26.03.2010

2000-2009 #15: The Bronx - The Bronx I


Möglicherweise das beste Debut der letzten zehn Jahre: "The Bronx" des gleichnamigen Quartetts aus Los Angeles schlug beim Erscheinen vor nunmehr sieben Jahren ein wie eine Bombe. Angeblich unter dem Einfluss von Aufputschmitteln und hektoliterweise Kaffee im Wohnzimmer des ehemaligen Guns'n'Roses-Gitarristen Gilby Clarke eingespielt, durchschlägt alleine der Opener "Heart Attack American" bis heute (und vermutlich für die kommenden dreikommaneunsieben Milliarden Jahre ebenso) selbst meterdickes Panzerglas als sei es Marmeldade. Ich kann wirklich nicht mehr zählen, wie oft ich alleine den Beginn dieses Monsters auf voller Pulle durch die Lautsprecher gejagt habe und daraufhin das Mobiliar zertrümmerte, aus dem Fenster sprang (19.Etage) und auf dem Rückweg durch das Treppenhaus alle übrigen Butzen gleich mit verwüstete, bevor zunächst die Stadt, später das Land und am Ende der ganze Scheißplanet zu 'nem Häufchen Asche zusammengebröselt wurde. Dieser Paukenschlag verleiht keine Flügel, dafür aber endloses und fast kostenfreies Adrenalin und dazu Arme wie Vorschlaghammer und außerdem "Pranken wie ein Tischgrill"(O.Kalkofe). Hinterher sieht man dann so aus wie Sänger Matt Caughthran, der - ich erinnere mich als sei es gestern gewesen - beim ersten Gig, den ich von The Bronx im Vorprogramm der kanadischen Rocker Danko Jones im Jahr 2004 erlebte, wie vom Gnu geknutscht mit Füßen voran ins teils durchdrehende, teils verängstigte Publikum sprang und erstmal einen gepflegten Circle-Pit inklusive Fausttanz anzettelte, sich währenddessen die Seele aus dem Leib schrie und Granaten wie "Gun Without Bullets", "False Alarm", "Cobra Lucha", "I Got Chills" oder "They Will Kill Us All" wie Pech und Schwefel auf die Meute herabregnen ließ. 

Das ist verkackt asozial, verschissen schnell, bekacktschissen laut und verpisst hart. Für Menschen, die sich Zahnpasta und Buttersäure durch die Nase ziehen. 

OUUUUUUUUUUUUUUUUHHHHHHHHHHHHHHHH!!!!!!!!!!!!

Erschienen auf White Drugs, 2003

20.03.2010

2000-2009 #14: Since By Man - Pictures From The Hotel Apocalypse




Zugegeben: Hardcore hatte für mich über weite Strecken des vergangenen Jahrzehnts einen ähnlichen Stellenwert wie die Abteilung "Desserts" in Restaurant-Speisekarten. Lecker und immer gerne genommen, aber mehr als vier oder fünf süße Köstlichkeiten gibt es nicht, Basta. Wenn am Wegesrande jedoch etwas hektisch um Aufmerksamkeit buhlte, konnte ich immer getrost zugreifen, ich mochte es fast immer. Aber im Dickicht von Greenhell-Katalogen und obskuren amerikanischen Blogs nach der nächsten Undergroundsensation zu forschen? Dafür fühlte ich mich dann doch in anderen musikalischen Gefilden immer etwas wohler. Eine Band, die das nachhaltig ändern konnte hieß Since By Man. Das US-amerikanische Durchgedrehten-Quintett nahm in seiner Karriere insgesamt drei Platten auf, darunter zwei Alben und eine EP, die zahlreichen Split-Singles nicht mitgezählt. "Pictures From The Hotel Apocalypse" ist ihr Schwanengesang. Ich war kurz versucht, ein "Leider!" an zu hängen, aber manchmal erscheint es mir angemessen, wenn eine Band nach drei fantastischen Scheiben den Laden einfach und ohne großes Brimborium zumacht. It's better to burn out than to fade away. Und auf wen würde dieser Satz besser passen, als auf die manischen Since By Man und ihr ausgesprochen labiles Bandgefüge?

