HOLY TERROR - MIND WARS
"Mind Wars" ist ein Grund zum Feiern und zum Trauern. Einerseits ist es der kreative Höhepunkt Holy Terrors und vielleicht sogar ebenjener eines ganzen Genres, andererseits ist es auch das letzte Lebenszeichen dieser Band. Ich hätte nur zu gerne gewusst, wie es nach einem solchen Album weitergegangen wäre. Stattdessen beerdigte man die hoffnungsvolle Karriere ein Jahr nach dem Release auch noch ausgerechnet (AUSGERECHNET!!111elfseinsss) in Süddeutschland, bis zum Hals im Sumpf aus Drogen, Suff und Chaos stehend.
Holy Terror haben im Vergleich zum Debut "Terror And Submission" die Regler auf "Mind Wars" noch ein Stückchen mehr in Richtung Wahnsinn gedreht. Die Geschwindigkeit wurde mit Ausnahme des an die NWOBHM erinnernden "This Immoral Wasteland"-Galoppels nochmals angezogen, Sänger Keith Deen lässt nunmehr fast alle Konventionen in Sachen Timing und Satz hinter sich in Flammen aufgehen, die Gitarrenarbeit ist noch präziser, die Melodien sind noch deutlicher herausgearbeitet, die Songs technischer und progressiver. Hinzu kommt eine für meinen Geschmack verbesserte Produktion, die das Album im Vergleich zum Debut insgesamt heavier wirken lässt - vermutlich wird diese Einschätzung nicht von allen Freunden der Band geteilt, aber wenigstens meine klanglichen Vorlieben, (friendly reminder: Dumpf ist Trumpf) werden damit bestens bedient.
Wer sich von der wilden, ungezähmten Zügellosigkeit dieser Platte ein Bild machen will, hört neben dem fassungslos machenden "Debt Of Pain", für das Gitarrist Kurt Kilfelt seine Komposition "Back To Reign" vom Agent Steel-Debut für die um den geschätzten Faktor 17 erhöhte Geschwindigkeit umarrangierte, sowie gleich die komplette B-Seite. Das verspulte "Damned By Judges", der Panzerknacker "Do Unto Others" und das manische "No Resurrection" geben dem Affen schon ordentlich Zucker, aber sie sind schlussendlich alle doch nur das sich dezent erwärmende Vorspiel zum finalen Abriss: "Christian Resistance" ist eine vier Minuten und 40 Sekunden währende Chaosparty, ein mentales Thrash Metal-Fuckfest, die totale Enthemmung. Was hier besonders ab dem Zeitstempel 1:58 passiert, stellt im Prinzip das komplette 80er Jahre Thrash-Universum in den Schatten - und das liegt nicht nur am sich beinahe in die Ohnmacht kreischenden Keith Deen. Die komplette Band spielt sich derart fulminant in Rage, als hätten sie bei den Aufnahmen für "Christian Resistance" auf glühenden Kohlen und gefrorenen Glasscherben gestanden und dabei den Schmerz als wahnhafte Übersprungshandlung in ihre Instrumente gleiten lassen. Einer der größten und unwiderstehlichsten Momente des Thrash Metal.
1989 befand sich die Band mit Exodus und Nuclear Assault auf Tour in Europa. Eines Tages diktierte ein betrunkener Keith Deen einem anwesenden Journalisten in dessen Aufnahmegerät, dass Holy Terror bereits Songs für das dritte Album geschrieben hätten - und außerdem einen neuen Vertrag mit Roadrunner Records unterzeichneten. Um die soeben erhaltene Information zu bestätigen, rief der Journalist bei Holy Terrors Label Music For Nations an, wo man natürlich aus allen Wolken fiel. Das Ergebnis: Music For Nations schmissen die Band sofort von der Tour und frierten jede finanzielle Unterstützung umgehend ein. Anschließend lieferte sich Gitarrist Kilfelt eine Schlägerei mit dem Tourmanager, woraufhin die Band von einer Schlägerbande verfolgt wurde und sich in eine Pizzeria rettete. So strandete man ohne Geld und ohne Unterkunft für zwei Wochen im winterlichen Deutschland und lebte in einem Kleinbus in Deutschlands Watschengesichermetropole Nummer 1 München, bis mit dem gepumpten Geld von Kurt Kilfelts Freundin die Rückflüge in die USA bezahlt werden konnten.
Zu Hause angekommen, zerfiel die Band praktisch umgehend in ihre Einzelteile. Kilfelt, Bassist Floyd Flanary und Schlagzeuger Joe Mitchell zogen von North Hills in Kalifornien nach Seattle, wo sie im Jahr 1997 mit der Punkband Shark Chum das Album "Tres' Homeboy's" veröffentlichten. Sänger Keith Deen zug nach Las Vegas und verstarb dort im Dezember 2012 an Krebs. Gitarrist Mike Alvord blieb in Los Angeles und spielte dort mit ein paar lokalen Bands, die es aber nie in ein Aufnahmestudio schafften. Er gründete im Jahr 2013 mit zwei Freunden aus Italien die Band Mindwars, die es seitdem auf drei Alben gebracht hat, die allerdings weitgehend unbeachtet blieben. Kilfelt ist außerdem mittlerweile Bassist bei der Punklegende Zeke. Er hatte auch Mitte der nuller Jahre versucht, Holy Terror wieder zu reformieren, scheiterte aber zunächst daran, Deen zu überzeugen und später glücklicherweise an der Suche nach einem neuen Sänger.
Ab diesem Zeitpunkt folgten einige eher obskur zu bezeichnende Veröffentlichungen in den kommenden Jahren, und weil ich nicht der verbretterte Flohihaan wäre, der ich tatsächlich bin, müssen wir darüber in den kommenden Tagen eben auch noch sprechen.
Da komme ich einfach nicht drum herum. The full monty.
Erschienen auf Music For Nations, 1988.
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