17.03.2010

2000-2009 #13: Shuttle 358 - Frame

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...mUSSmANgEHÖRThABEN

Erschienen auf 12k, 2000


15.03.2010

2000-2009 #12: SF Jazz Collective - s/t


Wie bereits vor knapp zwei Jahren in meiner ersten Besprechung dieses Album erwähnt, wären die musikalischen Jahre 2005 bis 2009 sicherlich ganz anders verlaufen, hätte ich nicht im Sommer 2005 einen hellen (oder schwachen?) Moment gehabt und im Zuge dessen zu einer Platte gegriffen, die mir bis dato völlig unbekannt war. Und hier machte sich mein "Blindkauf"-Prinzip mal wirklich bezahlt: alles was ich hatte, war ein saucooles Artwork, "Jazz" im Bandnamen und eine Platzierung im Fach "Electronica". Letzteres war natürlich der Quadratbeklopptheit eines quatschblinden Mitarbeiters geschuldet, aber ich muss diesem Menschen bis heute dankbar sein, andernfalls hätte ich das Debut des San Francisco Jazz Collective wahrscheinlich nie gefunden, geschweige denn gehört. Und wo stünde ich heute ohne diesen Augenöffner? 

Das SF Jazz Collective war meine erste direkte Auseinandersetzung mit Jazz und ich wäre ohne die Platte sicherlich nicht unbedingt auf die Idee gekommen, es beim nächsten Einkauf doch mal mit Coltranes "A Love Supreme" oder Colemans "The Shape Of Things To Come" zu versuchen. Wobei ich mich leicht korrigieren muss: meine erste Auseinandersetzung mit Jazz fand schon ein paar Wochen zuvor statt, als ich mir Jazzanovas "In Between" kaufte und außerdem die Norweger von Jaga Jazzist mit "A Livingroom Hush" im CD-Player rotierten. Gut, ein Jazz im Bandnamen macht noch keinen Jackie McLean, aber immerhin führten mich beide Scheiben ein bisschen näher an das Thema heran. Insofern war es nur logisch, dass der nächste Schritt mit dem SF Jazz Collective erfolgte - aber es passierte ungeplant und man mag mich nun pathetisch oder durchgeknallt nennen, aber: ich glaube ja nicht an Zufälle. 

Um es kurz zu machen: schon nach der einsetzenden Marimba von Bobby Hutcherson im Opener war ich ihnen hoffnungslos verfallen und meine Begeisterung sollte in den nächsten 50 Minuten nicht nennenswert bröckeln, eher das Gegenteil war der Fall: je mehr ich in ihren megasouverän inszenierten Sound eintauchte und in den folgenden Monaten noch weitere Jazzmusiker kennenlernte und dadurch einen Vergleich erhielt, desto faszinierter war ich von ihrem atemberaubenden Aufbau, von ihrem Gefühl und ihren genialen Interpretationen. Vor allem die Versionen der Ornette Coleman-Stücke, deren krude, staksige Aura perfekt eingefangen, transformiert und neu geboren wurde, ließ mich mit einigen Freudenschreien zurück. 

Für mich ist dieses Debut eines der wichtigsten Alben des zurückliegenden Jahrzehnts und ich frage mich manchmal wirklich, was passiert wäre, hätte ich diese Erfahrung nicht gemacht.

Erschienen auf Nonesuch, 2005

06.03.2010

2000-2009 #11: Nik Bärtsch's Ronin - Stoa


"Stoa" war die richtige Platte zum richtigen Zeitpunkt. Das ECM-Debüt des Schweizer Pianisten Nik Bärtsch erschien just zum Beginn meiner langsam anlaufenden Jazz-Leidenschaft und wie das eben so ist, wenn man noch nicht so recht weiß, wo oben und unten ist, nahm ich gierig alles auf, was sich mir in den Weg stellte. Zu jener Zeit war ECM noch ein faszinierendes Label für mich, mit durchweg tollen, ästhetischen Cover-Artworks, mit weitgehend nokturner, experimenteller Musik - schon irgendwie Jazz, aber nichts davon war mit dem vergleichbar, was ich bis dahin von alten Impulse- oder Blue Note-Aufnahmen kannte. Das war neu für den neugierigen Florian, aufregend, in ihrem nicht greifbaren Charakter fast schon mystische Angelegenheit. Eine Mischung aus Noise, Ambient, Avantgarde und Jazz, die Kritiker zu so manchem Kniefall vor dem Manfred Eicher-Altar verleiteten. Dass meine Faszination mit der Zeit etwas nachließ, weil vieles dann doch redundant und gleichförmig erschien, steht auf einem anderen Blatt. 

"Stoa" fesselte mich im Sommer 2006 an den CD-Player. Nik Bärtschs Musik ist der vertonte Bauplan eines Design-Wolkenkratzers, die musikgewordene Architektur. Was nach Kälte, Sterilität und Emotionslosigkeit klingt, ist in Wahrheit genau das Gegenteil: ein watteweicher, tief im Dunkeln brodelnder Konstruktionstrip durch unterirdische Luftschächte, durch fünf-Sterne Kanäle, durch Bärtschs Zen-gestähltes Musikhirn. Scheinbar bedächtig baut das Quintett seine Musik auf, schichtet nach und nach Ton auf Ton, bis am Ende ein irres Manifest in der verdunkelten, grün-schimmernden Sonne glitzert. Die Stringenz, mit der sie vorgehen, widerspricht dabei prinzipiell ihrer ebenfalls zur Schau gestellten Ruhe, ihr Vorgehen ist unfassbar konkret und durchdacht, dominierend und fast schon aggressiv-fokussiert. Jedes "Modul" steht dabei für sich, sie alle präsentieren sich nach ihrem Abschluss als stolze, überlegene Bergmassive. Alle fünf zusammen formen aus "Stoa" keine banale Songsammlung, sondern vielmehr ein abgeschlossenenes, autistisches Ton- und Gedankensystem, dass jedoch ohne die pulsierende Außenwelt und die Interaktion mit mit derselben nicht existieren kann. Auch hier wird der Widerspruch im selben Moment seiner Präsenz umgehend aufgehoben und erneut ins Gegenteil verkehrt: wo die Zeit unbeeindruckt voranschreitet, ist die Lücke des Stillstands am deutlichsten spürbar. Schwerelos im Raum-Zeit-Kontinuum.

Erschienen auf ECM, 2006

28.02.2010

2000-2009 #10: Napalm Death - The Code Is Red...Long Live The Code


Der Metal von heute ist nicht mehr der Metal von damals und auch wenn es einige Jahre dauerte, bis sich mein Hirn damit abgefunden hatte, dass es an der Zeit ist, etwas auf Distanz mit dem heutigen Getrümmer zu gehen, bin ich mittlerweile weitgehend immun gegen die aktuellen Verlockungen aus Headbangerhausen. In den letzten Jahren gab es selbstverständlich immer wieder positive Überraschungen, manchmal sogar von alten Helden, die man schon lange zuvor abgeschrieben hatte. Napalm Death hatte ich dagegen nie abgeschrieben, und damit sind sie eine große Ausnahme: immer wenn ein neues Napalm Death-Album ansteht, zögere ich keine Sekunde mit einem Kauf. Vorher reinhören? Mumpitz. Da die britische Grindlegende ihren Sound nur in Nuancen weiterentwickelt und verändert, zählt wenigstens für mich nur die einzigartige Energie und unbändige Kraft, die das Quartett immer wieder in der Lage ist, zu entfachen. Im Grunde gilt für Napalm Death-Songs dasselbe, wie für Marillion-Alben: mal gibt es eine Sternstunde, ein anderes Mal darf man es "solide" nennen, ein anderes Mal ist man vielleicht sogar leicht enttäuscht. Wovon ich hingegen niemals enttäuscht war, ist eben ihre unbeschreibliche Wucht. Da macht es sich durchaus bezahlt, dass dickes Hardcore-Blut in ihren Adern fließt. Niemand schreddert schöner, niemand sonst bringt so elegant Wände zum Einstürzen. Als sie vor 5 Monaten das Frankfurter Nachtleben auseinandernahmen, stand ich die knappe Stunde wie vom Honigkuchenpferd geknutscht in der Ecke und war seelig - während die vier Buben auf der Bühne mal mit links alles einäscherten.

Für "The Code Is Red...Long Live The Code" haben sie sich extragroße Mühe gegeben: so viele Klassiker haben sich schon länger nicht mehr auf einer Napalm Death-Platte versammelt. "Silence Is Defeaning" (Grundgütiger!!), "Instruments Of Persuasion", "The Great And The Good" (mit Jello Biaffra als Gastsänger), "Sold Short", "Pledge Yourself To You", "Vegetative State" - Hits, Hits, Hits. Nur diese Band bekommt Hardcore, Crust und Death Metal mit diesem höllischen Groove unter einen Hut, nur diese Band klingt nach über 20 Jahren inmitten stählerner Abrissbirnen immer noch so unverschämt taufrisch, wild und ungestüm. "The Code Is Red...Long Live The Code" ist trotz harter Konkurrenz aus dem eigenen Hause ("Utopia Banished", "Order of the Leech") ihr vielleicht beeindruckendstes Album, und eines der wenigen Metalalben aus dem letzten Jahrzehnt, das ich auch heute noch regelmäßig höre. Bevorzugt im Auto. Totale Apokalypse, echt jetzt.

Erschienen auf Century Media, 2005

13.02.2010

2000-2009 #9: Minus The Bear - Menos El Oso


Ein bei besonderen Alben immer wieder auftretendes Phänomen: Denkt man an eine bestimmte Platte nistet sich sofort die dazu passende Erinnerung im Oberstübchen ein und hört man auch nur einen winzigen Ton davon, ist man sofort wieder Teil dieser Erinnerung, mittendrin. "Menos El Oso", das dritte Studioalbum von Minus The Bear aus Seattle, ist beispielsweise bis an mein Lebensende mit dem Sommer 2005 verknüpft - und mit dessen Verlängerung. Meine Herzallerliebste und ich hielten uns Anfang Oktober für zwei Wochen an Spaniens Mittelmeerküste auf - genauer gesagt in Torremolinos, einem Touristenmoloch Deluxe, aber dennoch: zumindest ich liebte es. Es war traumhaft warm und trotz der Menschenmassen entspannt und friedlich, und unser Appartement, untergebracht in einem großen Betonklotz direkt am Strand, erlaubte uns einen direkten Blick auf das Meer, nebst angemessenem Soundtrack. Mit diesem Blick und diesem Klang schliefen wir ein, und so wachten wir auch wieder auf. Wer uns dabei die letzten und ersten Stunden eines Tages versüßte, war "Menos El Oso". Es ist, als habe sich diese Musik in die Seele gebrannt: noch heute ist es, als schmeckte ich die Meeresbrise oder als wehe gerade der Duft von Sonnencreme an meiner Nase vorbei. Es trifft mich immer noch wie ein Blitz, wenn die Platte läuft. Dieses Gefühl zu "Menos El Oso" war gar so stark, dass ich - obwohl ich spätestens nach dieser Platte völlig unterwürfig war - den Nachfolger "Planets Of Ice" erst zwei Jahre nach dessen Erscheinen hören wollte. 