Destruction is our mantra, you know it makes things easy - We shake it, we shake it, we shake it 'til it breaks - Creation is a killer so lets leave in this splinters - We scream and we scream until we all spit blood

Und ebenjener Schwanengesang begeisterte mich vor allem in den Jahren nach seiner Veröffentlichung derart, dass ich in Sachen Hardcore heute schon in Richtung "Hauptmenü" gewandert bin. Ähnlich wie bei dem vorgenannten SF Jazz Collective hat auch "Pictures From The Hotel Apocalypse" einige Türen für einen Zugang zu einem Genre geöffnet, das vorher höchstens ein Randthema war. Spätestens nachdem ich den Fünfer im Sommer 2005 live bewundern konnte, war ich in tiefer Liebe verbunden - schon mal 'ne explodierende Band gesehen? Das Spektakel dauerte nur um die 35 oder 40 Minuten, aber trotzdem waren hinterher ausnahmslose alle am Arsch. Als ich Sänger und Mastermind Sam Macon nach dem Gig anerkennend und freudetrunken auf die Schulter klopfte, spritzte mir einerseits der Schweiß entgegen, andererseits hatte ich Angst, der Mann würde im nächsten Augenblick umkippen. Tatsächlich sah ich ihn noch eine Stunde nach dem Auftritt vor der Halle auf der Bordsteinkante sitzen - zusammengekauert, fertig mit sich und der Welt. Das Publikum war indes zweigeteilt. Während die eine Hälfte nicht wusste, welcher Orkan ihnen eben gerade die letzten Synapsen durchschmurgelte und ihr Kleinhirn auf halb acht drehte, war die andere Hälfte von der Intensität der Show zwar begeistert, aber sowohl physisch als auch psychisch schwer gezeichnet. Das musste erstmal verdaut werden. Dieses Geschrei. Diese Hektik, als ob der Teufel persönlich hinter ihnen her wäre. Diese irren Verrenkungen, auf dem Boden wälzen, diese ehrlich durchlebten Emotionen. Klingt jetzt alles wie aus dem Starschnitt einer Teeniezeitschrift abgeschrieben, aber hey! - genau so war es.

This story came to me - How it all came to be - The Telling will set me free - Please kill me  - I don't want to be something

Aber zurück zur Musik. Since By Man waren anfangs nicht weit von einer Band wie den Blood Brothers entfernt, boten aber neben den stilüblichen Zutaten wie dem markanten, hohen Kreischgesang, den verspulten Gitarrenläufen und der Amphetaminhektik auch einige Querverweise zum (Thrash) Metal und hatten überraschenderweise fantastische Hooklines, die folgerichtig in fantastische Songs mündeten. Technisch auf allerhöchstem Niveau, ballerte sich die Band mit einer halsbrecherischen Geschwindigkeit und einer ungeheuren Komplexität durch fast schon postmoderne, avantgardistische Hardcore-Eruptionen, die von einer toptighten und doch unglaublich lebendigen Produktion getragen wurden. Hand in Hand kam ein deutlich erkennbarer künstlerischer Anspruch hinzu, der sich in den großartigen Artworks und Fotos, aber auch in den ambitionierten und poetischen Texten niederschlug.

"Pictures From The Hotel Apocalypse" ist ein höchst intensiver, brachialer Donnerbatzen, der mich seit mittlerweile fünf Jahren nicht mehr loslässt und mich bei jedem Hördurchgang mehr und mehr fesselt und beeindruckt. Bombenfest in meine Dekaden-Top 3 einzementiert.

The horses have come for us - The serpents have lost their touch - The vultures will tear us apart - There's no way out, there's no way out - This last night my story will be told- With death in the air - The skies will unfold - Photograph what surrounds you- Please kill me.


Erschienen auf Revelation Records, 2005

17.03.2010

2000-2009 #13: Shuttle 358 - Frame

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...mUSSmANgEHÖRThABEN

Erschienen auf 12k, 2000


15.03.2010

2000-2009 #12: SF Jazz Collective - s/t


Wie bereits vor knapp zwei Jahren in meiner ersten Besprechung dieses Album erwähnt, wären die musikalischen Jahre 2005 bis 2009 sicherlich ganz anders verlaufen, hätte ich nicht im Sommer 2005 einen hellen (oder schwachen?) Moment gehabt und im Zuge dessen zu einer Platte gegriffen, die mir bis dato völlig unbekannt war. Und hier machte sich mein "Blindkauf"-Prinzip mal wirklich bezahlt: alles was ich hatte, war ein saucooles Artwork, "Jazz" im Bandnamen und eine Platzierung im Fach "Electronica". Letzteres war natürlich der Quadratbeklopptheit eines quatschblinden Mitarbeiters geschuldet, aber ich muss diesem Menschen bis heute dankbar sein, andernfalls hätte ich das Debut des San Francisco Jazz Collective wahrscheinlich nie gefunden, geschweige denn gehört. Und wo stünde ich heute ohne diesen Augenöffner? 

