31.01.2010

2000-2009 #6: Jud - The Perfect Life


Musikalisch gesehen war ich zu Beginn des Jahrzehnts ganz schön orientierungslos, und es ist schon einigermaßen auffallend, wieviel unerhörten Mist ich gerade in jener Zeit kaufte.
Gerade das Jahr 2001 war im Rückblick vielleicht das Mieseste der ganzen Dekade: viele Enttäuschungen, Trends habe ich entweder verpennt (The Strokes) oder verweigert
(Rest). Und die alte Garde war just im Auflösungsprozess.

Dann kamen Jud. Drei Jahre musste ich auf den Nachfolger des genialen "Chasing California"-Albums warten, bevor das damals noch kalifornische Trio mit "The Perfect Life" mal mit links alles auf, naja, links eben krempelte. Härter und schneller als der Vorgänger, enthält "The Perfect Life" überlebensgroße Hymnen ("Breeze In The Morning", "Killing Time"), melancholische Melodie-Giganten ("The More I Love You", As Long As The Sun Is Out"), tonnenschweren Indie-Doom ("Flake"), schnörkellose Up-Tempo-Rocker ("Fast & Slow") und weise Worte:"Don't fuck the skinny girls, my mama said.". Ich glaube, ich habe in den kommenden Jahren bewusst versucht, solche Songs für meine damalige Band zu schreiben - und ging erwartungsgemäß baden. Was blieb ist ein Album, das mich als Menschen und als Musiker nachhaltig beeinflusst und geprägt hat. 

Erschienen auf Noisolution, 2001.

30.01.2010

2000-2009 #5: Joanna Newsom - Ys

Die seltsame Frau mit der Harfe. Die, die 2006 so ziemlich jeden wortwörtlich verzauberte. Deren Platte von Steve Albini, Jim O'Rourke und Van Dyke Parks produziert wurde und die von letzterem den Vorschlag erhielt, die Werbeanzeigen für "Ys" einfach nur mit einem großen "MUSIC IS BACK" zu versehen. Die für fünf Songs 55 Minuten benötigt und die währenddessen große Geschichten erzählt, die wie Märchen betören und faszinieren. Ein zerzauselter Folksansatz mit Klassikelementen und Weirdo-Ästhetik. "Ys" ist darüber hinaus womöglich ein gutes Beispiel für erstklassige Produzentenarbeit: wie die einzelnen Teile zu einem großen Ganzen zusammengefügt wurden, mit welcher Raffinesse und Übersicht beispielsweise das Orchester in die überlangen Kompositionen eingepasst wurde ist aller Ehren wert und half aus meiner Sicht dabei, das Album zu einem modernen Klassiker zu formen. Und wo das gesagt ist, möchte ich hinzufügen, dass ich damit Joanna Newsoms Anteil an der Perfektion von "Ys" nicht schmälern möchte. Am Ende fließt das eine ins andere und ohne ihre unwirkliche Elfenstimme und ihren kruden Charme wäre "Ys" sicher nicht der Meilenstein des Jahrzehnts geworden, vor dem ich auch heute noch regelmäßig den Gebetsteppich ausrolle. Flawless.

Erschienen auf Drag City, 2006

28.01.2010

2000-2009 #4: I'm Not A Gun - We Think As Instruments


Ein ungleiches Paar: Techno-DJ John Tejada und der japanische Jazzgitarrist Takeshi Nishimoto lösen die Grenzen zwischen analoger und digitaler Musik mit einem Wisch auf und erschaffen mit "We Think As Instruments" einen träumerisch-beseelten Sound, der im großen Klang-Schmelzkessel leise vor sich hinköchelt. Getragen von der gemeinsamen Vision für ihre Musik, schlängeln sich die beiden durch Jazz-, Chicago Postrock-, Klassik- und Folk-Terrain, ohne sich dabei lediglich auf die Wirkung eines japanischen Gartens in den frühen Morgenstunden, kurz nach Sonnenaufgang und leichtem Nieselregen zu verlassen. Dass "We Think As Instruments" trotz der ätherischen Ausrichtung eine großartige Songsammlung ist, erkennt man auch gut im direkten Vergleich mit seinem zwei Jahre später erschienenen Nachfolger "Mirror", der zwar die selben Zutaten verwendete, aber um einiges schludriger und uninspirierter klang. Wer's nicht glaubt, hört einfach das wunderbar ausgewogene "Blue Garden", mit dem man jeden verdammten Frühlings-/Sommer-/Herbsttag aufstehen, frühstücken und Zeitung lesen möchte. 

Vielleicht ist der Drops auch nach dieser Platte einfach gelutscht: viel besser mag man es sich kaum vorstellen. Und dieses Cover....ALSO DIESES COVER!!!!

Erschienen auf City Centre Offices, 2006

24.01.2010

2000-2009 #3: Godspeed You! Black Emperor - Yanqui U.X.O.

Auch wenn sich für das vorerst letzte Godspeed You! Black Emperor-Album der dank beeindruckender Werke wie "f#a#infinity" oder "Lift Your Skinny Fists Like Antennas To Heaven" in den Jahren zuvor mächtig aufgewirbelte Staub wieder etwas gelegt hatte, und einige Quatschköppe den Kanadiern gar Wiederholung und zunehmende Irrelevanz vorwarfen, ist "Yanqui U.X.O." für mich ein weiterer, wenn nicht sogar der definitve Meilenstein im Schaffen dieser außergewöhnlichen Band, und damit gleichzeitig das letzte wirklich wichtige und große Postrock-Album. Danach gab es für dieses Genre keine offenen Fragen mehr, sondern nur noch in Granit eingemeißelte und für jeden immer und überall sicht- und hörbare Antworten. Die Band erfand das Rad auf ihrem vierten Album natürlich nicht neu, aber sie perfektionierte es. Und sie tat es mit einer gewaltigen Wucht und Wut, mit großer Leidenschaft und großer Verachtung für diejenigen, die diese Welt in den Dreck ziehen. Sowohl der Titel (Yanqui ist das spanische Wort für Yankee, U.X.O. steht für "unexploded ordnance", also nicht zur Explosion gelangte Bomben oder Granaten), als auch das komplette Artwork mit den auf der Rückseite abgedruckten Verflechtungen großer Major-Labels mit der Rüstungsindustrie, verdeutlichen den politischen Anspruch des Kollektivs. Die instrumentalen, überlangen Kompositionen sind noch mächtiger und bedrohlicher als zuvor und scheinen einer Bestimmung zu folgen, die schon feststeht, noch bevor sich die Band mit schwerem Flügelschlag in die Lüfte erhebt. "Yanqui U.X.O." zeigt eine zwischen Aufopferung und Resignation gespaltene Band, die nicht mehr entscheiden konnte, ob die Wut oder die Ohnmacht die Oberhand behalten sollte. Und ich finde, dass die 2005 offiziell eingelegte Pause diesen Zwiespalt bis heute anschaulich illustriert und am Leben hält - was einiges über die Band, also ihre (Selbst)Wahrnehmung, ihr Selbstverständnis und ihre Reflexion der bestehenden Verhältnisse aussagt.

Das ist kein Egoismus, das ist ein knallharter Kampf. Und dass sie gekämpft haben für diese Platte - man hört es ihr an. 

Erschienen auf Constellation Records, 2002

21.01.2010

2000-2009 #2: Burial - Burial


Burials Debut kam meiner Idealvorstellung von elektronischer Musik geradewegs gefährlich nahe: zappenduster, obskur, futuristisch, inspirierend und trotz so manchem Querverweis im Oberstübchen und Vergleichen zu Science Fiction Filmen wie Blade Runner wunderbar klischeefrei. "Burial" glüht pechschwarz, seine fremdartigen und unheilverkündenden Beats peitschen matte Asche durch eine tote Stadt, in der das einzige Licht einer flackernden Neonröhre von einer längst verlassenen Bar stammt. Jeder Schritt auf dieser Asche knarzt und hallt sekundenlang nach. Luft anhalten, immer wieder umdrehen, immer auf der Hut. Das ist in der Stringenz riesig und versüßte so manchen Spaziergang im Augustregen des Jahres 2006. Schade, dass Burial in der Folge etwas den Fokus verlor und für den Nachfolger "Untrue" mit noch mehr Vocal- und Soul-Elementen experimentierte. Damit wurde er zwar massentauglicher, die ängstliche Aufregung seines Debuts wich dagegen leider einer konstruiert wirkenden, melancholischen Mainstreamsoße, in der sich bald jeder Piefke wiederfinden konnte, der in der Großraumdisse keine "Ficke" (J.Riewa) mehr abbekommen hat. Du weißt, dass es vorbei ist, wenn selbst die Arschgeigen der Qualitätsblätter FHM oder Men's Health über Deine Musik losrülpsen ("Toller Soultechno vom großen Unbekannten. Perfekt für das Runterkommen nach der durchtanzten Nacht." - 5 von 5 Sternen von Europas härtester Musikredaktion).


"Aber Flo, sowas kannst Du doch nicht schreiben, das macht doch die Musik nicht schlechter...!" - Okay, lass mich das detailliert und ausgiebig überdenk...huch, fertig: DOCH!

Get over it.

Erschienen auf Hyperdub, 2006.

