05.09.2020

Rehab (1): Holy Fucking Terror

 




HOLY TERROR


Wirklich unüberwindbare Momente der Reue habe ich mit den veröffentlichten Beiträgen auf diesem Blog eigentlich nicht. Einerseits gibt's weiß Gott Wichtigeres, mit dem es die Auseinandersetzung lohnt, die innere zumal, zum anderen kann ich inhaltliche, stilistische und sprachliche Defizite auch halbwegs richtig einsortieren und mit einer Wagenladung Feigenblätter auf jugendliche Verbretterung hinweisen - ich war beim Start von 3,40qm immerhin schon 30 Jahre alt und damit praktisch noch mitten in der Pubertät. Wer ohne Blödheit ist, werfe das erste Jamba-Klingelton-Abo, jedenfalls: "It is what it is." (Trump). Und irgendwie stimmt das ja auch. Und ganz nebenbei bin ich wirklich froh über die Editierfunktion.

Ich habe in den vergangenen 13 Jahren oft über Thrash Metal geschrieben, zwei Mal gab es sogar Serien über das in meinen Ohren faszinierendste Subgenre des Heavy Metal: die "Verstaubt & Liegengelassen"-Rubrik etwa beschäftigte sich im Jahr 2009 mit den obskuren und selbst in den Heydays des Thrash unter dem Radar gebliebenen Alben, während "Thrash'n'Spekulatius" meine 20 Lieblingsplatten des Genres auflistete. Beides machte großen Spaß - und wo das gesagt ist, wäre es wirklich mal an der Zeit, die zweite Staffel von "Verstaubt & Liegengelassen" zu planen. Nun ist es jedoch zunächst mal an der Zeit, den ersten Absatz dieses Texts mit dem zweiten zu verknüpfen. Da gibt es nämlich Rede- und Schreibbedarf. 

Die Schlüsselworte des ersten Satzes von weiter oben heißen nämlich "veröffentlichten" und "eigentlich". Denn sehr und übers gesunde Maß hinaus uneigentlich habe ich in beiden Beiträgen/Serien Holy Terror unter den berühmten Tisch fallen lassen. Unter den Teppich gekehrt. Über die Klinge springen lassen. Und das ist auch deswegen ein bisschen blöd, weil ich beide Platten schon sehr lange im Regal stehen habe - damit entfällt dann auch die Ausrede, man könne ja schließlich nicht alles kennen. Das Debut "Terror & Submission" kaufte ich 1997 auf einer Plattenbörse im Kasino der Frankfurter Jahrhunderthalle, nachdem ich an einem Stand mal wieder die Frage aller Fragen stellen musste: 

"Hast Du die "Time Does Not Heal" von Dark Angel auf CD?" 

und umgehend die Standardantwort erhielt: 

"HAHAHAHAHA!" 

Es war zu jener Zeit einfach völlig aussichtslos, den Schwanengesang der besten Thrash Metal Band aller Zeiten im Kleinformat zu bekommen (und wer mehr darüber wissen möchte, wird hier versorgt). Weil der Verkäufer offenbar die mir ins Gesicht gestanzte Enttäuschung so mitleiderregend fand und außerdem noch 20 Mark oder wieviel für den Standgebühr-Break Even fällig waren, hielt er mir schnell "Terror & Submission" von Holy Terror unter die Nase, weil es eben genau so laufen muss: die Verzweiflung über den ausgefallenen Konsum muss sofort mit einer neuen Konsummöglichkeit geheilt werden, fight fire with fire, alle fühlen sich gut, Kapitalismus 1, Leben 0, "schöne" Scheiße. 

"Wenn du Dark Angel magst, dann musst Du die Platte hier haben. Holy Terror. Die klingen genau so. Kannste blind kaufen. Glaub' mir!"  

Und was aus heutiger Sicht völlig absurd erscheint: ich glaubte ihm. Und nahm die Platte mit. Und fand zu Hause heraus, dass Holy Terror so gar nicht nach Dark Angel klangen. Und bis heute nicht klingen. 

Und vielleicht war's dieser herbeihalluzinierte Makel, der mich Holy Terror auch in den folgenden Jahren übergehen, wo nicht ignorieren ließ. Denn auch beim wenig später der Sammlung hinzugefügten zweiten Album "Mind Wars" regte sich über das anerkennende Nicken hinaus nur wenig im Frontallappen, der vermutlich noch immer von Dark Angel träumte. Heute weiß ich: Holy Terror sind etwas für Kenner, und ich war "young, dumb and full of cum" (Maher). Es gibt einfach Bands, die begreift man nicht. Sie sind zu seltsam, kratzbürstig, ungewohnt, einzigartig, und selbst, wenn man kulturell Seltsames, Kratzbürstiges, Ungewohntes und Einzigartiges einigermaßen zu schätzen weiß, ist da eine scheinbar undurchdringliche Mauer zwischen Plattenspieler und dem eigenen Kopf, Herz und Bauch - eine Mauer, die durch die ubiquitäre Mittelmäßigkeit und zum Himmel stinkende Normalität der Genrekonkurrenz nicht kleiner, sondern mit jedem redundanten und bis zur Verwahrlosung ausgewalzten Gitarrenriff, mit jeder aus dem Pleistozän gemopsten Gesangslinie, jedem auf rebellisch getrimmten Spießertext aus dem Darkroom der Jungen Liberalen und jedem lustlos hingewichsten Kitschcover und jeder pappigen Kleberesteproduktion aus Donzdorf immer mächtiger und beengender und luftraubender wird. 

Ich hielt vor ein paar Jahren zum ersten Mal den "Mottek" (Werner Chibulsky) in der Hand, als ich "Mind Wars" mal wieder auf den Plattenteller legte und ich mich plötzlich Luftgitarre spielend und alle fists raisend auf dem Wohnzimmertisch wiederfand. 

Darüber wird nun also zu sprechen sein. Und zu schreiben. Es ist Zeit für eine Rehabilitierung. 

"Bleiben sie dran, ich zähl auf sie."



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