30.07.2009

Zwischenruf (1)


GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR

Wer heute, sieben Jahre nach dem letzten Studioalbum "Yanqui U.X.O." und gut vier Jahre nach dem offiziell eingelegten Dämmerschlaf der einzig wahren Postrock Band Godspeed You! Black Emperor deren frühe Platten hört, dem wird einerseits auffallen, wie leicht und lässig es sich auf die Knie sinken lässt, wie lässig und leicht sich die funkelndsten Freudentränen ihren Weg in die Außenwelt bahnen können und wie leidenschaftlich und kraftvoll instrumentale Musik sein kann. Dem wird andererseits aber leider auch klar werden, wie unfassbar uninspiriert, leidenschaftlos, plump, platt, banal, oberflächlich, stillos, orientierungslos und schlicht sacköde all die Legionen an gesichtlosen Nachahmern sind, die Jahre später und bis zum heutigen Tag all das so furchtbar frech wiederkäuen, was diese kanadische Ausnahmeband vor langer Zeit an das Klangfirmament pinselte. 

Und weil das alles so schön ist gibt es als Geschenk des Tages von mir für Euch unter folgendem Link einen Radiomitschnitt des Godspeed You! Black Emperor Gigs des 18.April 2002 im Paradiso zu Amsterdam, freundlich bereitgestellt durch den Mixing Desk-Blog

GYBE Live In Amsterdam

Viel Spaß!

28.07.2009

Die Ruhe Vor Dem Sturm


Bobby McFerrin - The Voice

Den meisten Menschen ist Bobby McFerrin sicherlich durch seinen 1988er Welthit "Don't Worry Be Happy" bekannt und nicht zuletzt dank dieses Songs befindet er sich bei wiederum den meisten Menschen eher in der "Humor"-Schublade abgelegt. Was zunächst nicht grundsätzlich verkehrt ist; nur die abgefeimtesten Lachknochen kommen angesichts McFerrins halsbrecherischer Stimmartistik nicht wenigstens von Zeit zu Zeit ins Schmunzeln. Fatal wäre es dennoch, würde man den Musiker auf das "Ein bisschen Spaß muss sein, beste Grüße ihr Roberto Blanco"-Klischee des immerfrohen Negers (Anfeindungen und Belehrungen bitte an zivilisiertewelt@silvioberlusconi.it schicken) reduzieren. 

In den Liner-Notes zu diesem auf McFerrins erster Solotournee durch Deutschland aufgenommenen Livealbum berichtet der 1950 geborene Sänger, dass er erst im Alter von 27 Jahren auf die Idee kam, allein mit seiner Stimme eine Bühne zu betreten:"I heard a voice inside my head telling me to be singer." McFerrin stammt aus einer sehr musikalischen Familie: sein Vater war der erste afro-amerikanische Opernsänger in der Metropolitan Opera in New York, und der Sprössling richtete in jungen Jahren seinen Lieblingsplatz unter des Vaters Piano ein, wenn jener Gesangsunterricht gab. Mit sechs Jahren erhielt Bobby Klavierunterricht, außerdem lernte er Flöte und Klarinette. Mit verschiedenen Gruppen tingelte er in den siebziger Jahren als Pianist jahrelang durch die Bay Area von San Francisco. Nach dem Wechsel zum Gesang konnte er sich im Rahmen seiner Combo Astral Projections künstlerisch nicht weiterentwickeln, woraufhin er sich zum kompletten Bruch entschied und alle Instrumente aus seiner musikalischen Vision entfernte.

"The Voice" ist ein beeindruckendes Zeugnis seiner stimmlichen und gedanklichen Virtuosität. Mithilfe von Schlägen auf seine Brust und seinen Kehlkopf baute McFerrin ein rhytmisches Gerüst, auf dem er mit schier wahnwitzigen Sprüngen zwischen Bass- und Sopranpartien herumtollte. Hinzu kamen Geräusche wie das hörbare ein- und ausatmen, Schnalzen, Rascheln und Zischeln, die sich in die Stimmcollagen nicht nur eingliederten, sondern zu einem fundamentalen, klangfärbenden Bestandteil seiner Musik wurden. Ralf Dombrowski stellte in seiner Rezension zu "The Voice" noch einen weiteren Faktor in den Fokus: McFerrins umfassende musikalische Bildung. "Sie erlaubte es ihm, an der Personalstilistiken anderer Musiker an zu knüpfen, sie zu imitieren, (...), zu integrieren und zu kommentieren." So konnte er beispielsweise "Blackbird" der Beatles "arpeggiohaft auseinander" nehmen, in "I Feel Good" die typischen Schreie von James Brown persiflieren, frühe HipHop-Elemete in "I'm My Own Walkman" anreißen, und im Bebop-Medley (unter anderem mit "Donna Lee" von Charles Parker) die Charakteristik des Saxofonspiels nachahmen.

Dass McFerrin seinen Vortrag immer wieder mit wirklich lustigen Elementen würzte, was das Publikum zu spontanen Lachanfällen mit Szenenapplaus verführte, ist nur ein weiteres dickes Plus einer Platte, die ein sympatisches, positives und musikverrücktes Flair versprüht.

"The Voice" von Bobby McFerrin ist 1984 auf Elektra erschienen.

25.07.2009

Die Welle

 

Exile - Stay Tuned EP

Mein Schnupperkurs in Sachen Exile. Diese Single stammt aus dem im Frühjahr 2009 erschienenen Album "Radio" und war mein Guiding Light, das nach mehrfacher Rotation mittlerweile ein sattes grasgrün anzeigt. 

Radioland re-visited. Aleksander Manfredi hat für seine Musik Stimmen und Sounds aus dem Radio gesammelt und sie in Verbindung mit Flying Lotus'scher Beatästhetik zusammengeführt. Es macht durchaus Sinn, die eigene Erwartungshaltung dieser Musik an zu passen, zumal hier nicht nach einem Durchgang alles gesagt ist. Exiles Musik hat Tiefe und Kompexität, vor allem in der unergründlichen, mystischen Klangbasis, als auch - und das ist viel interessanter - in der Wirkung. Ich wusste anfangs nie, in welchen Teil des mit Ether getränkten Wattebauschs Exile mich gerade hinführt, und ich konnte folgerichtig nie die verschiedenen Optionen erkennen, die Manfredi für mich bereithält. Und Hölle: es gibt viele Optionen in diesem Sound: Türen, die anfangs fest verschlossen waren, stehen wenige Momente später sperrangelweit offen, Gesichter, die eben noch hinter Masken schliefen, schweben plötzlich hellwach in den Wolken. 

"Stay Tuned", nebst den beiden ebenfalls auf dem Album vertretenen Songs "It's Coming Down" und "Were All In Power", ist wie eine große, wirre Betäubung. Nebulöse und verschwommene Collagen aus Jazz-, Soul- und Funktunes münden in das große Becken der versammelten Hip Hop-Durchgeknallten wie Prefuse 73, Madlib oder eben Flying Lotus und fassen sich unsittlich an. 
In diesem Zusammenhang: Marvin Gaye war ja pornosüchtig. 

Die "Stay Tuned EP" und das Album "Radio" von Exile ist 2009 auf Plug Research erschienen.




21.07.2009

Neunziger (3)


Nudeswirl - Nudeswirl

Erneut eine Platte, die in dieser Form nur in den neunziger Jahren erscheinen konnte. Auch wenn sich das Quartett aus New Jersey schon 1988 zusammenschloss und ein Jahr später mit einem Indie-Release debütierte, ist dieses 1993 veröffentlichte offizielle Debut der Kapelle ganz klar ein Kind der Alternative- und Grunge-Welle. Und ein verdammt Hübsches noch dazu. Der Geburtshelfer hieß übrigen Johnny Zazula, der die Burschen zum Megaforce-Label lotste.

"Nudeswirl" gilt unter Eingeweihten durchaus als Großtat einer Bewegung, die schon ein Jahr später mit Soundgardens "Superunknown" einen angemessenen Grabstein erhalten sollte. Die Band hatte einen unerhörten Drive und mischte zusammen, was zu jener Zeit auf den musikalischen Gassen zu finden war. Wolfgang Schäfer aus dem Rock Hard fasste es in seiner 9,5 Punkte-Review überraschend gut zusammen:"(...) vereinen NUDESWIRL die Gitarrenpower von Sonic Youth ('Three', 'Ringworm'), den Groove von Mindfunk ('Gordon's Corner', 'F Sharp'), das Feeling von Pearl Jam ('Disappear') sowie die punkige Attitüde von Nirvana ('Dogfood') mit Refrains der Güteklasse Warrior Soul und Saigon Kick ('Sooner Or Later')." Das darf ich trotz der grundsätzlich wenig pfiffigen Aufzählung so stehen lassen. 

Also alles nur geklaut? Au contraire, Chérie! Es ist unbestritten, dass Nudeswirl auf den damaligen Szenesound bezogen keinen goldenen Originalitätspreis einheimsen konnten, dennoch waren sie alles andere als plumpe Copycats. Das leicht nasale Timbre von Sänger Shane M. Green, die psychedelische Grundausstattung ihrer Songs mit freien, teils gar noisigen Elementen, Feedback und verwehtem Wah-Wah-Gewaber in Kombination mit erfrischenden, gar nicht düsteren oder gar depressiven Melodien und einem federnden Groove ließen das Album unüberhörbar mit eigener Stimme sprechen. 

Nudeswirl lösten sich 1995 auf. Seit einiger Zeit kursieren unglücklicherweise Gerüchte über eine angebliche Reunion....ich möchte davon ja nichts hören.


"Nudeswirl" von Nudeswirl ist 1993 auf Megaforce Entertainment erschienen.

17.07.2009

"Ich Bin Kein Tag Für Eine Nacht...

...Ein Abend In Holz"

So lautet der Titel des aktuellen Kabarettprogramms von Jochen Malmsheimer. Der Hausmeister aus Urban Priols und Georg Schramms ZDF-Sendung "Neues Aus Der Anstalt" betrat am 28.5.2009 die Bühne des Neuen Theaters in Frankfurt-Höchst. 

Der Kulturkanal des Hessischen Rundfunks strahlt am kommenden

Sonntag, 19.7.2009 ab 17:05 Uhr 

eine Aufzeichnung dieses Abends aus. Zu empfangen über den Livestream des HR2. 

Hier ist die Ankündigung des Senders, in der rechten Spalte ist auch der Link zum Webstream zu finden:

HR2 Jochen Malmsheimer

14.07.2009

My Pills...Quick


Thought Industry - Eine Werkschau

Flower don't cry tonight. Raspberries kissed your 
melting face. Flower please hold me tight. Caress my 
skin, blended as one. All wrong. My lover's gone. All 
wrong. I’ve lost her in the cornerstone of time. Tart meat 
cuts emerald lips. Parts and slits. Flower is sky. 
Raspberry feels cannot heal. Bleeds his soul. Kicks in her 
teeth. All wrong. My lover's gone. All wrong. I've lost her 
in the cornerstone of time. Love? All wrong. My lover's 
gone. All wrong. I've lost her in the cornerstone of time. 
All wrong. My mind is gone. All wrong. I've splattered it 
to the stars to the grave. All wrong.

(Thought Industry, "Cornerstone", 1992)


Thought Industry sind für mich eine der obskursten und interessantesten Bands der letzten 20 Jahre. Die Truppe aus dem Städtchen Kalamazoo im US-Bundesstaat Michigan debütierte nach ihrem selbstbetitelten Demo von 1990 zwei Jahre später mit ihrem ersten vollständigen Longplayer, dem wahnsinnigen Techno-Speed-Gewitter "Songs For Insects". Stilistisch mit Bands wie Watchtower oder den begnadeten Realm vergleichbar, bot das Quintett höllisch abgedrehten, vertrackten und breaklastigen Speed/Thrash Metal. Die originelle Stimme von Brent Oberlin, der sowohl die höheren Tonlagen meisterte, als auch von Zeit zu Zeit in einen wirren Sprechgesang abdriftete, in Verbindung mit poetischen und abstrakten "stream of consciousness"-Texten verlieh der Band ein akademisches, intellektuelles Gesicht. Dazu gab es mit den zehnminütigen "The Chalice Vermillion" oder dem Titeltrack variantenreiche Kompositionen mit Überlänge, die für einen ordentlichen Information-Overload im Oberstübchen sorgten. Ich glaube mitnichten, dass ich dieses Album bis heute auch nur im Ansatz verstanden habe, aber es macht - zumindest für eine Weile - immer noch einen tierischen Spaß, sich derart den Kopf verdrehen zu lassen. 

