11.10.2020

Rehab (6): Holy Terror - Guardians Of The Netherworld: A Tribute To Keith Deen

 




HOLY TERROR - GUARDIANS OF THE NETHERWORLD: A TRIBUTE TO KEITH DEEN


Wir kommen zum Abschluss der frisch aus dem Blogboden gestampften Rehab-Serie über die legendären Holy Terror und werfen den letzten Blick auf eine zum wiederholten Male obskur anmutende posthume Veröffentlichung der Band. 

Im Jahr 2015 erschien dieser Tribut an den 2012 verstorbenen Sänger Keith Deen und was für die LPs von "El Revengo" und "Live Terror" galt, muss auch für "Guardians Of The Netherworld" gesagt werden. Für Die-Hard-Fans, Alles-Sammler und Vinylnerds gibt es vermutlich nur wenige aufkommende Zweifel hinsichtlich der Frage, ob dafür das Portemonnaie tatsächlich geöffnet werden sollte. Das größte Plus ist auch hier das Design, die Verpackung und die spürbare Liebe zu dieser Band: das Album erschien in einer auf 500 Stück limitierten Vinylausgabe mit drei Versionen/Farben (200 Stück in Rot, 200 Stück in Schwarz und 100 grüne Exemplare über den Shop von Dark Descent Records), ummantelt von einem 350g schweren, hochwertigen Klappcover mit exklusivem Artwork von Rick Araluce, der bereits die Designs für "Terror & Submission", "Mind Wars" und "El Revengo" kreierte. Hinzu kommen eine Fotocollage sowie ausführliche Liner Notes mit Erinnerungen und Erzählungen von ehemaligen Weggefährten Deens sowie Band-Intimus Scott Lambert und A.A.Mentheanga von Primoridal. 

Musikalisch ist die Zusammenstellung vor allem wegen des erstmals auf Schallplatte/CD erhältlichen Demos mit vier Songs von 1986 interessant. Das gefühlt mehrere Wochen dauernde Intro "Blessed Sacrament" wurde für das Debut gestrichen, dafür fanden aber die Speedpeitsche "Black Plague", das an frühen US Metal angelehnte, mit tollen Gitarrenharmonien ausgestattete  "Distant Calling" und der deutlich von der New Wave Of British Heavy Metal beeinflusste Klassiker "Guardians Of The Netherworld" den Weg auf "Terror And Submission". Klanglich ist das Demo im Vergleich mit dem später erschienenen Album zwar vor allem im Schlagzeug- und Gitarrenbereich etwas verwaschener und dumpfer, aber bei Weitem keine Katastrophe. Bemerkenswert sind allerdings die vor allem bei "Black Plague" zu hörenden Gesangsarrangements, die auf dem Demo dank einiger hinzugefügten Überblendungen und Harmonien sowohl ausgefeilter als auch melodischer sind. Leider wurden sie für die spätere Albumproduktion über Bord geworfen. 

Über das Demo hinaus dürfen sich Fans auf weitere Liveaufnahmen freuen, dieses Mal von zwei 1988 mitgeschnittenen Konzerten in Washington DC und New Orleans. Ich freute mich besonders auf das in New Orleans gespielte "Mortal Fear", das es offenbar nur selten in die Setlist schaffte und auf "Live Terror" erst gar nicht vertreten war. Während die Soundqualität der Show in Washington für eine Soundboardaufnahme im Jahr 1988 unter Bootleg-Maßstäben (und etwas anderes sollte hier wirklich nicht angelegt werden) durchaus in Ordnung geht, ist der eingefangene Klang des Gigs in New Orleans selbst für hartgesottene Allesgutfinder wie meinereiner wenigstens diskussionswürdig - was in Hinblick auf "Mortal Fear" doppelt schade ist, weil damit die sich vor allem im Refrain zeigende Wucht der Riffs komplett in Luft auflöst. Gegen Ende des Sets habe ich den Eindruck, es würde etwas besser werden, aber vielleicht ist das nur die einsetzende Gewöhnung. 