17.01.2010

2000-2009 #1: Bohren Und Der Club Of Gore - Black Earth

Als ich im Winter 1999 mit meiner heutigen Ehefrau zusammenkam und eine Wochenendbeziehung das Maß aller, weil eben auch das Einzige aller Dinge war, verbrachten wir die meisten Wochenenden innerhalb ihrer vier Nürnberger Wände und, sagen wir es ruhig offen: im Bett herumlungernd, wenn nicht -gammelnd. Es gab Zeiten, in welchen von Freitag- bis Sonntagabend "Within The Realms Of A Dying Sun" von Dead Can Dance lief. Durchgehend, am laufenden Band. Ich glaube, wir ließen es sogar dann laufen, wenn wir draußen das Nachtleben erkundeten und drückten auch dann nicht die Stopptaste, wenn wir tatsächlich schlafen wollten. Es war kalt, der Schnee fiel und durch das große Schlafzimmerfenster konnten wir in den Hinterhof blicken, der sich langsam in eine Winterlandschaft verwandelte. Dead Can Dance war unser Soundtrack für diese Stunden. Drei Jahre und drei Wohnungen später residierten wir gemeinsam in Hessen-Hitler-City, der Autor war gesundheitlich schwer angeschlagen und hatte viele gute Gründe, viel und gut im, richtig: Bett, zu liegen. Diesmal lieferten Bohren und der Club Of Gore den Soundtrack für eine ungleich schwierigere, bedrückendere Zeit und spendeten doch Hoffnung und Trost: ihr Doom-Jazz schleppte sich ebenfalls stundenlang wie ein schwarzer Schleier durch die Wohnung, beruhigte aber eher, als dass er aufwühlte. Die extreme Langsamkeit ihrer Musik manipulierte meine Wahrnehmung von Zeit, und ich glaube, dass dies genau der Schlüssel war, dem ich das passende Schloss entgegensetzte. Eine wichtige und einschneidende Zeit, weshalb "Black Earth" den Vorzug vor dem ebenfalls völlig beeindruckenden Nachfolger "Geisterfaust" aus dem Jahr 2005 erhält. 

Erschienen auf Wonder, 2002.

16.01.2010

Unter Tage

Puh, lange nicht mehr gesehen. Wie geht's? Alles gut? 

Ein frohes neues Jahr, natürlich noch. Nachträglich. Hörte zwar kürzlich, man dürfe das nach dem, äh, sechsten Januar nicht mehr wünschen, aber gut...geschenkt. 

Wie der ein oder andere ja vielleicht schon weiß, startete ich vor drei Monaten gemeinsam mit meinem neuen Job in eine hellrosaleuchtende Zukunft, die mich abseits des Büros jedoch und von Zeit zu Zeit ziemlich mürbe macht. Das also ist der Grund für eine ungewöhnlich lange Funkstille, und während Euch jeder bloggende Piepmatz zum Jahresende mit Jahres- und Dekadenlisten verwöhnte, stand hier: nix. Da haben wir alle nochmal Glück gehabt. "Verstehen Sie bloß, diese Verantwortung!" (V.Pispers), jedenfalls: wenn's jeder macht, isses langweilig.   

Jaja, diese Dekadenlisten. Kann man ja schon machen. Mit so ein bisschen Verspätung aber erst. Ist eigentlich wie früher als Teenager, als ich stylishe Accessoires wie rote Jeans oder komplett schwarze Turnschuhe erst dann kaufte, als sie schon locker zwei Jahre völlig out waren. Nicht aus einer Anti-Haltung heraus (und selbst wenn, du glaubst doch wohl nicht, dass ich das hier zugeben würde?!), mir gefielen rote Jeans 1991 eben einfach noch nicht. Genauso wie mir King's X 1991 noch nicht gefielen. Oder Käse in Scheiben - unerträglich, widerlich! "Man wächst ja auch rein."(Mutti). Bin gespannt was passiert, wenn die ganzen lobotomierten Neandertaler, die letztes Jahr Ed Hardy-Shirts trugen in diesem Jahr aus ihnen wieder rauswachsen. Wobei, ich sollte wohl still sein, nach meiner eben aufgestellten Regel trage ich die Fetzen in knapp 2 Jahren selber. Und dann habe ich auch noch einen Ed Hardy-Schaltknüppel im mit Ed Hardy-Schriftzug verzierten Gefährt und den Ed Hardy-Taucheranzug für die romantischen Stunden zu zweit. "Wie man an solche Hirnschäden kommt ist mir nicht bekannt."(wieder Pispers), und ich will nun ganz ehrlich zu euch sein: ich habe schon im April 2009 mit der Auswahl für die DEKADENLISTE begonnen, Einsendeschluss 33.21.2014, Stichwort "Hirnschaden". Wer weggucken will, meinen Glückwunsch, so stark ist nicht jeder, wer den Gaffer geben will, der sollte trotzdem dran denken: immer zügig vorbei fahren, die Rettungskräfte nicht bei ihrer Arbeit behindern und immer mit offener Hose direkt in den Fuchsbau brettern. Tollwutimpfung nicht vergessen. 

Wo das gesagt ist: wisst ihr eigentlich, wie scheiße Tollwut ist? Tollwut ist RICHTIG SCHEISSE! 

So, dann. Ne?! Gebiss festhalten und Fahrerflucht einplanen! Die besten Alben der Viss, quatsch, WC-Ente, nee, der 00er Jahre. Ja. Jetzt. Törö!