Das Konzept wurde auf dem 1993er Nachfolger "Mods Carve The Pig: Assassins, Toads, And God's Flesh" weitgehend beibehalten, bevor das 1995 erschienene "Outer Space Is Just A Martini Away" einen ersten Bruch im Klangbild darstellte. Die Band öffnete ihren Sound für Hardcore, Noise, Punk, Indie und Alternative-Einflüsse, was auf den ersten Blick für die damalige Zeit nicht unbedingt etwas ungewöhnliches war. Das interessante daran: Thought Industry schafften es, mit dieser Neuausrichtung nicht etwa ihren eigenen Sound zu verwässern oder ihn in einer weichgespülten, gefälligen Soße zu ertränken, sondern ihnen gelang es tatsächlich, ihr gesamtes Auftreten weiter zu entwickeln. Die wesentlichen, abstrakten Elemente, sowohl musikalisch als auch textlich, waren immer noch eindeutig zu identifizieren, nur mit dem Metal hatten sie nun nicht mehr all zu viel am Hut, eher erinnerten sie besonders auf dieser Platte in einigen Momenten an eine unpeinliche Faith No More-Version. Dabei ist "Outer Space Is Just A Martini Away" wie seine Vorgänger alles andere als leichtverdaulich, im Gegenteil: es ist anstrengend wie Sau, sich durch dieses Monstrum zu kämpfen. Vor allem im hinteren Drittel wimmelt es nur vor undurchsichtigen Strukturen, von Krach und von völligem Wahnwitz. Dem gegenüber stehen die wohl bekanntesten, weil im Ansatz eingängigsten Songs dieser Band:"The Squid", "Jack Frost Junior" oder "Love Is America Spelled Backwards". 

Me be itsy silly fluffy boy. Golly folly. Skippy
Trippie pixie slippy toy. Lolly polly. Shoot me.

(Thought Industry, "Boil", 1993)

Danach vollzogen Thought Industry eine weitere Richtungserweiterung mit dem melancholischen "Black Umbrella"-Werk, das seinen Schwerpunkt eindeutig auf Indie- und Alternative-Sounds setzte und in Grundzügen gar mit einer Band wie Pavement vergleichbar war. Heftige Eruptionen gehörten hier bis auf eine Handvoll Ausnahmen in der zweiten Albumhälfte der Vergangenheit an. Aber auch für "Black Umbrella" gilt: no one said it was easy! Was alle Thought Industry-Platten zumindest in meiner Wahrnehmung gemein haben: sie fordern dem Hörer vieles, wenn nicht alles ab. So kann ich sie - bei aller hier auch zur Schau gestellten Liebe - unter fast keinen Umständen am Stück und komplett durchhören. Ich mag diese Songs, ich mag diese Platten, ich mag diese Band. Aber ich bin nach einer gewissen Zeit schlicht mit ihrem Wahnsinn überfordert.

Mit dem nachfolgenden, opulenten Schwanengesang "Short Wave on a Cold Day", der nur in Amerika erschien und vor dessen Entstehung sich weite Teile des Line-Ups aus dem Staub machten und nur noch Oberlin seine Vision nun mit Vollgas verwirklichen konnte, änderte sich die Kapitulation nicht, obgleich es sich dabei möglicherweise um die versöhnlichtste Aufnahme der Band handelt. Waren die zwei Vorgänger vor allem durch Bitterkeit und Zynismus geprägt, erschien der Abschluss eine Spur freundlicher. Hinsichtlich der Qualität könnte man durchaus der Meinung sein, es handele sich um das beste Album der Band. Oberlin holt hier alles aus sich heraus und bündelt seine Stärken auf einem mit knapp 72 Minuten erneut viel zu langen Album: kompakte Songs mit großartigen Melodien, stringentes und klares Songwriting, dabei immer auf der Grenze zum Noise- und Schrammelrock balancierend und niemals kitschig oder sinnlos aufgepompt. Dafür mit wirklichen Songperlen wie dem 80er Jahre angehauchten "A Week And Seven Days", dem melancholischen "Lovers In Flames" oder dem poppigen Quasi-Radiofutter "Kiss Judy Fly". Die Dichte an fantastischen Songs ist wahrlich beeindruckend, was mir sogar etwas dabei hilft, die überlange Spielzeit etwas zu kompensieren. Mit "Short Wave On A Cold Day" entzogen sich Thought Industry darüber hinaus endgültig jeden Kategorisierungsversuchen, ihr Sound wurde nochmals einzigartiger. Der Kohleklumpen war nun definitiv ein echter, funkelnder Diamant. Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Oberlin ausgerechnet nach diesem Meisterwerk das Licht ausknipste. 

