07.11.2019

Die Heavy Metal Ursuppe (8)




EXHORDER - MOURN THE SOUTHERN SKIES


Exhorder hatten von allen Bands vermutlich den schwierigsten Auftrag für ihr Comeback zu erledigen, denn auch wenn die beiden einzigen Alben der Band "Slaughter In The Vatican" und "The Law" schon 29, beziehungsweise 26 Jahre alt sind, hat die auf jenen Werken beruhende Ausnahmestellung zu einer möglicherweise in Teilen nicht ganz fairen, ganz sicherlich aber hoffnungslos überzogenen Erwartungshaltung geführt. Ich kann mich ebensowenig davon befreien, dafür aber immerhin anerkennen, damit ein Ticket im Balla-Balla-Bus gezogen zu haben, weil nur Dummbatze ein zweites "Slaughter In The Vatican" erwartet hätten. Und wo das gesagt ist, full disclosure: für mich steht das Debut einige Höllenlevel über "The Law", und ich darf als Belegexemplar das geschriebene Wort aus dem Jahr 2013 bemühen:

"Es gibt Momente auf "Slaughter In The Vatican", die so heavy sind, dass man sich wirklich freiwillig den Kopf zwischen Stahltür und -rahmen einklemmen will und der eigenen Mutti befiehlt, mal kräftig zuzuschlagen. Die Tür, wohlgemerkt. Mit 'nem Unimog. Und das meine ich selbstverständlich ausnahmslos positiv. Scott Burns mauerte seine gefürchtete und berüchtigte Morrissound-Soundwand (die die Band übrigens nach eigener Aussage aus tiefstem Herzen hasst), deren musikalisches und lyrisches Fundament aus blanker Niederträchtigkeit und außer Kontrolle geratenem Rowdytum besteht."

"The Law" hingegen wird für seine stärker ausgespielten Grooves und Riffs von einem Teil der Fanszene kultisch verehrt, stellte mit mir jedoch und in erster Linie wegen des direkt aus Susi Sorglos' Rasierapparat surrenden Gitarrensounds nie etwas Besonderes an. 

Das potentielle Problem von beiden Alben in Bezug auf das 2019er Comeback sind weniger in den Songs und Sounds, als viel mehr in der Attitüde zu suchen. Wie sollen die - auch selbstverständlich schon lange nicht mehr im Original-Lineup - diese Wucht und diese Räudigkeit nach so langer Zeit noch abrufen können? Die Option, es gar nicht mehr zu müssen, stand aus Sicht eines Fans bei Exhorder nie zur Debatte - zu stark war man nach so langer Zeit und der Auseinandersetzung mit ihren alten Alben darauf gepolt, dass weniger als das Nonplusultra an Härte, Intensität und Unberechenbarkeit ein glatter Weltuntergang wäre. Gemessen an den Reaktionen der früheren Die Hard-Fans auf "Mourn The Southern Skies" ist für viele Menschen genau das eingetreten.

Und es ist tatsächlich ein bisschen kompliziert. "Mourn The Southern Skies" besteht aus drei Songtypen, die auf sehr unterschiedlichen Qualitätsebenen existieren: (1) die rasende Thrashkante (2) grooviges Law And Order-Riffgeschiebe aus den Sümpfen Lousianas und (3) irgendwas dazwischen. Die erste Kategorie besteht fast ausschließlich aus erschütternd generischem Exodus-Thrash Metal mit Cringe-Texten, stumpf durchgeballerter Doublebass und einem reichlich aufgesetzt hart klingenden Kyle Thomas am Mikro. Kann, nein: muss man ganz schnell vergessen und für immer skippen. Das ist unwürdiger Scheiß und das auch in dieser Deutlichkeit mehr als gerecht. 

Die zweite Kategorie indes trifft meinen Nerv, und das auch noch ziemlich unvorbereitet. Die Riffs sind originell, die Stimmung ist schwül, feucht und dreckig, die Grooves tighter als Trumps Schließmuskel. Qualitative Schwankungen lassen sich hingegen in Kategorie 3 finden: während in "Rumination" sehr erfreuliche Erinnerungen an die Mittneunziger-Ära der Kings von Forbidden wach werden, ist "All She Wrote" dagegen ein unsäglich dumpfes Midtempo-Doublebass-Geratter von der Stange, das ohne wirkliche Konkurrenz den Biedermann-Preis des Jahres absahnt. Wer sich also im besten Fall eine exakte Mischung aus "Slaughter In The Vatican" und "The Law" gewünscht hat, rauscht hier erstmal mit Schmackes gegen die Wand. It's the Erwartungshaltung, Stupid!

