24.11.2016

Doppelgängers




THE LIFE AND TIMES - DOPPELGÄNGERS EP


Meine allerallerliebste noch aktive und also lebende Rockband, das supersupergute Trio von The Life And Times, hat eine neue Platte veröffentlicht; leider dieses Mal nicht als Vinylausgabe, jedenfalls noch nicht, und auch kein Werk mit neuen Eigenkompositionen: "Doppelgängers" ist eine Zusammenstellung von sieben Coverversionen von teils ungewöhnlichen Musikern und ebensolchen Songs von The Romantics, Katy Perry, Jellyfish, Iron & Wine, The Pretenders, Tom Petty und Carly Simon. 

Stilistisch gibt es in der Interpretation dieser Stücke keine riesigen Überraschungen - dass die Band wie aus der Zeit geplumpst wirkt und praktisch konkurrenzlos ihren trippigen und verwehten Indierock auf Lautstärke 11 spielt, habe ich hier vermutlich schon einige Male zu oft geschrieben

Dass sie mit ihrer genuinen Art selbst aus einer Popnummer von Katy Perry, Zitat: "We love Katy Perry. And we love this song. So if it sounds like we're trying to take the piss out of it and do a kitschy version- we're not. We just really really love this song. You should too." das Dunkle, Unbekannte, Gespenstische destillieren können und plötzlich ein psychedlischer Tiefseetauchersong im heimischen Wohnzimmer LSD Trips und Rosenblüten streut, ist indes ein Erlebnis. Und das Original ist in meinem Buch ein großer Haufen dünnflüssiger Teenagerkotze (Breezer, Döner, Schwangerschaftstest).

Neben der neuen Jud-Scheibe ist das jedenfalls ziemlich und very exactly my kind of Rock'n'Roll für die nächsten Monate. 




Erschienen im Eigenvertrieb*, 2016.

*Jedenfalls glaube ich das.

20.11.2016

Arbeit & Struktur




GOGO PENGUIN - MAN MADE OBJECT


Als ich vor einigen Jahren Nik Bärtsch's Ronin auf der Bühne im Innenhof des Historischen Museums in Frankfurt sah, an einem schrecklich unpassend strahlend sonnigen Sonntagmorgen und zudem zu einer Zeit, die mein Vater und seine Kumpels bis an ihr aller Lebensende als "Frühschoppen" in jeden Terminkalender reingekritzelt hätten, gab es ein großes Hallo, als dem Moderator nach dem Auftritt des Züricher Quintetts beim Vorlesen des Konzertplans für die kommenden Tage der Nachsatz "...dann gibt's auch wieder richtigen Jazz" aus den Stimmritzen fiel. Die Band, noch auf der Bühne stehend und den warmen Applaus der Zuschauer empfangend, lächelte gequält, ein paar ganz eiserne Betonköpfe auf den Bierbänken johlten laut auf und Herr Dreikommaviernull, in charmanter Begleitung der Herzallerliebsten, gab den Captain Picard. 

Etwas ähnliches hätte an diesem Sommertag in Frankfurt aus dem Trio aus Manchester passieren können. GoGo Penguin veröffentlichten zunächst zwei Alben auf Matthew Halsalls Label Gondwana Records, ehe die französische Abteilung des großen Majors zuschlug. Blue Note, nach außerordentlich bewegter Geschichte mittlerweile unter dem Dach der Universal Music Group angekommen, ließ kaum die Tinte unter dem Vertrag trocknen und veröffentlichte alsbald das dritte Album "Man Made Object" im Frühjahr 2016. 

Jazz ist das nicht. Oder doch?

Pianist Chris Illingworth, Bassist Nick Blacka und Rob Turner am Schlagzeug verbinden eine Mixtur aus Post Rock, Trip Hop und Drum'n'Bass mit einem klassischen Jazz-Pianotrio und zaubern daraus einen elektroakustischen Zaubertrank. Ein atmosphärisch nokturnes, nur von den hypnotisierenden, virtuosen und ganz zentral arrangierten Pianomelodien aufgehelltes Verschachtelungsmonstrum, in dem Rob Turner einen dicht verästelten Wald aus Beats, Fills und Wirbeln entstehen lässt. Und Nick Blacka ist bei Weitem nicht nur dafür da, mal untenrum schnell beizuschneiden und ansonsten den Jahresringen beim Wachsen zuzuschauen - er ist möglicherweise der eigentliche Puls dieser Band, dirigiert die Songs durch hyperaktiv getackertes Gestrüpp wie durch ozeanische Weite und Leere und setzt sowohl harmonisch als auch tonal immer wieder entscheidende Akzente. Die Virtuosität und das Talent des Trios reißen mich immer wieder zu heiseren Jubelschreien hin - denn auch wenn GoGo Penguin sich weniger um die Entwicklung ihres Sounds im Sinne eines freien Spiels mit Möglichkeiten und dem Erforschen von Grenzen, als viel mehr um feste Strukturen, auskomponierte und bei aller Komplexität durchaus aufgeräumte Songs kümmern, ist es ein Erlebnis diesen Wahnsinnigen zuzuhören. Und gleichfalls, wie im April im Offenbacher Hafen 2 geschehen, ihnen zuzuschauen. Ein schüchterner, in sich versunkener und introvertierter kleiner Haufen Briten, die zwar "nur" ohne große Worte ihren Stiefel runterspielten, aber: so einzigartig stiefelt gerade auch kein anderer. 




