist seit Mitte der neunziger Jahre eine feste Größe hinsichtlich der Verbindung von Visualisierung und Klang. Mit seinen Aufnahmen "+/-" (1996), "0?" (1998), "Matrix" (2001) und "op." (2003, alle auf Touch), erarbeitete er sich den Ruf als einen der radikalsten Klangkünstler, der Grenzen konsequent überspringt, und ständig nach neuen Ausdrucksformen forscht, um an einen neuen Ort zu gelangen. Sein derzeit aktuelles Projekt "datamatics" "is an art project that explores the potential to perceive the invisible multi-substance of data that permeates our world."(R.Ikeda)

Im Zuge dieses Konzepts erschien im Jahre 2005 sein bis dato letztes Album "dataplex". Es sind Miniaturen von Schall- und Sinuswellen, white noise, Ruinen von Basslinien und Pulsschlägen, die unentwegt Türe in immer kleiner wirkende akustische Räume öffnen. Trotz des auffressenden Minimalismus', der vor nichts außer einem wo auch immer herrührenden Groove halt macht, trotz einer Geräuschkulisse, die so mancher als britzelnde, kokelnde Störung eines Atomkraftwerks bezeichnen würde, bleibt Ikeda immer fokussiert und hintergründig, belebt starre Zahlen- und Softwarecodes mit einem dieser Musik im Grunde diametral gegenüberstehenden Reichtum. Eine Musik, die Daten und den Sog derselben als schwingendes Fundament für eine Betrachtung der Postmoderne, des damit einhergehenden Absurden und Mystischen benutzt und sich der Gefahren des Wandels und des möglichen Abgleitens in eine verlorene Welt gänzlich bewusst ist.

"dataplex" von Ryoji Ikeda ist im Jahre 2005 auf Raster Noton erschienen.


10.11.2007

We Want Poems That Kill




ORNETTE COLEMAN - FREE JAZZ



Ich hatte mich eine ganze Zeitlang nicht an "Free Jazz" herangewagt, und dass ich das Album im Grunde erst in diesen Tagen für mich entdecke, spricht letztendlich nur für den schönen Satz "Alles zu seiner Zeit". Ornette Colemans Schaffen ist für mich noch weitgehend ein weißer Fleck auf der Jazz-Landkarte; zudem konnte mich sein "Live At The Golden Circle Vol.1" aus dem Jahr 1965, das ich vor wenigen Wochen zum ersten Mal hörte, nur mäßig begeistern.

"Free Jazz" hingegen gilt als eines der wegweisendsten Alben der Musikgeschichte, und wer sich näher mit dem Werk beschäftigt, wird schnell feststellen, dass es diesen Status nicht umsonst innehat. "Free Jazz" besteht aus einer 38-minütigen, frei improvisierten Session, gespielt von gleich 2 vollständigen Quartetten. Neben Coleman (Altsaxophon) spielen der Klarinettist Eric Dolphy, die Trompeter Don Cherry und Freddie Hubbard, die Bassisten Scott La Faro und Charlie Haden, sowie die Schlagzeuger Billy Higgins und Ed Blackwell. Sie einigten sich vor der Aufnahme lediglich auf ein Tempo und ein kurzes musikalisches Thema und ließen sich ansonsten durch nichts weiter beirren. Mal spielen sie alle gemeinsam, mal tauchen Solosequenzen auf, in denen die übrigen Musiker pausieren, oder das Thema eines Solos in ihr eigenes Spiel integrieren.