"Man, he's so punk. Writes his own 'zine. Does basement 
shows. Plays in three bands; and he still finds time to 
love his Mom's wallet." - Coffee House Leech

(Thought Industry, "Pinto Award In Literature", 1995)


Interessant über die eigentliche Musik hinaus finde ich außerdem folgende Punkte:

Erstens blieb die Band über all die Jahre mit all den Neuerfindungen immer beim selben Label, nämlich bei Metal Blade. Spätestens ab "Black Umbrella" werwundert es schon, dass dieses eigentlich reine Metal-Label der Band noch die Stange hielt, trotz der vermutlich durchaus überschaubaren Albumverkäufe einerseits und einer Abkehr von typischen Metalsounds andererseits. 

Zweitens sind Thought Industry zwar seit einigen Jahren in den ewigen Jagdgründen, aber dennoch präsenter als zu ihren aktiven Zeiten, zumindest was die Verfügbarkeit ihrer Alben betrifft. Sowohl bei Ebay, als auch in jedem halbwegs akzeptablen Second Hand-Shop sind ihre Alben haufenweise auch für den kleinsten Geldbeutel zu finden, vielleicht mit Ausnahme des wie erwähnt nur in den USA erschienenen "Short Wave On A Cold Day". Vor allem "Outer Space Is Just A Martini Away" lehnt praktisch an jeder Straßenecke. Möchte nicht wissen, wie viele Scheiben Metal Blade davon noch im Keller stehen hat.

Drittens: die Fangemeinde. Thought Industry erreichten nie die große Masse, selbst für eine kleine Masse war ihr Sound wohl einfach zu abgedreht. Und als ihr Auftreten zugänglicher wurde, war das Kind schon in den Brunnen gefallen, da wussten vor allem große Teile der Metal-Gemeinde: Finger weg, wir raffen es eh nicht. Diesem Umstand ist es wohl zu zu schreiben, dass der eigentlich übliche Ruf nach einer Reunion hier verstummt. Nichtsdestotrotz gab und gibt es sehr wohl eine eingeschworene Gruppe von Fans der Band...ich stelle mir nur manchmal die Frage: wo sind sie geblieben? 

Zumindest einer davon schreibt Thought Industry für einen kurzen Moment in die Erinnerung zurück.

Strange & Beautiful.

11.07.2009

Bienenflügel


Stephan Mathieu - Radioland

Geöffnete Fenster, Mettigel-Alarm. Es ist heiß und der Rauhaardackel versucht vergeblich, diese Linsensuppe zu zerschneiden, die seit Tagen durch ihr Zimmer erbst. Es ist noch Bärchenwurst draußen. Wenn es ja nach ihr ginge, sie würde alle Öffnungen zur Herrensauna zumauern lassen. Sie ist kein Fenchelblättchen, aber sie braucht die Radmuttern, sie braucht die Hütchenspiele, selbst am Amen. An einem solchen Zebra wie heute fühlt sie sich immer gefetzt und frisiert. "Habe ich was Wichtiges gegessen? Klingelt es gleich an der Klobrille? Ich hätte ganz bestimmt noch den Batcave kacheln machen müssen, was?! Aahahaha!"

"Radioland" läuft. Sie hat Wundertüten über diese Küchenmaschine rauchen sehen, sie sei eine echte Ausnahmeverteilung. Für den HEY-HO-LET'S HUIUIUI fällt es zwar bumsi, sich schwubbern zu lassen und den Overschnick zu loosen, aber es ist ja auch noch Bärchenwurst. Und es könnte auch gleich an der DingDong korrespondieren, das darf man ja auch nicht verge...was? WAS?

...zielloses Herum-Max-Daxen. Hier ein Minzblättchen gerade schmücken, dort einen Mammut in den Obstkorb werfen. Wann muttert es endlich Rad? Warten...und dieser Scheißpanzer da unten, dieser Paul...in dieser Umgebung und unter diesen Vollidioten dieses leise Rauschen zu hören..."also manchmal raff' ich mich selbst nicht." Leises Kichern, dann Ruhe. 

Dann noch mehr Bärchenwurst!

"Radioland" ist angekommen. Es steht mitten im Schlüpper, unscheinbar zunächst, aber sie kann durchaus spüren "wie Niebel das ist." Außerdem blendet der Lendenschurz aus Bisam. In einer Lichtsäule rotiert es um sich selbst, steigt auf und dehnt sich aus. Fleischwurstwärme, Mett und Liebe. Fingerfarben strömen aus, sie fließen nun durch ihren Körper. 

Es wird suppig, ihre Milz kribbelt. Die Fenster schwitzen, der Feldsalat explodiert gemeinsam mit dem Panzer stumm in Millionen kleiner Glühwürmchen, die nun ihrerseits Cocktailstände eröffnen und kühle Erfrischungen mit Namen wie "Licht Und Finsternis Zum Auge" (Rum, Sahne, Leberwurst) oder "Auf Der Gasse" (Blue Curacau, Eierlikör, Paris Hilton, 1 ungelesene Ausgabe Cicero, geschreddert) darbieten. Ein Eichelhäher versorgt die anwesenden Gäste mit gesammelten Würmern aus der CDU-Parteizentrale und der ausgezeichneten Trockenpflaume von Philipp Mistfelder. 

Heute war's die ganze Nacht hell.

"Radioland" von Stephan Mathieu ist 2008 auf Die Schachtel erschienen.


06.07.2009

"...And This Is A Microphone"

Ursprünglich wollte ich ja an dieser Stelle eine kurze Aufzählung der absoluten Highlights aus nachfolgendem Video vor- wenn nicht 'runterbeten, bevor mir beim wiederholten Angucken dieses Schnipsels aus einer scheinbar anderen Galaxie klar wurde: das ist ja alles zu "schön", um "wahr" zu "sein". Aus diesem Grunde sei nur der kleine Hinweis gestattet, dass ab 2:16 nichts als laute Jubelschreie durch Wiesbaden hallen...

03.07.2009

Der Delta-Quadrant Macht Das Licht Aus


Voivod - Infini

Der Vorhang fällt. Mit "Infini" begeben sich die Großmeister des Science-Fiction Metal auf eine letzte Rundreise durch ihr Revier. Mit im Gepäck: die finalen Gitarrenaufnahmen ihres 2005 verstorbenen Gitarristen Denis D'Amour aka "Piggy". Nach dem Vorgänger "Katorz" das zweite Album mit einer etwas anderen Arbeitsweise. Die Band zerrte Piggys Riffs in den Mittelpunkt und baute die Songs um seine typischen, schrägen und verwehten Shreds herum auf. So entstanden 13 neue Tracks für die kleine, aber eingeschworene Fangemeinde. Also auch für mich. 

Zugegeben, meine Einschätzung des Vorgängers "Katorz" fiel im Nachhinein möglicherweise etwas zu euphorisch aus. So ist das eben im ersten Moment, wenn man als Fanboy etwas in den Händen hält, von dem man dachte, es würde niemals das Tageslicht erblicken. "Katorz" war aus heutiger Sicht von der wörtlich zu nehmenden Zerissenheit der Band und des grundsätzlichen Vorgehens hinsichtlich des Songwritings geprägt, ein Risiko, dessen sich die Band sicherlich bewusst war. Hinzu kommt, dass die Kanadier seit ihrem selbstbetitelten Comebackalbum aus dem Jahr 2003 die Redundanz zum Prinzip erkoren haben. Die Fixpunkte suchen sie nicht wie früher in der Zukunft (womit sie der Metal-Konkurrenz immer leicht und locker drei Schritte voraus waren), sondern in der eigenen Historie: "The Outer Limits" und "Angel Rat" mit ätherischen Nuancen des Klassikers "Nothingface" müssen seitdem als musikalische Salatbar herhalten. Es gibt beileibe schlechtere Auswahloptionen, aber von einer Band wie Voivod, die sich immer wieder so radikal und kompromisslos neu entdeckte, erwarte ich einfach kein Aufbrühen alter Schinken (wie das wohl schmeckt...?!).