Wenn ich mich aufmache, den Kern ihrer Musik zu finden und zu beschreiben, bin ich im schlimmsten Fall ein paar Tage unterwegs - es ist nicht leicht. Da ist tatsächlich viel 70er Jahre Prog zu finden, da ist ein bisschen 90er Indie, da ist ein Hauch (Math)Core, und vor allem: ganz, ganz viel Gefühl. Minus The Bear haben einen ganz eigenen Ansatz für ihre Musik gefunden, der sie tatsächlich völlig einzigartig macht. Das ist die Kritikergewäsch-Sicht der Dinge. Die Fan-Sicht lautet: Das ist eine von vorne bis hinten unfassbar große Platte.

Erschienen auf Suicide Squeeze Records, 2005

10.02.2010

2000-2009 #8: Marillion - Marbles


Zugegeben, es gibt coolere Bands und Alben, die man in dieser Aufstellung erwähnen könnte - aber es gibt kaum bessere. Ganz in echt: würde man mir die Knarre auf die Brust setzen und mich fragen, was denn meiner Ansicht nach DAS herausragende Album dieser Dekade gewesen sei, verbunden mit der Warnung, ich solle bloß nicht auf die Idee kommen zwei oder gar drei Scheiben zu nennen, sondern nur eine einzige, weil man andernfalls
den nervösen Zeigefinger am Abzug bewegen müsste, und zwar in eine Richtung, die mir ganz bestimmt nicht gefiele, dann bliebe mir selbst nach sorgfältigstem Abwägen keine andere Wahl, als leise "Marbles" zu stottern. Die britischen Prog-Rocker bündeln offensichtlich einmal pro Jahrzehnt alle verfügbaren Kreativkräfte und schreiben einen Meilenstein. In den achtziger Jahren war es das geniale Debut "Script For A Jester's Tear", die Neunziger bekamen das unglaubliche "Afraid Of Sunlight", während die Nuller also ein Geschenk namens "Marbles" erhielten. Dazwischen gab es mal Hochklassiges wie "Anoraknophobia" oder "Holidays In Eden" und auch mal den ein oder anderen Griff ins Katzenklo. Wie es eben so läuft. Zu ganz besonderen Anlässen jedoch reißt sich der Fünfer mächtig am Riemen und haut die perfekte Platte raus. Also so richtig perfekt, nicht nur halb-, dreiviertel oder fünfsechstel-perfekt.

Die Standardversion von "Marbles" enthält folgerichtig 11 perfekte Kompositionen, die Deluxeversion, die es exklusiv für jene Fans gab, die das Album bezahlten, bevor sie einen Ton davon hörten (und der Band damit die Produktion möglich machten) bringt es gar auf vier Songs mehr. Und ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, zu jubeln. Beim Opener "Invisible Man", vielleicht? Einem 14-minutigen Monster, das viel näher an Pink Floyd als an - wie früher - Genesis erinnert und sich dabei anfühlt, als sei der Spuk bereits nach dreieinhalb Minuten vorbei? Das meine ich mit perfekt: die Band hat auf "Marbles" einen einzigartigen Fluss für ihr Songwriting gefunden, sie hält ihre Musik zu jeder Sekunde dramatisch, einfühlsam, bewegend, spannend und immer am Laufen. In Interviews erzählte Sänger Steve Hogarth von den Writingsessions und darüber, dass sie manchmal zwei Tage mit der Entscheidung verbrachten, ob der nächste Ton ein A oder doch lieber ein C sein sollte. Nun könnte man angesichts solcher Gruselgeschichten dem Vorurteil erliegen, dass damit ja jede Spontanität geradezu zwangsläufig auf der Strecke bleiben musste, aber es ist alles ganz anders: alleine "Invisible Man" schlägt am laufenden Band Haken und spurtet in eine Richtung, um innerhalb weniger Augenblicke wieder eine ganz andere Spur zu verfolgen.
Die Popsingle "You're Gone" ist schönster Melancholiekitsch mit leiser Housenote, "Angelina" ein sphärischer Dunkel-Schummel-Rotlicht-Schunkler, "Fantastic Place" eine sich stetig nach oben schraubende Sternstunde, die gegen Ende in einer hellen Supernova verglüht und eine der ergreifendsten Gesangsleistungen von Steve Hogarth aufbietet. Und apropos Hogarth: der Mann singt völlig (VÖLLIG!) fehlerfrei. Ich meine damit nicht ausschließlich den technischen Aspekt, sondern in erster Linie seine Melodielinien. Man darf diese Songs gar nicht anders singen, sie würden kaputtgehen. Sie würden auseinanderfallen, sie wären nur zur Hälfte da, der Rest wäre weggebröckelt. Hogarth trifft immer (IMMER!) die richtige Entscheidung, die richtige Stimmung, die richtige Klangfarbe. Wie soll ein Mensch den knapp zwölfminütigen Abschlussklumpen "Neverland", vielleicht das Größte und Ergreifendste, was es in diesem Jahrzehnt zu hören gab, besser singen? Es.ist.nicht.möglich.