Erschienen auf Blue Note, 2016.

12.11.2016

Klasse M Planet



MERRIN KARRAS - APEX


A Strangey Isolated Place kam mir erstaunlicherweise erst in diesem Jahr so richtig aufs Radar, dafür dann aber durch die Alben von Markus Guentner, Arovane & Hior Chronik und der Zusammenstellung zum Tod des Produzenten Parks mit deutlich zu vernehmendem Nachhall. Das 2008 in England gegründete und mittlerweile nach Nordamerika umgesiedelte Label kümmert sich in erster Linie um Arbeiten aus dem Ambient- und Elektronikspielgarten und hat sich, ähnlich wie beispielsweise Constellation Records für den Postrock, zu einer richtigen Community entwickelt. 

Das Debutalbum von Merrin Karras ist dabei das Werk eines alten Hasen: Brendan Gregoriy, usprünglich aus Irland stammend, aber seit einigen Jahren in Berlin zu Hause, ist in erster Linie und seit gut 15 Jahren unter dem Künstlernamen Chymera im Techno- und House-Umfeld bekannt und hat sich nach einer zähen und aufreibenden Albumproduktion für sein Hauptmoniker mit "Apex" neu ausgerichtet und erstmals ein Ambientalbum veröffentlicht. 

"Apex" ist futuristischer Sci-Fi-Ambient mit kosmischen Synthiesounds, offensichtlich auch unter dem Einfluss von Michael Lopatins Oneohtrix Point Never und, na logo: Klaus Schulze entstanden, mit viel Weite und Raum und einem freien Blick auf den Sternenhimmel. Cineastische Dramatik im Breitbandformat wie in "Elevate", dazu harmonische Schwergewichte wie "Void", Geglitzer für Mondanbeter im abschließenden "Isolation" und weitläufige Verschachtelungen wie im Titelsong machen "Apex" zu einer introvertierten Schönheit im Alufolienkostümchen, manchmal mit zarten Flashbacks an die große Zeit der beiden Schotten von Boards Of Canada wie etwa in "The Veldt". 

Brendan sagt: “I wanted to make something that I could listen to when I travel, something I could enjoy just for what it was." - und ich habe für Euch beides getestet: bei nächtlichen Autofahrten wurde ich alleine wegen des konzentrierten Zuhörens praktisch automatisch zu einer Kapazität auf dem Gebiet der Astrophysik - auch, weil ich es hingenommen habe, wie es ist: eine hochinteressante, tadellos visionäre, komplexe und sehr bildhafte Musik. 




Erschienen auf A Strangely Isolated Place, 2016.

06.11.2016

Mr. President, you’ve done everything but ultimate fighting and amateur porn!




Bill Maher, Gastgeber von "Real Time With Bill Maher" im US-amerikanischen Fernsehen, Stand-Up Comedian, Schauspieler und immer öfter erfolgreich in der Selbstinszenierung als politischer Kommentator, hat im Januar diesen Jahres eine Petition gestartet, den noch amtierenden Präsidenten der USA im Rahmen seiner wöchentlichen Show interviewen zu können. Obama ist über seine achtjährige Amtszeit oft und gerne als Gast in ähnlichen Formaten aufgetreten: bei Stephen Colbert, Jimmy Fallon, Jimmy Kimmel, Letterman - ganz zu schweigen von Interviews mit den üblichen Verdächtigen der amerikanischen Medienlandschaft wie Chris Wallace, Anderson Cooper, Rachel Maddow, Keith Olbermann - selbst der rechtskonservative Bill O'Reilly hatte seine Redezeit mit Obama (und fiel ihm dabei mehrfach auf sehr respektlose Weise ins Wort).

Um Bill Maher machte Obama indes einen weiten Bogen und Bill fragte sich: kommt er nicht, weil ich bekennender Pothead bin? Oder weil ich gleichfalls bekennender Atheist bin? Nun ist Maher ein ausgewiesener Egozentriker. Einer, der sich selbst und sein Tun, diplomatisch formuliert: sehr wichtig nimmt. Und der sowas ganz und gar nicht auf sich sitzen lassen kann.