Das für mich faszinierendste an "Free Jazz" ist jedoch einerseits der sich in diesen 38 Minuten manifestierende, tongewordene Ausbruch eines neuen Bewusstseins der afro-amerikanischen Bevölkerung Nordamerikas, die sich angesichts des allgegenwärtigen Rassismus zunehmend radikalisierte, sowie andererseits die Zäsur, die es hinsichtlich der Darstellung des Jazz einleitete und die in den nächsten Jahren den Weg in eine neue Ära führen sollte. Dass diese beiden Bewegungen Hand in Hand gingen, beschreibt der Autor und Aktivist Wolfgang Sterneck in einem Aufsatz wie folgt:"In einem fließenden Prozeß lösten sich immer mehr afro-amerikanische Jazz-MusikerInnen von den ihnen zugewiesenen Rollen und dem vorgegebenen Musikverständnis. Sie suchten nach neuen Wegen der Entfaltung und stellten dabei die Traditionen des Jazz grundsätzlich in Frage,(...)". "Free Jazz" legte den Grundstein zur Abkehr vom Jazz als Unterhaltungsmusik, hin zu einer eigenen musikalischen Sprache von systemkritischen, politisierten schwarzen Musikern, die den Jazz forthin als Kommunikationsmittel ihrer eigenen Kultur begriffen.

Musikalisch gilt für "Free Jazz" ähnliches wie für die Musik von Cecil Taylor: ich bin ob des Spiels mit Geräuschen und Klängen, mit Stimmungen und einer Grenzenlosigkeit und schieren Lust an der Improvisation und der Freiheit immer noch sehr beeindruckt und gebe durchaus freiwillig zu, dass ich immer noch nicht wirklich fassen kann, was in dieser Musik mitschwingt, was sie über den reinen Klang imstande ist zu transportieren.

Aber es ist einfach ungeheuer spannend.


"Free Jazz" ist im Jahre 1960 auf Atlantic Records erschienen.

Der im Text erwähnte, sehr lesenswerte Aufsatz von Wolfgang Sterneck ist HIER zu finden.


09.11.2007

Playlist 8.11.07

Es war ein lauter, harter, schneller und vor allem langer Abend. Ich entschuldige mich vorab für diese elendig lange Playlist, aber da müssen wir jetzt gemeinsam nochmal schnell durch.

01 Megadeth - Into The Lungs Of Hell
02 Sacred Reich - Blue Suit, Brown Shirt
03 Nuclear Assault - Cold Steel
04 Cyclone Temple - Public Enemy
05 Acrophet - Corrupt Minds
06 Napalm Death - I Abstain
07 Coroner - Grin (Nails Hurt)
08 Voivod - Chaosmöngers
09 Holy Terror - Christian Resistance
10 Invocator - From My Skull It Rains
11 Atheist - And The Psychic Saw
12 Whiplash - Dementia Thirteen
13 Forbidden - Infinite
14 Flotsam&Jetsam - Hard On You (live)
15 Exhorder - Homicide
16 Holy Moses - Current Of Death
17 Hirax - Defeat Of Amalek
18 Obituary - Find The Arise
19 Heathen - Opiate Of The Masses
20 Blessed Death - You Are Nothing
21 Wargasm - Revenge
22 Demolition Hammer - Neanderthal
23 Dark Angel - The Promise Of Agony
24 Exumer - Journey To Oblivion
25 Overkill - Birth Of Tension
26 Xentrix - For Whose Advantage?
27 Venom - Manitou
28 Celtic Frost - The Usurper
29 Morbid Angel - Thy Kingdom Come
30 Cerebral Fix - Enter The Turmoil
31 Devastation - Freewill
32 Realm - Energetic Discontent
33 Believer - Sanity Obscure
34 Nocturnus - Neolithic
35 Evildead - Annihilation Of Civilization
36 Exodus - Strike Of The Beast (live)

Herrlich, ist es nicht?

06.11.2007

In Eigener Sache, Vol.3: Getrümmerradio

Nach meinen Radiosessions zur elektronischen Musik und zum Jazz steht für kommenden Donnerstag, 8.11.2007 ab 20:30 Uhr nun der Themenabend "Reise in Florians Jugend" auf dem Programm. Unter dem unten stehenden Link gibt es ausschließlich oldschooliges Thrash Metal-Gerumpel von etwa 1982 bis 1994 zu hören, darunter Großartiges, Vergessenes, Obskures und zum auf die Knie fallen Wunderbares.