Marillions möglicherweise größter Pluspunkt ist ihre Souveränität. Sie müssen niemandem mehr etwas an den Instrumenten beweisen, weswegen die Prog-üblichen Frickeleien komplett ausbleiben. Sie schreiben Songs, das ist alles. Und sie tun das mit der Erfahrung von fast 30 Jahren. Sie achten auf den Sound, sie achten auf das Wort, sie achten auf den Ton, sie achten auf die Stimmung. Und sie hegen und pflegen ihre Sprösslinge. Das mag auf den ersten Blick furchtbar spießig wirken, aber das Ergebnis gab ihnen Recht: "Marbles" war für fast ein komplettes Jahr mein täglicher Begleiter. Bis heute kein Funken Langweile in Sicht.

Erschienen auf Racket Records, 2004

04.02.2010

2000-2009 #7: Justin Timberlake - Futuresex/Lovesounds


Ende 2005 tat sich aus musikalischer Sicht eine ganze Menge in meinem Leben. Es reifte die Erkenntnis: "So kann das alles nicht weitergehen."(Uwe Barschel). Stichwort Orientierungslosigkeit. Die krude Mischung aus zuvor gehörtem Indiepop und Postrock wurde wieder einmal zu langweilig und ich wusste: wenn ich jetzt nicht einen Schritt mache, höre ich in drei Monaten nur noch die Singles Top 40, und damit also den Feind. Solange wollte ich nicht warten, also erkor ich die Feindberührung zum ersten Schritt und beschäftigte mich mit dem Antichristen per se: Justin Timberlake. Gut, ich muss zugeben: ein Arbeitskollege schummelte mir schon zwei Jahre vorher Timberlakes Debut "Justified" unter die Mütze und ich musste zerknautscht zugeben, dass mindestens die Hälfte der Tracks echte Hits waren. Ich war also nicht gänzlich unvorbereitet. Allerdings war ich auf die Weiterentwicklung und den Einschlag von "Futuresex/Lovesounds" tatsächlich nicht gefasst. Timberlake holte sich die Unterstützung von Producerlegende Timberland und formte ein Disco-/Club-Album, das vor Funk, Sex, Soul und Love nur so übersprudelte, das zu gleichen Teilen souverän und ausgelassen den Floor beherrschte. Wegweisende Zappelphillip-Groover wie die Single "Sexy Back", dumpf-pumpendes Beat-Geäst im Titelsong, durchgestylten Prince-Funk in "Damn Girl" oder die überdeutliche Jacko-Kampfansage in "Lovestoned": Timberlake ist immer Herr der Lage und ich war so hingerissen, dass ich mir sogar eine Konzertkarte kaufte. Dass der Abend dann trotz warmer Mai-Temperaturen "ein Kalter" war, wie mein Vater immer zu sagen pflegte, steht auf einem anderen Blatt. "Futuresex/Lovesounds" hingegen war und ist ein wichtiger Meilenstein meiner musikalischen Entwicklung und hinterher war wenn auch nicht alles, aber doch so einiges anders. 