Auch "Infini" bricht leider nicht mit dieser Entwicklung. Die Ausrichtung wird nachwievor von der frühneunziger Phase der Band bestimmt, dazu gesellen sich nun noch die beiden Vorgänger "Voivod" und "Katorz" als Referenz. Man weiß also mittlerweile sehr genau, was man bekommt. Diesem Umstand ist es letztendlich auch zu "verdanken", dass Voivod heute weitaus weniger abgefahren, innovativ und genresprengend klingen, wie es besonders in Szenekreisen immer wieder angeführt wird. Klar, im Vergleich zur tumben Power Metal Band ist das hier geradezu avantgardistisch, aber letzten Endes - machen wir uns nichts vor - reden wir immer noch von einer Metalband. Einer originellen Metalband, meinetwegen. Aber eben nicht mehr.

Folgerichtig sind es auf "Infini" in erster Linie die ob ihrer Anlage etwas aus der Reihe fallenden Songs, die eine Spur beeindruckender ausgefallen sind, als der Rest. Das zurückgenommene "Room With A V.U." beispielsweise, das vor allem soundtechnisch wie eine aufgepimpte Version eines "Angel Rat"-Songs klingt. In die gleiche Kerbe schlägt "In Orbit", bei dem es der Band hervorragend gelungen ist, eine melancholisch-entrückte Stimmung zu malen, ähnliches gilt für das klaustrophobische "Morpheus". Dazu gibt es noch zwei, drei gar nicht ungroßartige punkige, mit räudiger Motörhead-Note unterfütterte Brecher ("From The Cave", "Volcano"). Das klingt für den ersten Moment nicht schlecht, aber wir kommen ja noch zum Rest. Der ist in meinen Augen musikalisch durchschnittlicher Voivod-Metal von der Stange mit einem Spritzer Banalität, der mich eher kalt lässt, als dass er mich ärgert, textlich jedoch bisweilen kaum aus zu halten ist. Letztgenanntes ist vor allem deshalb unglücklich, weil man sich immer auf ihre spannenden Sci-Fi-Geschichten verlassen konnte, diesmal aber mit Banalitäten wie "Blah Blah Blah is all you say" oder "God Phones" abgespeist wird. Das ist schade. Musikalisch ist die Durchschnittsware allerdings pures Gift für das Gesamtbild des Albums: es ist viel zu lang. Insgesamt gibt es knappe 60 Minuten Musik zu hören, was gut 20 Minuten zu viel ist. Möglicherweise wollte man alle Reste, die Piggy hinterlassen hat auf diesem letzten Album verwenden, was einerseits legitim ist, andererseits der Sache einiges an Durchschlagskraft und Relevanz nimmt. Ein gerne unterschätzter Punkt, aber er ist der Nummer Eins-Kandidat bei der Beantwortung der Frage, was das Album als Kunstform an den Rande der Bedeutungslosigkeit getrieben hat. 

Was bleibt ist ein bisschen Traurigkeit. Ich hätte der Band für ihr letztes Album ein glücklicheres Händchen gewünscht, andererseits habe ich zum Abschluss immerhin fünf, an guten Tagen gar sechs neue Voivod-Lieblingssongs geschenkt bekommen. Die verminderte Erwartungshaltung hat zudem für die Band gespielt: man erwartet heute einfach keine großen Voivod-Platten mehr. "Solide" wäre früher blanke Blasphemie gewesen, um eines ihrer Werke zu beschreiben, heute passt es. Schon verrückt, das alles.

"Infini" von Voivod ist 2009 auf Nuclear Blast erschienen.