Hier ist der Clip über seine Ankündigung zum Start der Onlinepetition:






100.000 Unterschriften waren notwendig, um eine Antwort des Weißen Hauses zu erhalten. Innerhalb weniger Tage waren es über 300.000.





Nachdem sich das Weiße Haus in seiner Antwort zunächst sehr zurückhaltend äußerte, ist es nun tatsächlich doch passiert: Maher war im Weißen Haus, und er traf Obama - und damit immerhin den Mann, dem er im Wahlkampf 2012 eine Million Dollar als Spende zukommen ließ. Was ihn in Bezug zu dessen Real Time-Ignoranz zu dem legendären Satz "I gave Obama a million dollars and he treats me if I lent him a million dollars!" brachte.


Hier ist es nun, das Ergebnis seiner Mühen. 37 Minuten mit Barack Obama und Bill Maher.



05.11.2016

Devil In The Details




BVDUB - YOURS ARE STORIES OF SADNESS


Es gibt ein neues Album von Brock van Wey alias BVDUB, veröffentlicht vor wenigen Wochen via Bandcamp und dort als Download verfügbar. 

"Yours Are Stories Of Sadness" ist ein bemerkenswertes Stück Musik und ich verstehe jeden, der nun das Lesen dieses Artikels abbricht, denn "das schreibt der doch immer über BVDUB." Das stimmt. Es gibt nur ganz wenige Werke aus den letzten fünf Jahren, seitdem ich ihn mit "The Art Of Dying Alone" für mich entdeckte, die ich nicht mit den überkandideltsten Verehrungen versah, und jeder noch so redundante Kniefall vor seiner Musik war und ist immer aufrichtig und ehrlich. 

Der unvermeidbare Disclaimer: Ich bin nicht gekauft, und ich habe auch keine Verpflichtungen. Ich bekomme nichts geschenkt und nichts vergünstigt. Ist natürlich totaler Vollquatsch, das hier zu erwähnen - ein nerdiger Kunterbunt-Musikblog im Jahr 2016 interessiert ja im Prinzip keinen müden Arsch mehr. Aber mir ist's trotzdem wichtig. Get over it. 

Das einzige, was mich in dieser Hinsicht selbst von Zeit zu Zeit überrascht: es ist bekannt, dass mir relativ schnell ziemlich langweilig wird, und nicht wenige Musiker und Bands können in so fern ein Liedchen davon singen, als dass ihre Alben spätestens nach der zweiten Wiederholung nicht mehr den Weg in mein Plattenregal finden. Es gibt Ausnahmen, aber die sind selten. Brock van Weys Musik ist eine solche Ausnahme, obwohl die Veränderungen in seiner Musik über die letzten fünf Jahre, immerhin vollgepackt mit im Schnitt etwa vier Alben pro Jahr, nur mit gewisser Anstrengung wahrnehmbar waren. 

Aber es ist etwas in seiner Kunst, das mich tief berührt. Ich kann das nicht genau beschreiben (wenngleich ich es schon oft versucht habe). Es fühlt sich nach Heimat, Wärme, Verständnis und Liebe an; wohlwissend, dass Abstraktion uns hier nicht weiter hilft - mir bisweilen aber schon. Ryan Griffin von Elektronik- und Ambientlabel A Strangely Isolated Place beschreibt es auf seinem Blog wie folgt:

"His tracks are often intense and emotional, yet placed for positions of quiet and personal listening. Finding the right moment to listen to bvdub is one of the reasons I don't listen to his albums more - they become destined for very special occasions, intense emotional places, and I think that's why he manages to connect with so many people on a much deeper level than most. You don't listen to one track of his, you listen to an entire album, and you're his companion in time of need, stress, celebration or reflection. Be it a close death, a friendship, or in this instance, fragmented memories, Brock is brilliant at painting these vivid emotions."

Was ich eigentlich sagen wollte: "Yours Are Stories Of Sadness" ist anders - und das nicht nur, weil seine 19 Songs bei einer Spielzeit von 78 Minuten im Schnitt nur noch viereinhalb, und nicht wie gewohnt zwölf Minuten lang sind. "Yours Are Stories Of Sadness" ist ein zusammengeschnurrtes Emotionsdestillat von BVDUB, mit ungewöhnlichen Sounds und Arrangements. Ich kann nicht sagen, das Ergebnis sei fokussierter als sein vorangegangenes Oevre, aber es hat zweifellos eine andere Stimmung, ein anderes Licht. Ich weiß noch nicht, ob es mich emotional so mitnimmt wie beispielsweise "Tanto" oder "The Truth Hurts" - dass mich das Album trotzdem fast schon magisch anzieht, und ich es immer wieder hören muss, ist eine Beobachtung, die ich mit Euch teilen möchte. 





Erschienen in Eigenregie, 2016.