Erschienen auf Zomba Recording, 2006. 

31.01.2010

2000-2009 #6: Jud - The Perfect Life


Musikalisch gesehen war ich zu Beginn des Jahrzehnts ganz schön orientierungslos, und es ist schon einigermaßen auffallend, wieviel unerhörten Mist ich gerade in jener Zeit kaufte.
Gerade das Jahr 2001 war im Rückblick vielleicht das Mieseste der ganzen Dekade: viele Enttäuschungen, Trends habe ich entweder verpennt (The Strokes) oder verweigert
(Rest). Und die alte Garde war just im Auflösungsprozess.

Dann kamen Jud. Drei Jahre musste ich auf den Nachfolger des genialen "Chasing California"-Albums warten, bevor das damals noch kalifornische Trio mit "The Perfect Life" mal mit links alles auf, naja, links eben krempelte. Härter und schneller als der Vorgänger, enthält "The Perfect Life" überlebensgroße Hymnen ("Breeze In The Morning", "Killing Time"), melancholische Melodie-Giganten ("The More I Love You", As Long As The Sun Is Out"), tonnenschweren Indie-Doom ("Flake"), schnörkellose Up-Tempo-Rocker ("Fast & Slow") und weise Worte:"Don't fuck the skinny girls, my mama said.". Ich glaube, ich habe in den kommenden Jahren bewusst versucht, solche Songs für meine damalige Band zu schreiben - und ging erwartungsgemäß baden. Was blieb ist ein Album, das mich als Menschen und als Musiker nachhaltig beeinflusst und geprägt hat. 

Erschienen auf Noisolution, 2001.

30.01.2010

2000-2009 #5: Joanna Newsom - Ys

Die seltsame Frau mit der Harfe. Die, die 2006 so ziemlich jeden wortwörtlich verzauberte. Deren Platte von Steve Albini, Jim O'Rourke und Van Dyke Parks produziert wurde und die von letzterem den Vorschlag erhielt, die Werbeanzeigen für "Ys" einfach nur mit einem großen "MUSIC IS BACK" zu versehen. Die für fünf Songs 55 Minuten benötigt und die währenddessen große Geschichten erzählt, die wie Märchen betören und faszinieren. Ein zerzauselter Folksansatz mit Klassikelementen und Weirdo-Ästhetik. "Ys" ist darüber hinaus womöglich ein gutes Beispiel für erstklassige Produzentenarbeit: wie die einzelnen Teile zu einem großen Ganzen zusammengefügt wurden, mit welcher Raffinesse und Übersicht beispielsweise das Orchester in die überlangen Kompositionen eingepasst wurde ist aller Ehren wert und half aus meiner Sicht dabei, das Album zu einem modernen Klassiker zu formen. Und wo das gesagt ist, möchte ich hinzufügen, dass ich damit Joanna Newsoms Anteil an der Perfektion von "Ys" nicht schmälern möchte. Am Ende fließt das eine ins andere und ohne ihre unwirkliche Elfenstimme und ihren kruden Charme wäre "Ys" sicher nicht der Meilenstein des Jahrzehnts geworden, vor dem ich auch heute noch regelmäßig den Gebetsteppich ausrolle. Flawless.