Ich erwähnte bereits in den vorangegangenen Beiträgen, dass die Aufteilung der in den letzten zehn Jahren erschienenen Alben und Zusammenstellungen Holy Terrors mit all ihren unterschiedlichen Versionen wirklich keine Ruhmestat, sondern ehrlich gesagt ziemlich ärgerlich ist. Da ist zwar einerseits der legitime Anspruch erkennbar, dem Vermächtnis dieser Band gerecht zu werden und ihre Musik gebührend zu feiern oder sie auch nur endlich verfügbar zu machen, andererseits wird ein selbst auf diesem kommerziell sicher alles andere als funkensprühenden Niveau ungewöhnlicher Geruch der ehrlosen Gewinnmaximierung deutlich. Die CD-Version von "Guardians Of The Netherworld: A Tribute To Keith Deen" hat eine im Vergleich zur Vinylfassug nochmals veränderte Tracklist und präsentiert anstatt des Gigs in New Orleans einen Mitschnitt von der 1987er Europatournee mit D.R.I. in Kopenhagen - immerhin in befriedigender Soundqualität. Und die 2017 auf Dissonance Productions erschienene Werkschau "Total Terror" (unter dem folgenden eingebetteten Bandcamp Player übrigens für schlappe 8 Euro zum Download zu bekommen!) bietet zwar beide Studioalben plus "El Revengo" nebst den auf "Live Terror" enthaltenen Livetracks, verzichtet aber komplett auf den "Guardians Of The Netherworld"-Tribut und ist damit ebenfalls unvollständig. Es ist zum aus der Haut fahren. Immerhin hat man dafür den passenden Soundtrack:


 

Ich kann hier nur spekulieren, aber es scheint, als hätte jemand im Umfeld der Band unterschiedliche Verträge mit unterschiedlichen Labels abgeschlossen und damit jeder Partei unterschiedliche Veröffentlichungslizenzen zugeteilt. Die Rechte für die Wiederveröffentlichung der beiden Studioalben als Paket im Doppel-CD Format wurden über den Zeitraum von 1998 bis 2009 an gleich drei Labels vergeben, die CD-Versionen von "El Revengo und "Live Terror" gingen an Blackend, die Vinylfassung hingegen an Back In Black, einem Tochterlabel von Let Them Eat Vinyl, das seine Schallplatten übrigens bei der traditionell mit der Qualitätskontrolle kämpfenden GZ Media pressen lässt. Das Vinyl von "Guardians Of The Netherworld" dürfen The Crypt herausbringen (die "Ugly" von Wargasm mit einem katastrophalen Masteringfehler zersägten), die CD ging an Dark Descent. Und schlussendlich wurde die nun gar nicht mehr so totale "Total Terror"-Box Dissonance Productions zugeteilt. Ich fasse also zusammen: zig Labels, zig Formate, zig Versionen, zig unterschiedliche Songlisten. Wer das alles kauft muss ja ganz schön bescheu...OH HALLO!

Am Ende fällt's dann aber doch, Selbstreflektion und -erkenntnis sei Dank, wieder mal schwer, mit dem Finger auf diesen Saustall zu zeigen und sich zu echauffieren, wenn der ganze Scheiß sich nun eben auf dem heimischen Plattenteller dreht und also gekauft wurde. Denn wenn's keiner kauft, wird's nicht produziert, das regelt eben der Markt und der Markt bin ich. Und Du. Und wir alle. Bis wir uns diesen systemisch so komplex wie banal zusammengedrechselten Schuh nicht endlich anziehen wollen, lauschen wir lieber dem Schweinesystem, das uns unentwegt "Schnauze!" zuruft und damit alles so leicht, einfach, hell und bunt macht. Und halten, genau: die Schnauze. 

Wenn's perfekt läuft, freuen wir uns bis zum finalen Untergang wenigstens über die Musik. 







Erschienen auf The Crypt/Dark Descent, 2015.


04.10.2020

Rehab (5): Holy Terror - Live Terror




HOLY TERROR - LIVE TERROR

Zum Abschluss des vorangegangenen Beitrags zur sehr bizarr kuratierten Zusammenstellung "El Revengo" kündigte ich einerseits bereits an, dass es noch etwas zu zwei bis drei Handvoll Liveaufnahmen Holy Terrors zu sagen gäbe, andererseits ließ ich mir auch sehr reflektiert ins Oberstübchen schauen und also durchblicken, nur totale Quatschköppe würden wirklich diese Schallplatten kaufen - und zu beiden Einlassungen darf ich nun mit dem mir eigenen schlichten Gemüt in Herz und Seele sagen: hier sind wir also. Und Olli "Golfball" Kahn ist auch da. Versprochen ist schließlich versprochen. 