Das SF Jazz Collective war meine erste direkte Auseinandersetzung mit Jazz und ich wäre ohne die Platte sicherlich nicht unbedingt auf die Idee gekommen, es beim nächsten Einkauf doch mal mit Coltranes "A Love Supreme" oder Colemans "The Shape Of Things To Come" zu versuchen. Wobei ich mich leicht korrigieren muss: meine erste Auseinandersetzung mit Jazz fand schon ein paar Wochen zuvor statt, als ich mir Jazzanovas "In Between" kaufte und außerdem die Norweger von Jaga Jazzist mit "A Livingroom Hush" im CD-Player rotierten. Gut, ein Jazz im Bandnamen macht noch keinen Jackie McLean, aber immerhin führten mich beide Scheiben ein bisschen näher an das Thema heran. Insofern war es nur logisch, dass der nächste Schritt mit dem SF Jazz Collective erfolgte - aber es passierte ungeplant und man mag mich nun pathetisch oder durchgeknallt nennen, aber: ich glaube ja nicht an Zufälle. 

Um es kurz zu machen: schon nach der einsetzenden Marimba von Bobby Hutcherson im Opener war ich ihnen hoffnungslos verfallen und meine Begeisterung sollte in den nächsten 50 Minuten nicht nennenswert bröckeln, eher das Gegenteil war der Fall: je mehr ich in ihren megasouverän inszenierten Sound eintauchte und in den folgenden Monaten noch weitere Jazzmusiker kennenlernte und dadurch einen Vergleich erhielt, desto faszinierter war ich von ihrem atemberaubenden Aufbau, von ihrem Gefühl und ihren genialen Interpretationen. Vor allem die Versionen der Ornette Coleman-Stücke, deren krude, staksige Aura perfekt eingefangen, transformiert und neu geboren wurde, ließ mich mit einigen Freudenschreien zurück. 

Für mich ist dieses Debut eines der wichtigsten Alben des zurückliegenden Jahrzehnts und ich frage mich manchmal wirklich, was passiert wäre, hätte ich diese Erfahrung nicht gemacht.

Erschienen auf Nonesuch, 2005

06.03.2010

2000-2009 #11: Nik Bärtsch's Ronin - Stoa


"Stoa" war die richtige Platte zum richtigen Zeitpunkt. Das ECM-Debüt des Schweizer Pianisten Nik Bärtsch erschien just zum Beginn meiner langsam anlaufenden Jazz-Leidenschaft und wie das eben so ist, wenn man noch nicht so recht weiß, wo oben und unten ist, nahm ich gierig alles auf, was sich mir in den Weg stellte. Zu jener Zeit war ECM noch ein faszinierendes Label für mich, mit durchweg tollen, ästhetischen Cover-Artworks, mit weitgehend nokturner, experimenteller Musik - schon irgendwie Jazz, aber nichts davon war mit dem vergleichbar, was ich bis dahin von alten Impulse- oder Blue Note-Aufnahmen kannte. Das war neu für den neugierigen Florian, aufregend, in ihrem nicht greifbaren Charakter fast schon mystische Angelegenheit. Eine Mischung aus Noise, Ambient, Avantgarde und Jazz, die Kritiker zu so manchem Kniefall vor dem Manfred Eicher-Altar verleiteten. Dass meine Faszination mit der Zeit etwas nachließ, weil vieles dann doch redundant und gleichförmig erschien, steht auf einem anderen Blatt. 

"Stoa" fesselte mich im Sommer 2006 an den CD-Player. Nik Bärtschs Musik ist der vertonte Bauplan eines Design-Wolkenkratzers, die musikgewordene Architektur. Was nach Kälte, Sterilität und Emotionslosigkeit klingt, ist in Wahrheit genau das Gegenteil: ein watteweicher, tief im Dunkeln brodelnder Konstruktionstrip durch unterirdische Luftschächte, durch fünf-Sterne Kanäle, durch Bärtschs Zen-gestähltes Musikhirn. Scheinbar bedächtig baut das Quintett seine Musik auf, schichtet nach und nach Ton auf Ton, bis am Ende ein irres Manifest in der verdunkelten, grün-schimmernden Sonne glitzert. Die Stringenz, mit der sie vorgehen, widerspricht dabei prinzipiell ihrer ebenfalls zur Schau gestellten Ruhe, ihr Vorgehen ist unfassbar konkret und durchdacht, dominierend und fast schon aggressiv-fokussiert. Jedes "Modul" steht dabei für sich, sie alle präsentieren sich nach ihrem Abschluss als stolze, überlegene Bergmassive. Alle fünf zusammen formen aus "Stoa" keine banale Songsammlung, sondern vielmehr ein abgeschlossenenes, autistisches Ton- und Gedankensystem, dass jedoch ohne die pulsierende Außenwelt und die Interaktion mit mit derselben nicht existieren kann. Auch hier wird der Widerspruch im selben Moment seiner Präsenz umgehend aufgehoben und erneut ins Gegenteil verkehrt: wo die Zeit unbeeindruckt voranschreitet, ist die Lücke des Stillstands am deutlichsten spürbar. Schwerelos im Raum-Zeit-Kontinuum.

Erschienen auf ECM, 2006