12.02.2012

2011 #4 - Gil Scott-Heron & Jamie XX °° We're New Here


Schon wieder ein Remixalbum! Herr Dreipunktfünfneun, so geht das aber nicht.

Zumal ein ebensolches, das wenigstens im hiesigen Blätterwald nicht ausschließlich wohlwollend aufgenommen wurde - was bei näherer Betrachtung in der Regel ja eher dazu berechtigt, hier Erwähnung zu finden. Aber wir kommen nicht drumherum - und ich komme nicht drüber weg, wie fantastisch "We're New Here" geworden ist. Hinzu kommt die Tragik, denn es wird das letzte Album von Gil Scott-Heron sein, das wir zu hören bekommen. Der alte Mann des politischen Souls, der erst im Jahr 2010 mit dem großen Comeback "I'm New Here" für Aufruhr sorgte, starb am 27.5.2011 in New York. Er wurde 62 Jahre alt.

Noch zu Scott-Herons Lebzeiten setzte sich Jamie XX mit dem erwähnten Spätwerk auseinander, und auch wenn es durchaus erwartbar war, dass der The XX-Tüftler keinen Stein mehr auf dem anderen lassen würde, war meine Verwirrung zu Beginn nicht unerheblich. So ist das mit Erwartungshaltungen, und wenn der Groschen schlussendlich gefallen ist, wenn man also verstanden oder meinetwegen auch akzeptiert hat, dass Remixalben in der Regel immer dann am spannendsten sind, wenn sie mit der Originalvorlage so gut wie nichts mehr gemeinsam haben, dann geht die Sonne auf. Jamie XX hat nicht nur Dubstep, House und Fummelelectronica in Songs verwoben, die das eigentlich gar nicht vertragen dürften, er hat auch - und das ist das viel größere Rad, an dem er dreht - das abgeschlossene System von "I'm New Here" und dessen brodelnde Dramatik aufgebrochen. Das mag zu Beginn und bei grundlegend oberflächlicher Betrachtung schwerverdaulich sein; die Verbindungen, die Jamie XX jedoch zwischen seiner Musik und der Stimme und der Poesie Scott-Herons zieht, und die Tiefe, das spürbare Verlangen, "We're New Here" zu einem ähnlich intensiven und urbanen Werk wie das Original werden zu lassen, entfalten sich bei ständiger Dosierung wie ein Chicorée im Schnellkochtopf.

Es überrascht mich nachwievor, das viele professionelle Schreiber die "Kälte der Tanzfläche" und die "Unvereinbarkeit" der beiden Genres erwähnten, die sich durch das Album ziehen würden. Besonders der letztgenannte Kritikpunkt ist ja angesichts der lediglich vereinzelt auftauchenden Stimme Scott-Herons als einzige Tangente zum Soul, geradewegs grotesk, aber sei's drum, man gewöhnt sich dran. Es ist womöglich auch das Hype-Schreckgespenst, das es dem ein oder anderen geradewegs verboten hat zu erkennen, was spätestens beim Geniestreich "I'll Take Care Of You" zum großen Finale so klar wie Spucke wird: auch Jamie XX hat den großen dramaturgischen Bogen gespannt wie es schon "I'm New Here" tat, und urplötzlich macht jede einzelne Sekunde dieses bis dato gehörten Albums Sinn: es geht um Liebe und Respekt, es geht um die Vereinigung und es geht um die Suche nach dem Leben. Er hat die Weisheit von "I'm New Here" zusammen mit Gil Scott-Heron für die nächste Generation übersetzt. Das ist sehr versöhnlich. Und es macht Mut.


Erschienen auf XL Recordings, 2011.

Keine Kommentare: