26.05.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: Fates Warning - Theories Of Flight




FATES WARNING - THEORIES OF FLIGHT


Jim Matheos und Ray Alder bliesen mir vor vier Jahren den eigentlich längt eingemottet geglaubten Heavy Metal-Marsch zurück ins Haus, und wo das gesagt ist: nicht nur mir! Die Herzallerliebste, schwerem Metall ansonsten nicht über alle Maßen zugeneigt, zeigte sich ebenfalls beeindruckt und hörte vor allem den zentralen Über-Song dieses Albums "The Light And Shade Of Things" über einen kompletten Sommer hinweg täglich auf heavy rotation - in voller Anerkennung des Kults um die Frühwerke der Band seitens der sowieso sehr loyalen Fanbase, ist dieser zehnminütige Wahnsinnstrack vielleicht das Beste, was jemals aus Herz und Hirn der beiden eingangs erwähnten Männer herausfiel. 

Folgerichtig sind die zwei auch die Stars dieser Platte. Alder mit seiner unnachahmlich dunkel-aufgerauten, gereiften und nie besser klingenden Stimme und Gitarrist/Songwriter/Kompass Jim Matheos, letzterer aus drei Gründen. Erstens: niemand spielt so wie er. Zweitens: niemand schreibt so wie er. Drittens: Niemand produziert so wie er. Wer hat denn bitte jemals eine besser klingende Metalgitarre gehört als in der Single "Seven Stars" und ihrem in voller Breitseite durchgepeitschten offenen D-Akkord? Eben - niemand! 

"Theories Of Flight" ist das beste Fates Warning-Album aller Zeiten.




Erschienen auf Inside Out, 2016.

21.05.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: Young Magic - Still Life




YOUNG MAGIC - STILL LIFE


Ich orakelte schon im 2016er Jahresrückblick über die zu erwartende Ausnahmestellung von "Still Life", und siehe da: ich kenne mich manchmal doch besser als gedacht. 

"Es gab in 2016 so einige Platten, die mein Leben vermutlich auch über das immer noch andauernde Superscheißjahr 2016 hinaus prägen werden; in erster Linie, weil ich mit Ihnen eine bestimmte Zeit, auch ganz besonders ein Lebensgefühl verbinden werde. Und einige davon werden vielleicht wichtig für das restliche Leben werden, sei es, weil sie besondere Saiten in mir angeschlagen haben, sei es, weil ich mit ihnen überhaupt nicht rechnete und die Überraschung und Begeisterung nicht zuletzt genau davon getragen wird und wurde. "Still Life" könnte so eine Platte werden."

Das musikalische Tagesbuch von Sängerin Melati Malay und ihrem Partner Isaac Emmanuel, erdacht und ausgetüftelt auf Malays Reisen, unter anderem auch in ihr Heimatland Indonesien auf der Suche nach den Lebensspuren ihres damals just verstorbenen Vaters, oszilliert durch ätherische Zwischenwelten, sediert die Sinne, durchdringt die Trauer und feiert das Leben. 

Und dennoch fehlen mir immer noch die Worte für die Gefühle, die "Still Life" in mir auslöst. Ich konnte es schon vor vier Jahren nicht genau beschreiben und es macht mich auch im Supersupersuperfuckingsuperscheißjahr 2020 ratlos. Irgendetwas in dieser Musik scheint mir so verflucht nahe zu kommen, dass ich mich beinahe davor fürchte, genauer hinzuschauen. 

Vielleicht das persönlichste und möglicherweise deshalb auch rätselhafteste Album des Jahrzehnts. 




Erschienen auf Carpark Records, 2016.

16.05.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: Kamasi Washington - The Epic




KAMASI WASHINGTON - THE EPIC


Eine Bestenliste des letzten Jahrzehnts ohne diesen Meilenstein ist kaum vorstellbar. Auch auf die Gefahr hin, ein bisschen zu dick aufzutragen: "The Epic" hat die Welt verändert, praktisch aus dem Nichts. Und jeder, der es hörte, ahnte schon früh, dass die Ohren bitteschön zu spitzen seien. 

