22.01.2022

A Walk in My Atomic Garden - Platz 6: Bad Religion - Against The Grain




BAD RELIGION - AGAINST THE GRAIN


Es schmerzt, eine Platte wie "Against The Grain" auf Platz sechs zu verheizen. Wie "Suffer", "No Control" und "Generator" gehört sie zu jener Riege der frühen Bad Religion-Platten, die mein Denken und mein Leben maßgeblich beeinflussten und veränderten - und sowas sortiert man ja normalerweise eher aufs Treppchen. Und, klar: Ich schreibe das ab jetzt für jedes der (noch) folgenden Alben, keine Bange. Das wird die Hookline. Bis zum Erbrechen wiederholt. Top Of The Pops.

"Against The Grain" war, wie bereits in der Einleitung zu dem ganzen Quatsch ausgeführt, meine allererste Begegnung mit Bad Religion, und noch bevor ich auch nur einen Ton ihrer Musik hörte, war ich fasziniert von diesem Albumcover. Kein Bandname, kein Titel, ich raffte null - aber es hatte dadurch einen mysteriösen Indie/Underground-Vibe, der mich anzog. Und als dann später die Songs es sich in meiner DNA gemütlich machten, war das Paket komplett: Hits, Hits, Hits. Ich kann mich daran erinnern, "Operation Rescue" so oft gehört zu haben, bis es mir eines Tages tatsächlich zum Hals heraus hing - nur um wenige Wochen später den CD-Player erneut auf "Repeat: Song" einzustellen.

Herausragend natürlich der überfallartige Opener "Modern Man", das geniale "Anasthesia" und das vielleicht populärste Stück ihrer ganzen Karriere "21st Century Digital Boy" - aber es gibt wie auf beinahe jeder Platte von Bad Religion auch heimliche Favoriten, die es nie zu ganz großem Ruhm brachten. Auf "Against The Grain" gehört für mich der ungewöhnlich arrangierte Titelsong dazu, der zunächst mit fast militärischem Stakkatoriffing und eingängiger Gitarrenmelodie im Dickicht lauert, bevor die Band in der letzten halben Minute das Riff lockert und damit diesen unnachahmlichen Drive entwickelt. 

Textlich ist "Against The Grain" möglicherweise das ganzheitlichste Bad Religion-Album, das die Ambivalenz zwischen eigener Verantwortung, Lethargie, und dem Zustand der Welt am deutlichsten herausarbeitet und sie letzten Endes mit dem Wesen des Kapitalismus erklärt. Eine Gesellschaft, die Veränderungen fürchtet, obwohl das kollektive Bewusstsein längst die Notwendigkeit eines Wechsels anerkennt, gefangen im Netz aus Indoktrination, ritualisierten Zwangsneurosen, freiwilliger Aufgabe der Selbstbestimmung, Religion und Kapital. Ahnungslos, ignorant und gepeinigt von grandioser  Selbstüberschätzung. Das geht vermutlich uns allen so, für ein Volk jedoch, das sich selbst unentwegt zu einem Teil des "greatest country on earth" hochjazzt, ganz besonders.    

Ich weiß nicht, ob Graffin und Gurewitz auch dreißig Jahre später noch ein ähnlich düsteres Bild vom kommenden Untergang der menschlichen Rasse zeichnen würden. Es hat sich freilich viel verändert, und gar nicht so wenig durchaus zum Positiven. Aber die Wurzel unseres Seins scheint mir immer noch der alte, stinkende, herummodernde Misthaufen zu sein, der unter der Oberfläche fröhlich vor sich hin dampft.       


 


Erschienen auf Epitaph, 1990.

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