Mokira - Persona
Die ersten Minuten von "Persona" kommen meiner sprichwörtlichen Traumvorstellung von Ambient ziemlich nahe und lassen sich in Teilen durchaus mit Vladislav Delays "Whistleblower" aus dem Jahr 2007 vergleichen. Auch wenn Andreas Tilliander auf das erste Hören weniger Kratzer und Risse einsetzt und erst mit zunehmender Spieldauer etwas lebhafter wird, sind es in erster Linie die warmen Sounds, die mich wie Wellen langsam und sanft umspülen und in dieser Hinsicht an Delays Meisterwerk erinnern. Das klingt toll, und ich hätte absolut nichts dagegen, mit diesem Sound auf den Ohren entweder ein zu schlafen, oder ihn tagelang in Endlosschleife um mich herum zu haben. Das ist gar so einschmeichelnd und im besten Sinne einlullend, dass ich erst nach Minuten bemerke, wie sich die Platte verändert hat. Da ist plötzlich ein Bass, und ich weiß auch nach mehreren Durchläufen ums Verrecken nicht, woher der gekommen ist. Er spielt ein wenig mit einem Rhythmus, gibt einen kleinen Beat vor. "Persona" wird an dieser Stelle zum ersten Mal ein Stückchen konkreter und gibt eine schemenhafte Richtung vor.
Tilliander bleibt bei dieser Richtung und weitet sie in den folgenden Tracks noch aus. Der pulsierende Unterwasser-Bass gibt den Herzschlag zu sirrenden Obertönen und geloopten Feedbacks, eine Kombination, die "Persona" überraschend hell und entmystifiziert erscheinen lässt. Und spätestens mit dem klinischen "Oscillations And Tremolos" ist jeder Schleier, jede Dunkelheit und jeder Zweifel verschwunden. Ironischerweise passiert das mit einem Stück, der angesichts seines im Vergleich eher schroffen Klangs den Schleier über die ganze Platte werfen könnte - und es letztendlich auch tut. Hier verzettelt sich Tilliander für meinen Geschmack ein wenig, "Persona" wirkt nicht mehr schlüssig und das abschließende "Invitation To Love" geistert wie eine halbfertige und nicht ernstgemeinte Remeniszenz an die Anfangsminuten umher, nur um irgendwie noch die Kurve zu kriegen.
Ich lege "Persona" nichtsdestotrotz immer noch sehr gerne auf.
"Persona" von Mokira ist 2009 auf Type erschienen.
30.09.2009
Du Darfst
17.09.2009
Tango Fandango
The Life And Times - Tragic Boogie
Auch wenn ich nun schon mehrfach auf dieses wundersame Trio aus Kansas aufmerksam machte: ich könnt' schon wieder. Und mit Verlaub: ich tu's auch schon wieder. Nur kurz immerhin, aber ich kann nicht anders.
"Tragic Boogie" ist Musik aus einer anderen Zeit. Ins Musikjournalisten-Gequalle übersetzt hieße das wohl sowas wie "Sie stehen über der Zeit". Aber wer will sowas schon lesen? Sie? Ich nicht. Andreas "Kanzler" Kohl vom Exile On Mainstream-Label jedenfalls frohlockte neulich über das Jesus Lizard-Konzert in Berlin "Solche Bands werden heute einfach nicht mehr gebaut.", und ich könnte dasselbe über The Life And Times sagen. Ihre komplette Herangehensweise an ihren mit einiger Dramatik aufgeputschten Indierock ist getränkt mit 80er- und 90er-Jahre-Ästhetik: komplex, melancholisch, verweht. Dass das verwehte Element auch daher rührt, dass der Sound nicht zu knapp Volumen mit sich herumträgt und sich gefühlte 180 Gitarrenspuren die Klinke in die Hand geben, bon. Aber sie vergessen den Song dahinter nicht. Diese musikalischen, ich sag's jetzt einfach mal, weil's halt so doll richtig ist: Meilensteine schälen sich ganz zielsicher aus dem dichtesten Geknäuel empor und präsentieren sich besonders auf der komplett anbetungswürdigen B-Seite mit der Strahlkraft ganzer Säuglingsstationen. Ein behutsamer Aufbau, der den Weg als Ziel definiert, der sich gar nicht weiter aufblähen muss, weil die Stimmung es sowieso richten wird. Dann schlängelt sich "The Lucid Dream" eben mal minutenlang in einer rotglühenden Lavazunge unter der Erde entlang. Und Dir bleibt nichts anderes über, als bei 'ner Tasse Tee (ich weiß, es ist furchtbar klischeehaft, aber da müssen wir jetzt "gemeinsam"(A.Merkel) durch) die Augen zu schließen und - ja mein Gott, lass' es Dir halt gut gehen.
