26.12.2021

A Walk in My Atomic Garden - Platz 10: Bad Religion - The Process Of Belief




BAD RELIGION - THE PROCESS OF BELIEF


"The Process Of Belief" hatte praktisch ab der ersten Sekunde einen schweren Stand. Zum einen spukten "The New America" und vor allem "No Substance" noch ausgesprochen unangenehm im Frontallappen herum und reiherten auf sämtliche meiner blank liegenden Nervenenden, zum anderen befand sich Herr Dreikommaviernull, und das muss man so deutlich sagen, beim Release des Albums im Januar 2002 eigentlich schon auf dem direkten Weg ins Jenseits. Seit einem halben Jahr schluckte ich jeden Tag die Maximaldosis Diclofenac wegen unerklärlicher Rückenschmerzen, schlief kaum noch und wurde zusehends kraftloser und vor allem blasser. Um mich herum wurde das Leben immer trostloser. Es war dunkel im Winter 2002. Zwei Monate später wurde ich mit einem Hämoglobinwert von 3 ins Krankenhaus eingeliefert. Der Krebs war zurück - und die Musik verstummte. Ich ertrug in dieser Zeit praktisch nichts, was auch nur einen kleinen Pieps machte, und die Aussicht, vermeintlich halbsteifen Punkrock aus dem sommerlichen Los Angeles zu hören war aus mehreren Gründen unvorstellbar. 

Jedes Hören von "The Process Of Belief" legt auch zwanzig Jahre später noch den bleischweren Mantel jener Zeit über meine Schultern und zaubert kleine und überaus eklige Erinnerungsblitze aus dem Unterbewusstsein in die Gegenwart. Das Licht im damaligen Haus im Niemandsland zwischen Wiesbaden und Limburg. Der Geruch im Krankenhaus. Selbst dieses halbtote, blutleere Gefühl meines auf dem absolut letzten Rest Notstromenergie dahindämmernden Körpers fährt mir manchmal zurück in die Glieder. Es. Ist. Nicht. Schön. 

Das Album komplett losgelöst von meiner damaligen Existenz zu bewerten, erscheint unmöglich. Ich hielt in den letzten zwanzig Jahren allerdings auch (wenig überraschend) einen gewissen Sicherheitsabstand zu "The Process Of Belief" ein und hatte es in der Diskografie im letzten Drittel einsortiert, wohlwissend, dass viele eingefleischte Fans zum einen die Rückkehr des verlorenen Sohns Mr.Brett, zum anderen die im Vergleich zu "The New America" wiedergefundene Schärfe und Geschwindigkeit feierten. Tatsächlich klingen Bad Religion hier wieder deutlich mehr nach ihrer pre-"No Substance"-Phase: das rasante Einstiegstriple ist sofort ein dickes, mit 300bpm gekritzeltes Entschuldigungsschreiben und auch im weiteren Verlauf war der Fünfer wieder deutlich mehr von der Muße geküsst als zuletzt: "Kyoto Now" hat in Musik und Worten wieder das erfreuliche  Überhangmandat zu dieser unwiderstehlichen Kraft dieser Band, "Epiphany" ist trotz des Abstechers ins bräsige Alternativerock-Abwasser das melodisch stärkste Stück der Platte (und dabei viel besser als das immer noch ziemlich unerträgliche "Broken") und der Rausschmeißer "Bored & Extremely Dangerous" erinnert an typische, leicht gräulich schimmernde und herausragende Abschlusstracks wie "Skyscraper", "Markovian Process" oder "Walk Away". 

Meine Lieblingsplatte wird das alleine aus den eingangs erwähnten Gründen nicht mehr, aber ich kann mich immerhin zu folgenden Urteil hinreißen lassen: das ist eine gute Platte.


   


Erschienen auf Epitaph, 2002.


16.12.2021

A Walk in My Atomic Garden - Platz 11: Bad Religion - New Maps Of Hell




BAD RELIGION - NEW MAPS OF HELL


"New Maps Of Hell" ist der etwas ältere und leicht behämmerte Bruder des Vorgängers "The Empire Strikes Back" aus dem Jahr 2004: ein bisschen außer Kontrolle geraten, halbstark, einer, der immerzu zu viel und zu dick aufträgt und dabei flach ist wie eine Regenpfütze kurz hinter Kassel. Distortion: rauf! Gaspedal: Bodenblech. Das Schlagzeug? Scott Columbus hat aus dem Jenseits angerufen und möchte seine Drums Of Doom zurück. Noch mehr? Kannste haben: die megapeinlichen Riotshouts in "Requiem For Dissent" lassen auch 14 Jahre nach Erstkontakt noch sämtliche inneren Organe unter stummen Schmerzensschreien verwelken. Darüber hinaus ist die Produktion viel zu fett und metallisch, der Zeitgeist ist einfach ein Arschloch, und Wundertrommler Brooks "Haudraufundschluss" Wackerman passt zur Band wie ein Maschinenschlosser zum Telekolleg "Kaltnadelradierung". 

