20.06.2010

Neunziger (4)


ROLLINS BAND - Weight


Rollins Band-Alben sind für gewöhnlich nicht die schlechteste Wahl, mag man es sophisticated, kraftvoll, und ungewöhnlich genug, um nicht nach nur einem Durchlauf in den Dornröschenschlaf zu fallen. Vor diesem Hintergrund erscheint es etwas schade, dass sich Rollins zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts und mit Scheiben wie "Get Some Go Again" und "Nice" für den schnörkellosen und vergleichsweise banalen Rotzrock anstelle des groovigen, leicht verfrickelten und nie so richtig klar zu bestimmenden Sounds entschieden hat, der insbesondere zwischen 1993 und 1998 das klangliche Bild seiner Band ausmachte. "The End Of Silence" (1992), "Weight"(1994) und "Come In And Burn" aus dem Jahr 1997, alle eingespielt mit einer beeindruckenden Truppe von großartigen Musikern, zählen zu den von mir unterbewertesten Scheiben - und ich kann es nicht so recht erklären, woran das liegen mag. 

Rollins steht nie so wirklich auf meiner Agenda, dennoch lege ich die drei genannten Werke immer noch regelmäßig auf und bin jedes Mal auf's Neue erstaunt, wie gut sie sich anhören - bei Musik aus den neunziger Jahren alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Besonders erfreut werde ich vom 1994er Album "Weight", dank der Singleauskopplung "Liar", deren Video es in die Heavy Rotation bei MTV schaffte, vermutlich das erfolgreichste und bekannteste seiner Karriere. Und natürlich ist "Liar" die Krönung eines aber auch ansonsten nahezu makellosen Albums: die angejazzten Gitarrenakkorde, die ganz dem Songinhalt entsprechend den Boden doppelt und dreifach auslegen, Rollins' fantastisch arrangierte Sprechstimme, die funkigen Bassläufe - und dann der brachiale Übergang in ein Meer aus Blitz und Donner, aus Pech und Schwefel. Als würden Fugazi mit Motörhead Nirvanas "In Utero" hören und sich dabei gegenseitig an die Gurgel gehen. Ein großartiges Stück mit einem ebenso großartigen Video. Aber "Weight" ist alles andere als ein One-Hit-Wonder-Album:"Disconnect", "Fool", "Civilized" und "Volume 4" sind erfreulich unkonventionelle Musikgranaten, die von den Fähigkeiten jedes Musikers getragen und geprägt werden. Vom ungeheuer vielseitigen Gitarrenspiel eines Chris Haskett beispielsweise, der funky und jazzy Licks ganz selbstverständlich zwischen dampfenden Riffkeulen unterbringt, der es federleicht vor sich hin wedelnd kann und im nächsten Augenblick tiefergelegtes Bratzenschrot auf der gerifften Riffgitarre anschmort. Oder der mit massivem Punch ausgestattete Melvin Gibbs am Bass, der sich mit Drummer Sim Cain die wie improvisiert wirkenden, federnden Groovewolken und supertighten Megabreaks zuspielt, als sei es so einfach und unbeschwert wie Erdbeerkuchen. Und Eisenheinrich? Der presst sich sympatische Lyrik zum empathischen Weltuntergang aus dem baumstammdicken Halsgeschwulst:

now. what the fuck is going through your tiny little mind?
I'm gonna show ya how fragile you really are... yah.
yeah! I think I'm gonna fuck with you, I think I'm gonna fuck with you
yeah you, yeah you! yeah you, motherfucker!


Und ein wenig differenzierter in "Disconnect":

all the things that they're saying & doing
when they pass me by it just fills me up with noise
it overloads me
I wanna disconnected myself
pull my brains damn out, unplug myself
I want nothing right now, I want to pull it out


Das hat alles eine enorme Wucht und Durchschlagskraft, die sogar soweit geht, dass man meint, Henry singe ausschließlich mit Schaum vorm Mund. Aber es hat eben auch Ausdruck, es hat Charme, im besten Fall. Im weniger guten Fall schreit die blanke Verbitterung aus ihm heraus, eine große Enttäuschung, die Wut - liest man das eine oder andere Interview mit Rollins, könnte man zu dem Schluss kommen, er sei über sich selbst am meisten wütend. Einerseits erscheint er als überzeugt und überzeugend, tough und diszipliniert, andererseits grollt ihm auch immer unterschwellig der Ekel vor sich selbst aus seinen Worten - der Mann kämpft nicht nur gegen die anderen, er stellt sich auch mit Vorliebe gegen sich selbst. Dennoch: kann mir bitte jemand seine "Support The Troops"-Scheiße erklären? 

Ich bin jetzt etwas "abgeschwiffen" (Urban Priol), komme aber hier und jetzt zum eigentlichen Thema zurück:"Weight" ist ein verdammt starkes Album.

Erschienen auf Imago Records, 1994

2 Kommentare:

Bendrix hat gesagt…

Die "Support the Troops-Scheiße" erklärt er selbst auf "Shock & Awe".

Kurzform: Aus dem selben Grund warum er kleine Rollen in miesen Filmen annimmt. Um es mal gemacht zu haben. Dazu eingeladen zu werden erschien im so absurd das er es unmöglich ablehnen konnte. Davon abgesehen lehnt er ja eh recht wenig ab.

Flo hat gesagt…

Das passt vermutlich zu ihm, aber mich enttäuscht es eher. Es ist konsequent, nur das zu tun, worauf man Bock hat - und wenn dann sowas dazu gehört - fair enough. Aber ich projeziere letzten Endes zuviel von meiner Erwartungshaltung auf ihn, verbunden mit der Hoffnung, dass er solchen Arschgeigen den Mittelfinger (und sonst gar nichts) zeigt. Mein Problem, aber ich sag' ja auch "gar" "nix".