06.03.2010

2000-2009 #11: Nik Bärtsch's Ronin - Stoa


"Stoa" war die richtige Platte zum richtigen Zeitpunkt. Das ECM-Debüt des Schweizer Pianisten Nik Bärtsch erschien just zum Beginn meiner langsam anlaufenden Jazz-Leidenschaft und wie das eben so ist, wenn man noch nicht so recht weiß, wo oben und unten ist, nahm ich gierig alles auf, was sich mir in den Weg stellte. Zu jener Zeit war ECM noch ein faszinierendes Label für mich, mit durchweg tollen, ästhetischen Cover-Artworks, mit weitgehend nokturner, experimenteller Musik - schon irgendwie Jazz, aber nichts davon war mit dem vergleichbar, was ich bis dahin von alten Impulse- oder Blue Note-Aufnahmen kannte. Das war neu für den neugierigen Florian, aufregend, in ihrem nicht greifbaren Charakter fast schon mystische Angelegenheit. Eine Mischung aus Noise, Ambient, Avantgarde und Jazz, die Kritiker zu so manchem Kniefall vor dem Manfred Eicher-Altar verleiteten. Dass meine Faszination mit der Zeit etwas nachließ, weil vieles dann doch redundant und gleichförmig erschien, steht auf einem anderen Blatt. 

"Stoa" fesselte mich im Sommer 2006 an den CD-Player. Nik Bärtschs Musik ist der vertonte Bauplan eines Design-Wolkenkratzers, die musikgewordene Architektur. Was nach Kälte, Sterilität und Emotionslosigkeit klingt, ist in Wahrheit genau das Gegenteil: ein watteweicher, tief im Dunkeln brodelnder Konstruktionstrip durch unterirdische Luftschächte, durch fünf-Sterne Kanäle, durch Bärtschs Zen-gestähltes Musikhirn. Scheinbar bedächtig baut das Quintett seine Musik auf, schichtet nach und nach Ton auf Ton, bis am Ende ein irres Manifest in der verdunkelten, grün-schimmernden Sonne glitzert. Die Stringenz, mit der sie vorgehen, widerspricht dabei prinzipiell ihrer ebenfalls zur Schau gestellten Ruhe, ihr Vorgehen ist unfassbar konkret und durchdacht, dominierend und fast schon aggressiv-fokussiert. Jedes "Modul" steht dabei für sich, sie alle präsentieren sich nach ihrem Abschluss als stolze, überlegene Bergmassive. Alle fünf zusammen formen aus "Stoa" keine banale Songsammlung, sondern vielmehr ein abgeschlossenenes, autistisches Ton- und Gedankensystem, dass jedoch ohne die pulsierende Außenwelt und die Interaktion mit mit derselben nicht existieren kann. Auch hier wird der Widerspruch im selben Moment seiner Präsenz umgehend aufgehoben und erneut ins Gegenteil verkehrt: wo die Zeit unbeeindruckt voranschreitet, ist die Lücke des Stillstands am deutlichsten spürbar. Schwerelos im Raum-Zeit-Kontinuum.

Erschienen auf ECM, 2006

Keine Kommentare: