10.10.2008

Fresh Cut Flowers



Eine wilde, fast vierzigminütige Improvisation eröffnet "In Order To Survive", das mittlerweile schon legendäre Album des New Yorker Bassisten William Parker. "Testimony Of No Future" ist Parkers musikalisches Heilmittel für all jene, deren Hoffnung und Glaube an sich selbst vom Elternhaus, der Kirche, der Schule und den Massenmedien geraubt wurde. Eine Erfahrung, die auch ihm in den Knochen steckt: als 1964 ein Berufsberater zu Parkers Schulklasse spricht und den Jungen ihre Perspektivlosigkeit geradewegs ins Gesicht schlägt. Von ihm lernt Parker, dass er sich schon mal auf ein Leben als Hausmeister oder Bürobote einstellen darf. At twelve I was told that I had no future. Aber durch dieses Erlebnis lernt William Parker auch, dass es einen Weg gibt, die Hoffnungslosigkeit zu einem brennendem Feuer voller Mut wieder zu beleben: durch Kunst, Liebe und Leben.

Heute ist Parker einer der umtriebigsten Musiker der New Yorker Jazzszene. Er spielte zusammen mit Stars wie Cecil Taylor, Don Cherry, Charles Gaye, Rashied Ali, Sunny Murray oder Bill Dixon und gilt als einer der lautesten Jazzbassisten der Welt. Seine Fähigkeit als unerbittlicher Antreiber, eine Band immer wieder ein Stück mehr nach vorne zu pushen, führt im Verlauf einer Session immer zu einem ähnlichen Ergebnis: Parker ist der Fixpunkt seiner Ensembles, er ist der niemals ruhende Wirbelsturm, der - paradox genug - das Set stützt und dirigiert. Sein Zusammenspiel auf "In Order To Survive" mit Drummer Denis Charles und ganz besonders mit dem Pianisten Cooper-Moore ist ebenso liebevoll und detailreich wie ungestüm und leidenschaftlich. Wie dieses Trio immer wieder die Themen weiterentwickelt und auf ein nächstes Level springen lässt, wie sie miteinander kommunizieren und diese pulsierende Session zu einem Universalübersetzer für ihren Glauben und ihren Geist formen, ist schlicht sensationell. Hier ist soviel verborgen und doch glasklar sichtbar.

Parkers weitere Mitstreiter auf dieser Aufnahme ist der Saxofonist Rob Brown, ein ungestümer Bursche des Free Jazz, über den die New Yorker Szenezeitschrift Village Voice einmal schrieb "...he not only deciphers puzzles, he creates them.". Er ist gemeinsam mit dem Trompeter Lewis Barnes der vordergründig auffälligste Spieler der Brasssection. Aber es gibt da noch einen weiteren Mann, den man auf das erste Ohr möglicherweise gar nicht richtig wahrnimmt; einen, der bereits in diesem Blog Erwähnung fand: Grachan Moncur III. Er unterstreicht auf dieser Aufnahme sowohl seine Ausnahmestellung innerhalb der Jazzszene, als auch seine völlig kompromisslose Eigenständigkeit. Während der Improvisationen taucht er hier und da mit kurzen Einsätzen auf, folgt den Melodiebögen, wiederholt und variiert sie und steht plötzlich mit einem Solo im Raum, das einem die Kinnlade auf den Asphalt krachen lässt (für Interessierte: "Testimony Of No Future", ca. ab Minute 23). What a beautiful freak.

"In Order To Survive" entfaltet vor allem unter dem Kopfhörer seine volle Magie; wenn man diesem Sextett in aller Ruhe folgen kann. Dennoch passiert innerhalb der über siebzigminütigen Aufnahme vor allem auf sämtlichen verfügbaren Metaebenen soviel, dass man die Informationsflut kaum verarbeiten kann. Davon ab: von Ruhe kann im Zusammenhang mit dieser aufgewühlten und aufwühlenden Musik sowieso keine Rede sein; erstrecht nicht, wenn einen diese im Booklet abgedruckten Worte überfallen:


In Order to Survive



When was it said that roses tire
From being beautiful
And sink into the desert sun
In order to survive they call for
A revolution of resonance
A promise of a new day
conjuring building
A dance step is created
In order to survive I rub two raindrops
I rub two raindrops together
to make fire
As I sit near the laughing pond
listening to the testimony of a tear



"Was wir machen, ist heilige heilende Musik, und die Menschen, die sie brauchen, finden sie auch."(William Parker)

Lasst euch finden.



"In Order To Survive" von William Parker ist im Jahre 1995 auf Black Saint erschienen.

Für weitere Informationen zu William Parker und dessen Umfeld ist dieser Forumsbeitrag von Freund eigenheim sicher nicht uninteressant.

1 Kommentar:

schindelbeck hat gesagt…

Nette Tage im wohlverdienten Urlaub!

Aber am 11.11. sollte der Urlaub vorüber sein und er zurecht gepriesene Herr William Parker spielt im Karlstorbahnhof zu Heidelberg. Da müsste man dich / sich sehen?

Und ein paar Tage später auch noch das Arkestra in Weinheim. Ist ein goldener Spätherbst...


Gruß

Frank