Erschienen auf Drag City, 2006

28.01.2010

2000-2009 #4: I'm Not A Gun - We Think As Instruments


Ein ungleiches Paar: Techno-DJ John Tejada und der japanische Jazzgitarrist Takeshi Nishimoto lösen die Grenzen zwischen analoger und digitaler Musik mit einem Wisch auf und erschaffen mit "We Think As Instruments" einen träumerisch-beseelten Sound, der im großen Klang-Schmelzkessel leise vor sich hinköchelt. Getragen von der gemeinsamen Vision für ihre Musik, schlängeln sich die beiden durch Jazz-, Chicago Postrock-, Klassik- und Folk-Terrain, ohne sich dabei lediglich auf die Wirkung eines japanischen Gartens in den frühen Morgenstunden, kurz nach Sonnenaufgang und leichtem Nieselregen zu verlassen. Dass "We Think As Instruments" trotz der ätherischen Ausrichtung eine großartige Songsammlung ist, erkennt man auch gut im direkten Vergleich mit seinem zwei Jahre später erschienenen Nachfolger "Mirror", der zwar die selben Zutaten verwendete, aber um einiges schludriger und uninspirierter klang. Wer's nicht glaubt, hört einfach das wunderbar ausgewogene "Blue Garden", mit dem man jeden verdammten Frühlings-/Sommer-/Herbsttag aufstehen, frühstücken und Zeitung lesen möchte. 

Vielleicht ist der Drops auch nach dieser Platte einfach gelutscht: viel besser mag man es sich kaum vorstellen. Und dieses Cover....ALSO DIESES COVER!!!!

Erschienen auf City Centre Offices, 2006

24.01.2010

2000-2009 #3: Godspeed You! Black Emperor - Yanqui U.X.O.

Auch wenn sich für das vorerst letzte Godspeed You! Black Emperor-Album der dank beeindruckender Werke wie "f#a#infinity" oder "Lift Your Skinny Fists Like Antennas To Heaven" in den Jahren zuvor mächtig aufgewirbelte Staub wieder etwas gelegt hatte, und einige Quatschköppe den Kanadiern gar Wiederholung und zunehmende Irrelevanz vorwarfen, ist "Yanqui U.X.O." für mich ein weiterer, wenn nicht sogar der definitve Meilenstein im Schaffen dieser außergewöhnlichen Band, und damit gleichzeitig das letzte wirklich wichtige und große Postrock-Album. Danach gab es für dieses Genre keine offenen Fragen mehr, sondern nur noch in Granit eingemeißelte und für jeden immer und überall sicht- und hörbare Antworten. Die Band erfand das Rad auf ihrem vierten Album natürlich nicht neu, aber sie perfektionierte es. Und sie tat es mit einer gewaltigen Wucht und Wut, mit großer Leidenschaft und großer Verachtung für diejenigen, die diese Welt in den Dreck ziehen. Sowohl der Titel (Yanqui ist das spanische Wort für Yankee, U.X.O. steht für "unexploded ordnance", also nicht zur Explosion gelangte Bomben oder Granaten), als auch das komplette Artwork mit den auf der Rückseite abgedruckten Verflechtungen großer Major-Labels mit der Rüstungsindustrie, verdeutlichen den politischen Anspruch des Kollektivs. Die instrumentalen, überlangen Kompositionen sind noch mächtiger und bedrohlicher als zuvor und scheinen einer Bestimmung zu folgen, die schon feststeht, noch bevor sich die Band mit schwerem Flügelschlag in die Lüfte erhebt. "Yanqui U.X.O." zeigt eine zwischen Aufopferung und Resignation gespaltene Band, die nicht mehr entscheiden konnte, ob die Wut oder die Ohnmacht die Oberhand behalten sollte. Und ich finde, dass die 2005 offiziell eingelegte Pause diesen Zwiespalt bis heute anschaulich illustriert und am Leben hält - was einiges über die Band, also ihre (Selbst)Wahrnehmung, ihr Selbstverständnis und ihre Reflexion der bestehenden Verhältnisse aussagt.

Das ist kein Egoismus, das ist ein knallharter Kampf. Und dass sie gekämpft haben für diese Platte - man hört es ihr an. 

