31.12.2011

2011 #17 - Ricardo Donoso °° Progress Chance


Verschwommeness is the new Jean Michel Jarre. Und alles, was wir jetzt hier noch brauchen, ist der Mahagoni-Raumteiler (Gewicht: 13 Tonnen), Metaxa in der versteckten Schnapshöhle und Karin-Tietze Ludwig als Fernsehprogrammansagerin für einen Dokumentarfilm in der ARD. Es ist Sonntag der 27.April im Jahr 1986. Irgendwas mit Raumschiffen in Supermärkten oder rote Blutkörperchen in bayrischen Trachtenkostümen, die Kir Royal saufen. Also, die Trachtenkostüme jetzt.

Der gebürtige Brasilianer Ricardo Donoso, mittlerweile fester und wichtiger Bestandteil der Elektronikszene Bostons, hat auf "Progress Chance", trotz seiner Ausbildung als Jazz-Schlagzeuger, nicht nur die Techno-Bassdrum entfernt, er hat auch den Techno entfernt. Dafür nutzt er seinen Synthie heute als Erinnerung an Goa und Trance-Parties aus seiner Jugend und an die "Morning Dance Music", mit der er als Teil der brasilianischen Raveszene in Kontakt kam.

"Progress Chance" ist dunkel und mysteriös. Die Musik atmet leise und langsam, unterirdisch. Sie ist feingliedrig, doch massiv in ihrer Wurzel, sie pulsiert wie eine Herzkammer und pumpt fortwährend neue Bilder und Ideen in die Köpfe. Und sie könnte locker für mehrere Tage in Endlosschleife laufen.

Als ich vor einigen Wochen, nach den ersten Durchläufen, via Twitter darauf aufmerksam machte, dass vor allem die fantastische B-Seite, und dort speziell der Opener "Morning Criminal" klinge, als hätte man Jean Michel Jarre unter Valium gesetzt und an einen Synthie von immensen Ausmaßen gerollt, folgte nur wenige Minuten später die Weiterverbreitung der Mitteilung von Donosos Twitteraccount - offenbar gefiel ihm die Einschätzung. Karin Tietze Ludwig tanzt dazu nackt den Fruchtbarkeitstanz um die Lottokugel, Dieter Thomas Heck badet in Aquavit und wir gucken gemeinsam "Die Phantastische Reise" von 1966. Dazu gibt's Auberginenchips.

Erschienen auf Digitalis, 2011.

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