Denn etwas Großes war im Gange, man möchte fast zum despektierlichen "Größenwahn" greifen: 180 Minuten Musik verteilt auf drei LPs beziehungsweise CDs, ein Orchester, ein Chor, überlange Songs, für deren Arrangements die Beschreibung "opulent" nichts weiter als ein abgeschmackter Euphemismus ist, ein ikonisches Coverartwork und eine inszenierte Sogwirkung, die in ihrer Begeisterung alles mitriss, was sich nicht in die hinterste Ecke des Jazzclubs zu den anderen Betonköpfen retten konnte, die seit 50 Jahren auf "Bitches Brew" herumquallen und dabei langsam zu Staub zerfallen. 

"The Epic" wurde zum großen Vermittler und zur spirituellen Einigungsstelle und ja, "The Epic" hat die Welt zu einem besseren Ort gemacht. Das mag angesichts eines Irren, der nur 18 Monate später als herumstammelnde Hämorrhoide das Weiße Haus besetzen sollte, etwas schwer zu begreifen sein - aber wer diese Platte gehört hat, wird schon verstehen. 

(Mehr Hintergrundinformationen gibt es in meinen alten Posts HIER und HIER)



Erschienen auf Brainfeeder, 2015.

09.05.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: George Fitzgerald - Fading Love




GEORGE FITZGERALD - FADING LOVE


Der Sommer 2015 mit dieser Platte im Reisegepäck wird unvergessen bleiben. Wir verbrachten einige Tage bei der Familie in Lübeck und fuhren jeden Tag mit dem Auto an einen Hundestrand an der Ostsee (Fabbi liebt den Strand!), und was schon auf der sechsstündigen Anreise offensichtlich war, dass wir also unsere Sommerplatte des Jahres gefunden hatten, wurde auf den täglichen Fahrten nur noch bestätigt: es verging keine Sekunde ohne "Fading Love". 

Bittersüße Melodien, Melancholie im Nicki-Strampler mit einem trockenen Martini in der Hand, Sonnenuntergänge im Sepiafilter. Herausragender Moment ist sicher die Single "Full Circle", die mühelos das gesamte Album tragen kann und bis heute Emotionen und Bilder hervorruft, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Im Grunde will man die Welt umarmen und dabei Rotz und Wasser heulen. Und weil das gleichzeitig eine sehr akkurate Beschreibung des eigenen Gemütszustandes am Rande des Wahnsinns ist, finde ich, das trifft's auch im Frühjahr 2020 noch ganz anständig. 





Erschienen auf Double Six, 2015.

01.05.2020

2010 - 2019 - Das Beste Des Jahrzehnts: Melanie De Biasio - No Deal




MELANIE DE BIASIO - NO DEAL


Eine DER Entdeckungen des vergangenen Jahrzehnts, und es ist vor allem dieses umwerfende Debut der belgischen Sängerin, das mir über Gebühr den Kopf verdrehte. 

"No Deal" ist nokturne Erotik zwischen Chansons und Jazz, selbstbewusst und lasziv, zu gleichen Teilen stark und zerbrechlich. Ein heruntergedimmtes, tiefrot pulsierendes Glühen in einer vernebelten Nacht, in der die Adern der Großstadt zu schlafen scheinen - und doch: im Untergrund brodelt es, der Puls ist erhöht, die durch die Dunkelheit treibenden Gestalten so anziehend wie abstoßend. Das Spiel mit dem Verbotenen, dem Gefährlichen, das Zögern und das Dehnen, die bittersüße Versuchung ziehen sich durch jede Sekunde von "No Deal", bis sich die daraus geformte ambivalente Spannung im Abschlusstrack "With All My Love" langsam entlädt - ein Stück, das auch sechs Jahre später nichts von der betörenden Intensität verloren hat. 

Die minutenlang schwingende Erlösung zum Schluss war zweifellos einer der eindrücklichsten Momente des letzten Jahrzehnts.





Erschienen auf Play It Again Sam, 2014.