Zugegeben: Hardcore hatte für mich über weite Strecken des vergangenen Jahrzehnts einen ähnlichen Stellenwert wie die Abteilung "Desserts" in Restaurant-Speisekarten. Lecker und immer gerne genommen, aber mehr als vier oder fünf süße Köstlichkeiten gibt es nicht, Basta. Wenn am Wegesrande jedoch etwas hektisch um Aufmerksamkeit buhlte, konnte ich immer getrost zugreifen, ich mochte es fast immer. Aber im Dickicht von Greenhell-Katalogen und obskuren amerikanischen Blogs nach der nächsten Undergroundsensation zu forschen? Dafür fühlte ich mich dann doch in anderen musikalischen Gefilden immer etwas wohler. Eine Band, die das nachhaltig ändern konnte hieß Since By Man. Das US-amerikanische Durchgedrehten-Quintett nahm in seiner Karriere insgesamt drei Platten auf, darunter zwei Alben und eine EP, die zahlreichen Split-Singles nicht mitgezählt. "Pictures From The Hotel Apocalypse" ist ihr Schwanengesang. Ich war kurz versucht, ein "Leider!" an zu hängen, aber manchmal erscheint es mir angemessen, wenn eine Band nach drei fantastischen Scheiben den Laden einfach und ohne großes Brimborium zumacht. It's better to burn out than to fade away. Und auf wen würde dieser Satz besser passen, als auf die manischen Since By Man und ihr ausgesprochen labiles Bandgefüge?
Destruction is our mantra, you know it makes things easy - We shake it, we shake it, we shake it 'til it breaks - Creation is a killer so lets leave in this splinters - We scream and we scream until we all spit blood
Und ebenjener Schwanengesang begeisterte mich vor allem in den Jahren nach seiner Veröffentlichung derart, dass ich in Sachen Hardcore heute schon in Richtung "Hauptmenü" gewandert bin. Ähnlich wie bei dem vorgenannten SF Jazz Collective hat auch "Pictures From The Hotel Apocalypse" einige Türen für einen Zugang zu einem Genre geöffnet, das vorher höchstens ein Randthema war. Spätestens nachdem ich den Fünfer im Sommer 2005 live bewundern konnte, war ich in tiefer Liebe verbunden - schon mal 'ne explodierende Band gesehen? Das Spektakel dauerte nur um die 35 oder 40 Minuten, aber trotzdem waren hinterher ausnahmslose alle am Arsch. Als ich Sänger und Mastermind Sam Macon nach dem Gig anerkennend und freudetrunken auf die Schulter klopfte, spritzte mir einerseits der Schweiß entgegen, andererseits hatte ich Angst, der Mann würde im nächsten Augenblick umkippen. Tatsächlich sah ich ihn noch eine Stunde nach dem Auftritt vor der Halle auf der Bordsteinkante sitzen - zusammengekauert, fertig mit sich und der Welt. Das Publikum war indes zweigeteilt. Während die eine Hälfte nicht wusste, welcher Orkan ihnen eben gerade die letzten Synapsen durchschmurgelte und ihr Kleinhirn auf halb acht drehte, war die andere Hälfte von der Intensität der Show zwar begeistert, aber sowohl physisch als auch psychisch schwer gezeichnet. Das musste erstmal verdaut werden. Dieses Geschrei. Diese Hektik, als ob der Teufel persönlich hinter ihnen her wäre. Diese irren Verrenkungen, auf dem Boden wälzen, diese ehrlich durchlebten Emotionen. Klingt jetzt alles wie aus dem Starschnitt einer Teeniezeitschrift abgeschrieben, aber hey! - genau so war es.
This story came to me - How it all came to be - The Telling will set me free - Please kill me - I don't want to be something
Aber zurück zur Musik. Since By Man waren anfangs nicht weit von einer Band wie den Blood Brothers entfernt, boten aber neben den stilüblichen Zutaten wie dem markanten, hohen Kreischgesang, den verspulten Gitarrenläufen und der Amphetaminhektik auch einige Querverweise zum (Thrash) Metal und hatten überraschenderweise fantastische Hooklines, die folgerichtig in fantastische Songs mündeten. Technisch auf allerhöchstem Niveau, ballerte sich die Band mit einer halsbrecherischen Geschwindigkeit und einer ungeheuren Komplexität durch fast schon postmoderne, avantgardistische Hardcore-Eruptionen, die von einer toptighten und doch unglaublich lebendigen Produktion getragen wurden. Hand in Hand kam ein deutlich erkennbarer künstlerischer Anspruch hinzu, der sich in den großartigen Artworks und Fotos, aber auch in den ambitionierten und poetischen Texten niederschlug.
"Pictures From The Hotel Apocalypse" ist ein höchst intensiver, brachialer Donnerbatzen, der mich seit mittlerweile fünf Jahren nicht mehr loslässt und mich bei jedem Hördurchgang mehr und mehr fesselt und beeindruckt. Bombenfest in meine Dekaden-Top 3 einzementiert.
The horses have come for us - The serpents have lost their touch - The vultures will tear us apart - There's no way out, there's no way out - This last night my story will be told- With death in the air - The skies will unfold - Photograph what surrounds you- Please kill me.
Erschienen auf Revelation Records, 2005
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