Parallel zur Veröffentlichung der Vinylversion von "El Revengo" im Jahr 2017 entschloss man sich bei Back In Black offensichtlich dazu, die zehn Jahre zuvor auf der CD/DVD-Ausgabe erschienenen Livesongs nochmal separat unter dem Titel "Live Terror" unter die Leute zu bringen. Für die Schnittmenge aus Holy Terror-Fans, Alles-Sammlern und Vinyl-Nerds ist das natürlich schön - zumal wie im Falle der "El Revengo"-Platte sowohl der Preis als auch die Qualität stimmt: "Live Terror" erschien als Doppel-LP auf Clear/Splatter-Vinyl im dicken Papp-Gatefold mit großen und schicken schwarz-weiß Bildern im Innencover und bedruckten (wenngleich ungefütterten) Inlays und kostet bei deutschen Versandhändlern gerade mal um die 18 Euro.

Die Aufnahmen stammen von Konzerten in Dendermonde (Belgien), Fort Lauderdale (Florida) und Mailand (Italien). Leider gibt es auch nach ausgiebiger Recherche keine verlässlichen Datumsangaben der jeweiligen Shows - ein auf Youtube hochgeladener und am Ende dieses Beitrags eingebetteter Audiomitschnitt eines Gigs in Dendermonde mit fast identischer Setlist und nur minimal abweichender Songreihenfolge ist auf September 1987 datiert und fand damit vor dem Release des zweiten Albums "Mind Wars" statt - eine Ansage Keith Deens vor "This Immoral Wasteland", dass es sich hierbei um einen neuen Song handele, den die Band noch nie zuvor live gespielt hätte, lässt Rückschlüsse zu, dass dieser Gig tatsächlich für "Live Terror" verwendet wurde. Dies wäre folglich zur Zeit der ersten Europatournee der Band gewesen, die sie im Vorprogramm von D.R.I. bestritt. Zu den restlichen Songs von den Shows in Florida und Italien gibt es leider gar keine weiterführenden Informationen.   

Für echte Fans von Holy Terror sind die 14 Songs von "Live Terror" sicherlich ein Fest - nicht zuletzt, weil die Aufnahmen zeigen, wie tight die Band auf der Bühne spielte und welch ein guter Sänger Keith Deen selbst mit grob veranschlagten 18 Promille noch war. Vor allem die wahnsinnig intensiven Tracks des zweiten Studioalbums "Mind Wars", allen voran "Debt Of Pain" und das unwiderstehliche "Christian Resistance", klingen angesichts der unter den bestenfalls als prekär zu bezeichnenden Umständen der Aufnahmen und für das Jahr 1987 wirklich überraschend gut. Vor allem aber klingen sie live, unbearbeitet, roh - inklusive einiger Lautstärkeschwankungen, die sich auf das Album geschlichen haben. Wer ein Ohr auf die seit mindestens 20 Jahren im Metal-Mainstream veröffentlichten sogenannten Live-Alben wirft und sich angesichts ihrer klanglichen Generalüberholung inklusive der nachträglich hinzugefügten, peinlichen und stets überaus künstlich klingenden Zuschauerreaktionen nicht bereits bei Erstkontakt zunächst verascht fühlt und sich anschließend reflexartig vollkotzt, wird "Live Terror" also sicher verschmähen. Und das ist auch richtig so, whimps and posers, leave the fucking hall! Was allerdings ebenso richtig ist: es ist überhaupt nicht notwendig, die Unzulänglichkeiten einer besinnungslos ranschmeißerischen und in potemkinschen Dörfern Megaparties feiernden Metalszene heranzuziehen, um "Live Terror" in besserem Licht erscheinen zu lassen. 

"Live Terror" ist das Zeugnis einer wahrhaft außergewöhnlichen und sehr zu Unrecht übersehenen Band. 




Erschienen auf Back In Black, 2017.