Wie immer ist alles, was Sie dafür benötigen eine aktuelle Version des Winamp-Players, den Sie HIER kostenlos herunterladen können.

Ab circa 20:00 Uhr wird bereits ein unkommentiertes Vorprogramm zu hören sein.

Viel Spaß bem Hören!

Thrash Metal-Radio

One Voice, One Quetschkommode


Wie an dieser Stelle kürzlich erwähnt, stand Vor einer Woche das Kammerflimmer Kollektief auf der Studiobühne des Frankfurter Mousonturms, und ich, der tapfer sämtliche Warnungen ob der grenzenlosen Langeweile, die das Trio verursache, in den Wind schlug, saß gemütlich in der letzten Reihe und beobachtete Johannes Frisch (Bass), Heike Aumüller (Harmonium, Stimme) und Thomas Weber (Gitarre, Elektronik) bei ihrem Rundgang durch das aktuelle Album "Jinx".

Es war gut, dort gewesen zu sein und grundsätzlich bin ich ihrer Musik und ihrem Ansatz sogar sehr zugeneigt. Trotzdem konnte mich die Band an diesem Abend nicht überzeuen. So blieb es Johannes Frisch mit seiner Experimentierfreudigkeit und seinem mutigen Spiel vorbehalten, die Blicke und die Ohren auf sich zu ziehen. Allein ihm zuzuschauen ist ein Erlebnis, wie er sich immer weiter vorantastet, auf der Suche nach dem perfekt unperfekten Ton. Im krassen Gegensatz dazu das Harmonium von Heike Aumüller, das über die komplette Spelzeit im ewiggleichen Soundbrei stecken blieb und der Musik sämtliche Spitzen nach oben und unten nahm. Ähnliches kann man über die Gitarre von Thomas Weber sagen, die fatalerweise oft mit dem Sound des Aumüllerschen Instruments verwischte und somit weitgehend ohne Identität und eigenen Ausdruck in einer undifferenzierten, vom Harmonium unschön dominierten Klangwolke verschwand. Ein eindimensionales Erlebnis, das zudem noch mit drei Zugaben wirklich unnötig in die Länge gezogen wurde.

Bringe das nächste Mal übrigens ein "Bitte nicht applaudieren!"-Schild mit.

04.11.2007

Im Steinbruch


Eine echte Entdeckung der letzten Wochen sind die Arbeiten des US-amerikanischen Pianisten Cecil Taylor. Sein "Conquistador!" aus dem Jahre 1966 begleitet mich nun schon einige Tage und fasziniert vor allem wegen des immensen Weitblicks, den Taylor seiner Musik in knapp 40 Minuten so selbstverständlich verleiht. Mich würde wirklich interessieren, wie viele Künstler der elektronischen Musik von Taylor im Speziellen, aber auch der zahlreichen Free Jazz-Musiker der sechziger Jahre im Allgemeinen beeinflusst wurden. Denn nicht nur auf "Conquistador!" hört man Strukturen und vor allem Klänge, die man heute, zugegebenermaßen moderner und mittels technischer Hilfsmittel weiterentwickelt, auf so mancher Veröffentlichung der elektronischen Musik wiederfindet. Auch auf folgendem Video, einer kurzen Sequenz aus dem Dokumentarfilm "CECIL TAYLOR: ALL THE NOTES" (USA 2004, Regie: Christopher Felver), lässt es sich gut nachvollziehen, welchen (überraschenderweise auch) klanglichen Einfluss diese Epoche auf die folgende Zeit hatte. Und mal ganz davon abgesehen ist es ein ungeheurer Genuss, diesen Mann bei seinem körperbetonten, ausufernden Spiel zu beobachten.