ALICE COLTRANE - LORD OF LORDS
Soweit mir bekannt ist, wurde "Lord Of Lords" aus dem Jahr 1973 bisher lediglich in Japan auf CD (wieder)veröffentlicht und ist heute nur für eher absurd zu nennenden Geldbeträge käuflich zu erwerben. In Zeiten von Downloads interessiert das vermutlich "keine müde Sau" (Hagen Rether) mehr, aber verwunderlich ist es angesichts des Re-Issue-Wahnsinns schon ein wenig, ist es nicht? Zugleich ist es ihre letzte Arbeit für das Impulse!-Label, das sie nach nach den Aufnahmen in Richtung Warner Bos. verließ. Als sich der Jazz in den frühen siebziger Jahren in Richtung Rockmusik auf der einen und Funk und Soul auf der anderen Seite entwickelte und damit extrovertierter und massentauglicher wurde, ging Alice stattdessen nach innen: ihre Werke wurden immer spiritueller und erhielten einen stetig stärker werdenden Bezug zur indischen Musik, aber auch zur Klassik. "Lord Of Lords" ist dabei kaum mit ihren früheren Alben wie "A Monastic Trio" oder dem unglaublichen "Ptah, The El Daoud" zu vergleichen: unter der Leitung von Coltrane selbst, dem Produzenten Ed Michael und dem ersten Geiger Murray Adler entsteht ein exklusiv orchestrales Prachtstück eines 28-köpfigen Orchesters (inklusive Ben Riley am Schlagzeug und Charlie Haden am Bass), das deutlich die in den kommenden Jahren stattfindende Entwicklung vorgibt. Bereits auf dem gleichfalls fulminaten "Journey In Satchidananda" (1970) konnte man spätestens bei "Something About John Coltrane" und dem abschließenden "Isis And Osiris" schon erkennen, was da noch alles auf uns zukommen sollte: große, ausfüllende Epen, die eine tiefe Theatralik und Romantik versprühen, etwas, was ich leicht süßlich durchaus als Herzenswärme wahrnehme.
Ich verbrachte erst letzte Woche einen ganzen Tag mit "Lord Of Lords". Immer und immer wieder setzte ich die Nadel erneut zurück und dann wieder auf, es war als sei meine Wohnung mit purpurnem Licht ausgefüllt. The healing colours of sound oder was, jedenfalls: bis auf das Ende des Titelsongs, in dem eine kleine Verwandschaft zu Coltranes früheren, ja nicht immer kantenlosen Freejazz-Ausflügen aufblitzt, ist ihr siebtes Album an klassischer Musik angelehnt, und hier besonders an das Werk Igor Stravinskys, dessen "Feuervogel" sie folgerichtig und in Auszügen auf "Lord Of Lords" verarbeitet. Hinzu kommt ein soundtrackartig arrangiertes Traditional "Going Home", das einem die Tränen der Rührung in die Augen treiben kann.
Freunde ihrer Mitt-Siebziger Alben wie "Eternity" oder "Radha-Krisna Nama Sankirtana" (wenn man die allzu gegenwärtigen und oftmals nicht leicht verdaulichen Mantra-und Buddhisten-Verweise etwas beiseite räumen mag), werden mit "Lord Of Lords" eine große Freude haben. Und ich kenne damit immer noch kein Album von Alice Coltrane, das ich nicht den wortwörtlichen Heiligenschein ausstellen würde.
Erschienen auf Impulse!, 1973