"Tragic Boogie" von The Life And Times ist 2009 auf Hawthorne Street Records erschienen.
16.09.2009
12.09.2009
Schinken Aharattamattatatamtamtam
Spain - The Blue Moods Of Spain
Ein kleines Schmuckstück aus der Indiewelt: Josh Hadens Spain-Debut "The Blue Moods Of Spain" aus dem Jahr 1995 findet sich seit einigen Wochen regelmäßig im Player wieder. Warum also nicht ein paar Zeilen darüber bloggen, hm? Frage ich Sie!
Der Sohn des Jazz-Bassisten Charlie Haden (u.a. Keith Jarrett, Ornette Coleman) hat hier eine neun Songs umfassende Sammlung von dunklen, melancholischen Schleichfetzen aufgenommen, die zur großen Überraschung eigentlich in jeder meiner Lebenslagen funktionieren. Vor allem - riesige Überraschung - zur Nacht jedoch entfalten sich die sehr intimen Aufnahmen vollständig: eine angenehme, sanft dahinfließende Welle von Wohlklang, optional eine große Wolke Prozac, auf der man sich nackt und in Butterschmalz eingerieben verlustiert, vorzugsweise mit adäquatem Sexualpartner. Grob gesagt: Fickmusik für Suchtgestörte.
Nur die weniger gutgelaunten würden mit Begriffen wie "Monoton, öde und sacklangweilig" herumprotzen, aber die hören sowieso alle nur Onkelz und Wahlkampfreden von Angela Merkel und sind somit zu vernachlässigen. Wir Genießer vom Fach (Rumkugel, Sahne-Leberwurst, vermoderte Kniekehlen) indes kochen uns nachts um 3:00 Uhr nochmal 'ne schöne Kanne Stechapfeltee und starren wie in Stahlbeton eingesaugt in den mit Lack übergossenen Sternenhimmel, während die meist überlangen Tracks sich mit uns in die Lüfte schwabbern. Die beiden Highlights "World Of Blue", mit gerade mal vierzehn Minuten ein echter Smash-Hit, und das sogar von Johnny Cash gecoverte "Spiritual" (nicht, dass es ein Qualitätsmerkmal wäre, von Johnny Cash gecovert zu werden, aber ich habe noch 'ne Klammerbemerkung gebraucht und außerdem genug Nihilismus oder weiß ich was in mir, hier an dieser Stelle zu staten, dass keine Sau, also wirklich gar keine, irgendetwas von Johnny Cash hören, geschweige denn mögen muss, wüähä), reichen im Grunde für einen Rundflug völlig aus, das restliche Material ist schmückendes Beiwerk, das erst bei der Gesamtbetrachtung eine Rolle spielt. Die Platte ist furchtbar stimmig, die Songs hervorragend arrangiert, und es war 1995 sicherlich alles andere als "in", eine derart ruhig-sedierte Musik auf einen Markt zu hauen, der mit Alternative Rock und Crossover-Pissflitschen - natürlich nenne ich keine Namen, ich bin schließlich ein seriöser Blogger, der für Vodafone wirbt! - überfüllt war. Auch heute noch gewinnt "The Blue Moods Of Spain" genau aus dieser Haltung heraus sein Alleinstellungsmerkmal (OHO!) und seine Faszination (AHA!)
Eine kleine Platte mit großer Wirkung (TSEHE!).
"The Blue Moods Of Spain" von Spain ist 1995 auf Restless Records erschienen.
06.09.2009
38 Stunden
Dirk:"Wassen das?"
Flo:"Die neue Magnum."
Dirk:"Klingt doch gut."
