20.10.2021

A Walk in My Atomic Garden - Platz 17: Bad Religion - No Substance


BAD RELIGION - NO SUBSTANCE


Im Sommer 1998 ließ ich mich auf das Untergangskommando ein, mit meinem Opel Corsa (ich schwöre: gleiche Farbe!) von Frankfurt nach Riccione an der italienischen Adriaküste zu fahren. Im musikalischen Gepäck: die neue Bad Religion. Die Lieblingsband hatte ein neues Album, und ich war überzeugt: es wird so großartig sein, wie alle vorangegangenen Bad Religion Platten auch, geht ja auch gar nicht anders. Spätestens im St.Gotthard-Tunnel war indes klar: es geht doch anders! Sehr anders sogar; die restlichen sechs Stunden der Autofahrt standen unter keinem guten Stern. 

"No Substance" ist die für mich bis heute kälteste Enttäuschung und dunkelste Stunde aus 35 Jahren Liebe zur Musik. Alles an dieser Platte wirkte damals schon falsch, und daran hat sich bis heute nichts geändert: die Songs, der Sound, das Cover, die Hooklines, die Texte, Graffins Stimme, motherfucking Campino - einfach alles: falsch, falsch, falsch. Wenn ich ehrlich bin, hat sich für mich die Band bis heute nicht von diesem Aufprall erholt; ich halte selbst im Jahr 2021 keine drei Songs dieser Platte am Stück aus. 

Vielleicht ist "No Substance" die tiefste, einschneidendste Zäsur in der Wahrnehmung einer Band, die ich je mit eigenen Sinnen erlebte. Ich könnte bis Silvester 2024 so weiterschreiben. Falls es bislang noch nicht so ganz eindeutig rüberkam: Desaströs ist noch ein sehr, sehr, sehr schmeichelhaftes Urteil.

Aber ich gehe hier nicht alleine unter. 

UND JETZT ALLE: FA FA FAFAAAA, FA FA FAFAAAJA LECKEN SIE MICH DOCH AM ARSCH! 

   


Erschienen auf Sony Music Entertainment, 1998.

11.10.2021

A Walk In My Atomic Garden: Bad Religion




A WALK IN MY ATOMIC GARDEN: 

BAD RELIGION

Meine erste Begegnung mit Bad Religion spielte sich an einem Herbstmorgen des Jahres 1991 gegen 7:30 Uhr auf dem Schulhof des Leibniz-Gymnasiums in Frankfurt-Höchst ab. Meine Klassenkameradin Nathalie begrüßte unsere Gruppe mit schnellen, hibbeligen Trippelschritten, funkelnden Augen und diesem Gesichtsausdruck, der atemlose Vorfreude verriet. Unter ihrem rechten Arm trug sie eine Schallplatte. Sie zeigte sie stolz in die Runde, riss die Augen weit auf und - lachte einfach nur. Ein lautes, ungläubiges, staunendes Lachen. Der Subtext war klar: "Das ist so geil. Was ist DAS denn? Ich habe sowas noch nie gehört. Das wird die Welt verändern." 

Die Platte hieß "Against The Grain" von Bad Religion.

Ich war damals 14 und hatte mit Punkrock nix an der Frisur. Wahrscheinlich hatte ich sowieso noch nie Punkrock gehört. Ich war bestimmt gerade im Begriff, von Nirvana so richtig auf links gedreht zu werden, aber darüber hinaus wurde mein musikalisches Leben von Heavy Metal dominiert: Iron Maiden, Iced Earth, Sepultura, Slayer, Metal Church, Helloween, Agent Steel. Sehr ganz vielleicht hatte ich im Plattenschrank meines Bruders mal ein Cover einer Dead Kennedys Platte gesehen und hörte dazu den ungewohnt schroffen Kommentar "Das ist nix für Dich" - immerhin von einem, der ein paar Jahre zuvor keine Probleme damit hatte, mir Venoms "Black Metal" und Slayers "Angel Of Death"  auf den Plattenteller zu legen. Aber sonst?!

Über die nächsten Jahre meiner Sturm- und Drangzeit in den frühen Neunzigern sollte sich das ändern - und das lag in allererster Linie an Bad Religion. Meine erste gekaufte Punkplatte war eines ihrer Alben, ich legte auf Musikbörsen richtig viel Geld für richtig scheiße klingende Bootleg-CDs auf den Tisch (die kamen mir sonst nur von Maiden in die Tüte), ich trug ihre berühmten "Crossbuster"-Shirts mit der Mischung aus pubertärer Rebellion und unkontrolliertem Abgrenzungswahn. Ich lernte ihre Songs auswendig, zunächst die Texte und später, nachdem ich meine erste E-Gitarre gekauft hatte, auch die Musik. Nochmal später versuchte ich sogar, ihre Texte zu verstehen. Ich schaute ihr "Along The Way" Video (auf VHS, for fuck's sake!) und hörte vor allem in den Interviewsequenzen ganz besonders aufmerksam zu, als Sänger Greg Graffin über die immer weiter aufklappende Schere zwischen arm und reich referierte. Mein erstes Punkkonzert war ihr Gastspiel in der Neu-Isenburger Hugenottenhalle im Sommer 1993, und wenn ich ehrlich bin, habe ich in den folgenden 28 Jahren kein Konzert mehr besucht, auf dem eine solche Stimmung herrschte. Die Hugenottenhalle war ausverkauft und fasst bei Konzerten etwa 1500 Menschen. Ich schwöre bei meinem rechten Hoden: wenn die Band spielte, ließ sich in der ganzen Halle kein Quadratzentimeter Ruhe finden. Alle waren in Bewegung. ALLE! A! L! L! E! 

Nun waren spätestens nach 1998 weder Zeit noch Inspiration besonders gnädig zu dieser Band und so gerne ich auch etwas anderes behaupten möchte, hielt sich meine Begeisterung über ihre neuen Platten seitdem in eher engeren Grenzen. Das hat sicherlich auf beiden Seiten seine Gründe, aber beim Blick aufs große Ganze werden Bad Religion immer zu den zehn Bands gehören, die mir über das normale Maß hinaus ans Herz gewachsen sind. Die Mischung aus Corona-Lockdown und Sport im 55°C heißen Schuppen bei lauten Punkrock über die letzten eineinhalb Jahre haben mir ganz deutlich gezeigt, dass sie einfach immer zu mir und zu meinem Leben gehören werden. 

Die Idee für die nun bis zum Jahresende folgende Auseinandersetzung mit all ihren Studioalben, mit dem beliebten "Eine Platte = Ein Posting"-Prinzip künstlich aufgebläht, kam mir Anfang des Jahres 2021, als ich mich durch den Berg der von mir bislang salopp als "Scheißplatten" bezeichneten Alben ihrer zweiten Karrierehälfte kämpfte und mit einem Fitzelchen Überraschung hier und da mein früheres Urteilsvermögen in Frage stellen musste. Und außerdem: Wir brauchen alle mehr Listen. Viel mehr Listen. Listen, Listen, Listen. Also...gehen wir's an. 

Bad Religion. Worst To Best. Jetzt. Bald. Gleich. 


You (didn't) want it, you got it. 









Disclaimer: "Y'all know this is just my opinion, right?" (Anthony Fantano)