Was bleibt also unter dem Strich? Ehrlichweise mehr, als das nach dem ersten Teaser "My Time" (Kategorie 1) zu erwarten war. Gut die Hälfte von "Mourn The Southern Skies" ist lässiger, verschwitzter und authentisch klingender Südstaatenmetal der COC/Down Kategorie mit wirklich coolen Riffs'n'Grooves und dicker 90er Schlagseite. Wenn sich noch jemand an das 1996er Album "Penalty" von Floodgate erinnert (Sänger: Kyle Thomas), weiß recht genau, was er zu erwarten hat, wenn er das damals ganz sicher gereichte Weed mit ein paar frisch gekochten Kannen schwarzen Kaffees austauscht. Mit diesen Songs kann ich nicht nur wunderbar leben, die reichen selbst dafür aus, den anderen Mist auf der Platte wenigstens ein bisschen wettzumachen. Exhorder klingen 2019 natürlich nicht mehr wie eine Horde tollwütiger Pitbulls und wenn ihnen ein echter Vorwurf zu machen wäre, dann jenen, dass sie es partiell trotzdem versucht haben: das Gespür für die Ausnahmestellung ihrer Frühwerke ging ihnen tatsächlich über Bord. Dass sie an anderen Stellen auf ihrem Comeback stilistisch einen anderen Weg eingeschlagen haben, lässt jedoch erahnen, dass sich die Band vielleicht über das Dilemma völlig im Klaren war. 

"Mourn The Southern Skies" ist am Ende ein Kompromiss einer ehemals sehr kompromisslosen Band. Im Gegensatz zu optimistisch aufgerundeten 80% der Konkurrenz, die ähnliche Entscheidungen treffen mussten, allerdings einer, der sich wenigstes ein kleines bisschen von dem entfernte, was jeder erwartete. Kann man sich drüber freuen. 


P.S.: Exhorder waren selbst in ihren früheren Besetzungen nie eine hypersympathische Band und dass im Dachgeschoss der Mitglieder vielleicht nicht immer für die volle Stromversorgung gesorgt werden konnte, ist spätestens nach dem Text zu "Anal Lust" vom Debut unstrittig - aber ich muss dennoch erwähnen, dass der Text zu "The Arms Of Men", sofern ich ihn richtig verstehe, ein Neanderthaler-Plädoyer für das US-amerikanische 2nd Amendment ist, und mir als Mitteleuropäer und Wehrdienstverweigerer (mit extrem kleinem Pimmel, klar) jedes Verständnis für diesen "Drrrrreck" (Schramm) abgeht. Das halbstarke Amöbengeplärre von "My Time" kehren wir auch besser unauffällig unter den Teppich. 




Erschienen auf Nuclear Blast, 2019.




01.11.2019

Die Heavy Metal Ursuppe (7)




POSSESSED - REVELATIONS OF OBLIVION


Ganz vielleicht dachte ich zu Beginn etwas zu pessimistisch über das erste Possessed Album seit dem 1986 erschienenen "Beyond The Gates"-Werk und damit gleichfalls dem ersten wirklichen Lebenszeichen dieser so einflussreichen Band seit der "The Eyes Of Horror"-EP aus dem Jahr 1987. Eher widerwillig klickte ich auf den Videolink zu "No More Room In Hell", dem einige Wochen vor Albumveröffentlichung präsentierten Teaser; das Mindest auf "Zynismus" eingerastet, sowieso das Schlimmste erwartend, alle Gläser immer halbleer. Hören musste ich das natürlich, weil...hey: "Seven Churches"! Wahrscheinlich gab es 1985 wirklich nichts Krasseres als "Seven Churches", dagegen klingt ja selbst die erste Kreator so steif wie der Ministrantenchor Mozetta. Aber warum müssen die ollen Rochen auch immer und immer wieder ihren guten Namen aufs Spiel setzen? Das waren vor 32 Jahren Legenden, ihr Werk ist über 32 Jahre legendär geblieben und wenn sie es so halbwegs richtig anpacken, könnten sowohl Band als auch Werk sogar für die nächsten 32 Jahre Legenden bleiben. Wwwwwhhhhhhhyyyyyyyyyyyyyyyyyyy tho - und wer GENAU hat eigentlich eine Band wie Possessed in den letzten 32 Jahren vermisst? Also so RICHTIG vermisst? Wer hat denn über 32 Jahre an jedem Tag oder in jeder Woche zu sich und seinem sozialen Umfeld, sofern denn noch eines vorhanden ist, gesagt "Mannomann...Possessed! Wie schade, dass es die nicht mehr gibt. Was würde ich heute dafür geben, nochmal eine neue Platte von Possessed hören zu können."? Dann sind auch noch Nuclear Blast als Label ins Satanshaus eingezogen und haben zig Zillionen unterschiedlicher Vinylversionen in jeder denkbaren Farbe pressen lassen, eben weil sie's können. Das volle Marketingbrett. Was hat das noch mit Musik zu tun? Mit Possessed? Was soll das schon werden?