Da lief gerade der Opener "Rocking Chair" dieser neuen Magnum-Platte, und ich war wenigstens skeptisch. Gut, als 13-jähriger hat man so manchen Aussetzer im Oberstübchen zu verkraften, und ich behaupte auch nicht, dass ich damals auch nur 20% der von mir gehörten Musik gerafft hätte - aber solche Erkenntnisse fallen einem ja immer erst ein paar Jahre später ein beziehungsweise auf. Als zwei Jahre zuvor das Cover von Magnums "Wings Of Heaven", dem Vorgänger zu "Goodnight L.A.", an Dirks Stereoanlage lehnte, war mein erster Gedanke tatsächlich jener, ob dieser schnauzbärtige Privatdetektiv aus Hawaii nun auch noch Musik machte, verbunden mit der Frage, wie die denn dann klänge, würde man mir die Frage mit einem "ja" beantworten. Natürlich beantwortete mir niemand diese Frage, weder mit einem "ja", noch mit einem "nein"; wie man sich in angemessener Weise zum Affen macht, wenn man zuviel Blödsinn denkt und ihn dann fatalerweise auch noch ausspricht, hatte ich in sechs Jahren Schulkarriere schon ausreichend geübt, also behielt ich diesen - wenn ja auch irgendwie niedlichen - Blödsinn ausnahmsweise für mich. Bei dem Weg: ist es nicht erstaunlich, wie lange es schon diese dämliche Eisspezialität mit Holzstiel gleichen Namens gibt?
Aber nun zu etwas völlig anderem.
Ich war also skeptisch, genau genommen kann ich mich noch daran erinnern, dass ich "Rocking Chair" beim ersten Durchlauf sogar ziemlich dämlich fand, was in erster Linie wohl an dieser seltsamen Rhythmik des Gitarrenriffs lag, nebst der eingesetzten Congas, Bongos und/oder Kofferraumdeckeln (Audi 80). Und das immer noch feist wirkende Grinsen auf Dirks Gesicht ließ gleichfalls nicht Gutes erahnen. Ich kannte diesen Blick und dieses Grinsen. Nämlich. Das bekam ich auch dann zu sehen, wenn ich mal wieder Metallicas "Master Of Puppets" mit der Melodie von Foreigners "Jukebox Hero" vor- und nachsang. Oder wenn ich Liveauftritte inszenierte und mir zur visuellen Unterstützung von Metallicas "Jump In The Fire" ein Flammenmeer aus feuerrot angemalter Pappe anfertigte, in das ich dann passend zum Refrain - genau: hineinsprang. Kurz: irgendwas schien hier nicht zu stimmen.
In den kommenden Jahren lernte ich jedoch zwei Dinge. Erstens: Magnum ist eine britische Rockband. Und zweitens: ich liebe diese Platte. Ehrlich. Bis zum heutigen Tag. Zugegeben: es hat ein bisschen den Beigeschmack von "Huiuiui, da habe ich aber ein paar hübsche Leichen im Keller.", aber meine große Schwäche für bombastischen AOR von Magnum oder auch für lässigen Bluesrock von Great White ist wenigstens mir ja seit einigen Jahren bekannt. Dass ihr sie nicht kennt..."Jagutääähh"(Der Kaiser), "strengt's euch halt mal ein bisschen an" (Guido "NEUWAHLEN" Westerwelle).
Magnums Plattenfirma Polydor wollte mit der Band endlich den amerikanischen Markt knacken. Dessen Interesse war bis dato durchaus gedämpft. Zum einen haftete der Band bedingt durch ihre früheren Arbeiten ein staubtrockenes Artrock- und Progressive Rock-Image an, von dem Ende der achtziger Jahre nunmal wirklich keine Sau etwas wissen wollte und zum anderen...naja, es waren eben Engländer, waren sie nicht?! Amerika befand sich im Guns'n'Roses/Ratt/Mötley Crue/Poison/Bon Jovi-Taumel, durchgerüttelt von wallenden, blonden Haarmähnen, zugekleistert mit drei Dosen Wella Flex pro "Kopf", vernebelt im Suff- und Heroinrausch. Wie man in dieser Situation von einer potentiell medial fast zum Kotzen langweiligen Band wie Magnum erwarten konnte, sie würde mal eben das Feld von hinten aufrollen, wenn man ihr nur einen amerikanischen Starproduzenten (Keith Olsen) und einen Hitsongwriter (u.a. Desmond Child) vor die Nase setzt, ist völlig schleierhaft. Rubrik "Vollprofis in Plattenfirmen".
Überraschung indes: dabei sind sowohl die Produktion als auch die Songs selber frei von jeder Kritik. Der Engländer würde nun den Ausdruck "flawless" verwenden und er wäre "damn right", wie wir Doofexperten sagen, ich mag mittlerweile ja sogar den rockenden Stuhl! Aber der Rest, Kinder! DER REST! "Goodnight L.A." ist feinster Rock-Pop oder Pop-Rock für das beste Radioprogramm aller Zeiten: arschglatt und dermaßen poliert bis wirklich kein Neutron mehr aus dem Sound hervorlugen kann, und das bei nur marginaler Bombastreduzierung. Wenn in "Mama" nach leisem Beginn die Gitarre volle Akkorde in den Song peitscht und das typisch-hallige Schlagzeug Fahrt aufnimmt, wenn in der kitschfreien Megaballade "Only A Memory" die mächtigen Chöre einsetzen und von einem schweren Megariff abgelöst werden, wenn der straighte Rocker "What Kind Of Love Is This" mit rauhem Bob Cately-Gesang und umwerfender Hookline eine zweite Seite eröffnet, die mit "Shoot" und "Born To Be King" zwei glasklare 10-Punkte-Songs präsentiert, dann erkennt der 13-jährige Florian vielleicht nur die herausragenden, zwar eingängigen aber ebenso anspruchsvollen Songs, während der XX[noch einfügen - d.Setzer]-jährige Florian die Größe der kompletten Produktion nebst der Arrangements und der herbeigeführten dunklen, schwer-glühenden Atmosphäre zu würdigen weiß.
"Goodnight L.A." ist in jeder Hinsicht eine Meisterleistung und in der Konsequenz natürlich tierisch gefloppt. Polydor strich sogar die angedachte dritte Singleveröffentlichung "No Way Out", weil die zweite Auskoppelung "Heartbroke & Busted" schon ordentlich baden ging und die erwünschte Chartplatzierung nichtmal im Ansatz erreichen konnte. Der harte Kern der Magnum-Fans hingegen ließ das Album ebenfalls kräftig durchfallen: viel zu poppig, viel zu kompakt, viel zu glatt, viel zu amerikanisch - und zumindest das war eben kompletter Humbug: selbstverständlich klangen Magnum immer noch typisch britisch, nur eben nicht mehr so steif und verkopft. Tatsächlich legte schon der großartige Vorgänger "Wings Of Heaven" (ebenfalls ein sicherer Kandidat für meine "Rotz und Wasser heulen auf die Knie sinken"-Ruhmeshalle) mit heruntergefahrenem Kitsch und einer Fokussierung auf naivere Dramatik den Grundstein für die hier fortgesetzte Entwicklung, auch wenn er noch deutlich klarer und rauher klang.
Und das Ergebnis von all dem? Es kamen keine neuen Fans hinzu, stattdessen verlor man einen nicht kleinen Teil der eingefleischten Anhänger. Im Grunde ist "Goodnight L.A." der möglicherweise entscheidende Bruch in der Magnum-Karriere: nach vielbeachteten Alben Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre und den Meilensteinen "Chase The Dragon", "Vigilante", "Wings Of Heaven" und vor allem "On A Storyteller's Night" waren sich die konservativen und sicherheitsbewussten Rockfans nach "Goodnight L.A." eben nicht mehr sicher. Noch einen Reinfall riskieren? Auf keinen Fall! Der Nachfolger "Sleepwalking" interessierte dann niemanden mehr so richtig. Ich glaube ja, dass die Band (die bis heute existiert, Platten veröffentlicht und auf Tour geht) sich seitdem nicht mehr von diesem Einbruch erholt hat. Und es ist natürlich nicht gering zynisch, dass dieser Einbruch gerade mit ihrer nach meinem Ermessen zweifelsfrei besten Platte erfolgte.
"Goodnight L.A." von Magnum ist im Juli 1990 auf Polydor erschienen.