Erschienen auf Constellation Records, 2002

21.01.2010

2000-2009 #2: Burial - Burial


Burials Debut kam meiner Idealvorstellung von elektronischer Musik geradewegs gefährlich nahe: zappenduster, obskur, futuristisch, inspirierend und trotz so manchem Querverweis im Oberstübchen und Vergleichen zu Science Fiction Filmen wie Blade Runner wunderbar klischeefrei. "Burial" glüht pechschwarz, seine fremdartigen und unheilverkündenden Beats peitschen matte Asche durch eine tote Stadt, in der das einzige Licht einer flackernden Neonröhre von einer längst verlassenen Bar stammt. Jeder Schritt auf dieser Asche knarzt und hallt sekundenlang nach. Luft anhalten, immer wieder umdrehen, immer auf der Hut. Das ist in der Stringenz riesig und versüßte so manchen Spaziergang im Augustregen des Jahres 2006. Schade, dass Burial in der Folge etwas den Fokus verlor und für den Nachfolger "Untrue" mit noch mehr Vocal- und Soul-Elementen experimentierte. Damit wurde er zwar massentauglicher, die ängstliche Aufregung seines Debuts wich dagegen leider einer konstruiert wirkenden, melancholischen Mainstreamsoße, in der sich bald jeder Piefke wiederfinden konnte, der in der Großraumdisse keine "Ficke" (J.Riewa) mehr abbekommen hat. Du weißt, dass es vorbei ist, wenn selbst die Arschgeigen der Qualitätsblätter FHM oder Men's Health über Deine Musik losrülpsen ("Toller Soultechno vom großen Unbekannten. Perfekt für das Runterkommen nach der durchtanzten Nacht." - 5 von 5 Sternen von Europas härtester Musikredaktion).


"Aber Flo, sowas kannst Du doch nicht schreiben, das macht doch die Musik nicht schlechter...!" - Okay, lass mich das detailliert und ausgiebig überdenk...huch, fertig: DOCH!

Get over it.

Erschienen auf Hyperdub, 2006.

17.01.2010

2000-2009 #1: Bohren Und Der Club Of Gore - Black Earth

Als ich im Winter 1999 mit meiner heutigen Ehefrau zusammenkam und eine Wochenendbeziehung das Maß aller, weil eben auch das Einzige aller Dinge war, verbrachten wir die meisten Wochenenden innerhalb ihrer vier Nürnberger Wände und, sagen wir es ruhig offen: im Bett herumlungernd, wenn nicht -gammelnd. Es gab Zeiten, in welchen von Freitag- bis Sonntagabend "Within The Realms Of A Dying Sun" von Dead Can Dance lief. Durchgehend, am laufenden Band. Ich glaube, wir ließen es sogar dann laufen, wenn wir draußen das Nachtleben erkundeten und drückten auch dann nicht die Stopptaste, wenn wir tatsächlich schlafen wollten. Es war kalt, der Schnee fiel und durch das große Schlafzimmerfenster konnten wir in den Hinterhof blicken, der sich langsam in eine Winterlandschaft verwandelte. Dead Can Dance war unser Soundtrack für diese Stunden. Drei Jahre und drei Wohnungen später residierten wir gemeinsam in Hessen-Hitler-City, der Autor war gesundheitlich schwer angeschlagen und hatte viele gute Gründe, viel und gut im, richtig: Bett, zu liegen. Diesmal lieferten Bohren und der Club Of Gore den Soundtrack für eine ungleich schwierigere, bedrückendere Zeit und spendeten doch Hoffnung und Trost: ihr Doom-Jazz schleppte sich ebenfalls stundenlang wie ein schwarzer Schleier durch die Wohnung, beruhigte aber eher, als dass er aufwühlte. Die extreme Langsamkeit ihrer Musik manipulierte meine Wahrnehmung von Zeit, und ich glaube, dass dies genau der Schlüssel war, dem ich das passende Schloss entgegensetzte. Eine wichtige und einschneidende Zeit, weshalb "Black Earth" den Vorzug vor dem ebenfalls völlig beeindruckenden Nachfolger "Geisterfaust" aus dem Jahr 2005 erhält. 

Erschienen auf Wonder, 2002.