Und als ob das alles nicht schon wirklich genug Migräne macht, fragt die Herzallerliebste bei "Honest Goodbye" mit einiger Skepsis in der Stimme, was denn mit denen passiert sei; ob sie das beim Kaffeeklatsch im Seniorenstift komponiert hätten, den Blasenkatheter könne man ja praktisch riechen.

Und dennoch: ich kann nicht verleugnen, dass sich einige sehr gute Momente auf "New Maps Of Hell" versammelt haben, die sich zu meiner Überraschung sogar im oft eher ungeliebten, weil qualitativ nicht selten eher vernachlässigten letzten Drittel tummeln. "Lost Pilgrim" ist von der besten "The Gray Race"-Melancholie-Schule abgegangen, "Scrutiny" hätte sich mit einer offeneren Produktion auch bestens zwischen "Against The Grain" und "Generator" aufs Stühlchen setzen können, "The Grand Delusion" ist gar ein erstaunlich abwechslungsreiches, melodisch herausragendes und in gerade mal gut zwei Minuten gepresstes Juwel, und auch wenn der Abschluss mit "Fields Of Mars" wegen der albernen Pianosequenz zur Mitte deutlich zu lang und weilig gerät, schafft die Band hier einen außerordentlich bildhaften Hochgeschwindigkeitspunker. 

Sowas können nicht viele Bands. Vielleicht sind Bad Religion sogar die Einzigen.


   


Erschienen auf Epitaph, 2007.



07.12.2021

A Walk in My Atomic Garden - Platz 12: Bad Religion - How Could Hell Be Any Worse?

 


BAD RELIGION - HOW COULD HELL BE ANY WORSE?


Die Bewertung des Bad Religion-Debuts aus dem Jahr 1982 mündet in einen Generationskonflikt, denn auch wenn sich hier und da ein paar Hinweise darauf finden lassen, in welche Richtung sich die Musik unserer Helden später mal entwickeln sollte, schlagen hier wohl in erster Linie die Herzen jener höher, die "How Could Hell Be Any Worse?" vor dem Erstkontakt mit "Suffer" kennenlernten. 

Ich weiß wenig von der US-amerikanischen Punkszene Anfang der 1980er Jahre, aber ich benötige dennoch nur wenig Fantasie, um den Einfluss dieser Platte halbwegs richtig einzuschätzen: auch wenn vergleichbare und etwa zur gleichen Zeit erschienene Alben wie "Damaged", "Bad Brains" oder "Out Of Step" sich im kollektiven Bewusstsein stärker als unantastbare Klassiker etablieren konnten, steht  "How Could Hell Be Any Worse?" für viele Fans der ersten Stunde bis heute ebenfalls in dieser Reihe. 

Im Vergleich mit dem, was ab "Suffer" die Soundsignatur des Quintetts bilden sollte, ist das Debut ein bemerkenswert apokalyptisches und düsteres Werk, dem einerseits (und logischerweise) eine gewisse Unbekümmertheit im Spiel mit Atmosphäre und Worten anzuhören ist, dem gleichzeitig bereits jene Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit spiegelt, für die die Band später so geliebt wie berüchtigt werden sollte. 

Ich kann all das problemlos anerkennen, den Einfluss, die Relevanz, den Überraschungsmoment im Jahr 1982 - aber das sind noch nicht "meine" Bad Religion, die mich Anfang der 1990er Jahre an die Hand nahmen und mir zunächst die Welt auf links krempelten, bevor sie sie mir erklärten. Wäre ich zehn Jahre früher geboren worden und hätte dennoch eine vergleichbare Sozialisation erlebt, sähe ich das vermutlich sehr anders und "How Could Hell Be Any Worse?" wäre das Magnum Opus dieser Band. Der Urknall, der alles veränderte. Immerhin weiß ich, wie sich sowas anfühlen kann.

   

Erschienen auf Epitaph, 1982.