Es wurde erstaunlich viel! "No More Room In Hell" konnte mich nach dem dritten Durchlauf sogar dazu bewegen mir die Platte zu kaufen, natürlich in der US-Version auf rot-weißem Splattervinyl, weil ich Superhornochse diesen Donzdorf-Dicks und ihrer Marketingscheiße eben immer noch auf den Leim gehe (und weil die Platte ziemlich geil aussieht, klar). "Revelations Of Oblivion" hat eine ganze Menge Argumente auf seiner Seite, allen voran ist das fiese Geballer definitiv mehr im Thrash als im Death Metal angesiedelt, auch wenn die Vermarktungsmaschine fleißig "DEATH METAL" auf alles spuckt, was nicht bei drei auf dem Baum ist - die tragende Säule beim Mitinitiieren eines ganzes Genres muss eben nicht nur immer wieder, sondern ganz besonders nach über 30 Jahren mal frisch gestrichen werden; woher sollen die ganzen nachgewachsenen Metal-Kiddos das auch sonst erfahren? Hinzu kommen technisch beeindruckende Leistungen an Gitarre und Schlagzeug (Emilio Marquez an den Drums ist sowohl im Studio als auch live ein fucking Monster), den klassischen, charakteristischen Gesang von Jeff Becerra und eine Peter Tärtgren Produktion, die für heutige Verhältnisse erfreulich bodenständig ausgefallen ist. Letzteres sehen die Kuttenhorsts mit dem Junge Union-Branding im Hypothalamus natürlich anders, aber sowas passiert eben, wenn man sich so frei und distinguiert wie Zappa geben will, es aber real für nicht mehr als Markus Söder reicht. Das peinliche Geflenne muss man ignorieren.

Das für mich eindrücklichste Merkmal von "Revelation Of Oblivion" ist hingegen eines, das man nur über Umwege hören, dafür aber direkt fühlen kann. Jeff Becerra ist das einzig verbliebene Originalmitglied von Possessed. Der Mann wurde 1990 (drei Jahre nach der offiziellen Auflösung Possesseds) Opfer eines Raubüberfalls, wurde angeschossen und sitzt seitdem querschnittsgelähmt im Rollstuhl. Seine ehemaligen Bandkollegen kümmerten sich nicht mehr um ihn, da die Band nach der Auflösung heillos zerstritten war. Über 17 Jahre versuchte Becerra mit seiner Situation klar zu kommen, rutschte in den Alkohol- und Drogensumpf ab und kämpfte mit Depressionen. Aber er überlebte. Studierte Jura und Sozialwesen, gründete eine Familie und nahm 2007 mit Possessed einen neuen Anlauf. Die Musiker, die auf dieser Platte zu hören sind, sind mindestens seit 2011 an seiner Seite, Drummer Emilio Marquez gar seit 2007). Bei der Recherche stieß ich auf Interviewsequenzen mit dem Gitarristen Daniel Gonzalez, in denen er auf schwierige Anfangszeiten zurückblickt: Becerra wollte vor allem ihm, der stilistisch eher dem modernen Death Metal nähersteht, den Stil und den Spirit von Possessed näherbringen - und lehnte zunächst offenbar ein Riff und eine Songidee nach den anderen ab, bevor Gonzalez und der Rest der Band mehr und mehr verstanden, in welche Richtung Becerra wollte. Becerra selbst sagt darüber hinaus, er lebe ständig mit dem Druck, die verlorene Zeit, die verlorenen 17 Jahre aufholen zu müssen. Selbst dieses Comeback nahm ganze 12 Jahre in Anspruch. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Wer dem Typen in den Interviews zuhört, entdeckt echte Euphorie, Aufrichtigkeit, vielleicht sogar Genugtuung - und ein kindliches Feuer der Begeisterung in ihm. Und ehrlich gesagt: ohne ein kindliches Feuer der Begeisterung ließen sich Texte wie 

Six, six, six on the head and the wrist
The bloodied, battered crucifix
Two coins to cross the river Styx
On bended knees and Satan's fist

mit 51 Jahren auch nur schwer singen. Ob meine Wahrnehmung nun von der professionellen Inszenierung mit entsprechend vorgeschriebenen Drehbüchern getrübt wird und ich also immer noch tief drinnen glaube, es gäbe im Heavy Metal noch sowas wie echte Authentizität, oder ob das alles kompletter Bullshit ist, um die metallischen Naivlinge mit dem zu füttern, was sie am einfachsten fressen, nämlich plakative Trueness to the fokking bone, habe ich noch nicht ganz begriffen. Wäre ich DER_GROSSE_ZYNIKER vom ersten Absatz, wäre die Antwort klar. 

"Du musst heute nur noch auf die Bühne gehen, die Pommesgabel \m/ zeigen und die Leute flippen alle aus." (Name der Redaktion bekannt)

Ich kämpfe dagegen an.




Erschienen auf Nuclear Blast, 2019.