11.04.2010

2000-2009 #19: Tomte - Hinter All Diesen Fenstern



Ein bisschen Zahnschmerzen habe ich schon dabei, Tomte im Jahr 2010 doch nochmal positiv zu erwähnen, aber es hilft alles nichts:"Hinter All Diesen Fenstern" war 2003 eine Sensation für mich und riss meine Vorurteile gegenüber deutschsprachiger Musik in die bodenlose Tiefe - nur um kurze Zeit später in exakt jener Tiefe darin bestärkt zu werden, einheimische Lyrik zu meiden wie Horst Köhler einen IQ oberhalb 40. Das hat erstmal nicht viel mit der Band um Saufziege Thees "Beck's" Uhlmann zu tun, aber spätestens mit dem aktuellen Album "Heureka" und dessen zum blanken Klischee verkommenen Sprachmischung aus trostloser Befindlichkeitslyrik und anschleimendem Szenegelaberdreck ist es mal sowas von vorbei, dass es fast schon vorbei ist.

Ich weiß noch, dass ich mich beim Erscheinen von "Hinter All Diesen Fenstern" mit Händen und Füßen dagegen wehrte, diese Band auch nur in Ansätzen zu nah an mich heran zu lassen. Nach dem "Genuss" eines Interviews in der Indie-Schmu-Postille Visions (natürlich wie bestellt von Krampfjournalist Armin Linder ans Kreuz genagelt), kam mir angesichts der zur Schau gestellten Milchsemmel-Mentalität mit Blümchen, Bienchen und Bierchen das ein oder andere unschöne Wort über die Lippen und ich beschloss, mir eher die Ohren mit Flüssigbeton aus zu gießen, als einmal Tomte zu hören - oder noch schlimmer: mir sogar die Platte zu kaufen. Mein Vorsatz hielt exakt 13 Tage. Dann lief der zuvor immer brav weggeskippte Track "Schreit Den Namen Meiner Mutter" von der Visions-CD dann doch mal während des Zwiebelschneidens über die Stereoanlage in der Küche und ich wusste plötzlich nicht mehr: heule ich vor Ergriffenheit oder wegen dieser verkackten Zwiebel?! Ich wehrte mich weitere zwei Wochen und dann knickte ich ein: die Platte muss her.

Was folgte war pure Ergebenheit. Das waren Texte, bei denen man sich fragte, warum man sie nicht selbst geschrieben hat und sich als Antwort entweder überlegte, dass man selbst eben bei Weitem nicht so weise oder wenigstens so betrunken sei wie Ulhmann oder - die Pathosantwort - dass es zu sehr schmerzte, hätte man sie selbst geschrieben. Als ich zum ersten Mal "Endlich Einmal" hörte, eine Geschichte über Uhlmanns Beziehung zu seinem Hund, musste ich ungelogen abwechselnd Lachen und Heulen. Und auch wenn es nicht besonders en vogue ist, zu zugeben, dass man bei Tomte-Songs heult: ich tat es. Um ehrlich zu sein tue ich es noch heute, wenn beispielsweise "New York" oder "Die Geigen Bei Wonderful World" vom Nachfolger "Buchstaben Über Der Stadt" laufen. Ich heule immer. Ich kann nichts dagegen tun, die Schleusen sind spätestens offen, wenn mir bestimmte Zeilen "ans Lauschgesims laffeln" (Olaf Schubert):

Wie die Straßen mäandern
Wie die Städte zerfallen
Wie meine Hoffnung sich erhebt in diesen heiligen Hallen
Wir heben einen Finger, um zu sehen
Aus welcher Richtung der Wind weht
Und der Wind steht gut, denn es ist nicht zu spät
Ich habe ein Gespür entwickelt, wie gut es mir geht
Oh, ein Kuss auf die Stirn und danke für die Stunden
Man fühlt sich, als habe man die Liebe erfunden
Ich will dich treffen, wo's am schönsten war
Ich will dich treffen in zehntausend Jahren
Am Reservoir


Da brech' ich zusammen.

Aber zurück zu "Endlich Einmal":

Ich und mein Hund,
wir mögen zusammen gehen,
da vorne könnte etwas passieren,
wir bleiben stehen.
Ich ziehe deine Anwesenheit
den meisten Menschen vor.
Du trägst immer eine Leine
und das nur wegen mir.

Denn ich würde töten,
wenn du stirbst
und das sage ich nur dir
in dieser Welt, die für uns
aus drei Sachen besteht.
eine Hand auf dem Bauch,
eine Stunde an der Luft,
eine Jagd auf den Geruch,
der Lust verspricht.

Endlich einmal etwas, das länger als 4 Jahre hält,
endlich einmal, etwas das länger als 4 Jahre hält.

Du jagst die Kronkorken,
die ich schmeiße.
du hast viel zu tun
in dieser zeit.
du wirst unruhig,
wenn du die Elbe riechst,
du weißt ich war nervös,
während dieser Monat verstrich.
das ist kein Urlaub,
das ist eine Reise,
das ist alles andere als
die gute Seite.
sie erreichen ihre Ziele,
für uns ist es unsagbar weit.

Endlich einmal etwas, das länger als 4 Jahre hält,
endlich einmal etwas, das länger als 4 Jahre hält.

Aber wir gehen unsagbar weit,
aber wir gehen unsagbar weit,
aber wir gehen unsagbar weit,
aber wir gehen unsagbar weit,
aber wir gehen unsagbar weit,
aber wir gehen unsagbar weit.

Endlich einmal etwas, das länger als 4 Jahre hält,
endlich einmal etwas, das länger als 4 Jahre hält.


Als dann der hier besungene Hund ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung tatsächlich im Hamburger Straßenverkehr sein Leben ließ und die Nachricht darüber die Runde machte, litt ich mit Thees Uhlmann und musste sofort an dieses Lied denken. Und es tat scheißeweh.

Ich könnte hier jetzt noch stundenlang über die schiere Größe von Hymnen wie "Du Bist Den Ganzen Weg Gerannt" oder "Die Schönheit Der Chance" mit seinen tollen Bläsern, der unbeschreiblichen Euphorie und der Textzeile "Das ist nicht die Sonne die untergeht, sondern die Erde die sich dreht" schreiben, reden und mich nassmachen, aber im Grunde ist eh alles gesagt. Nur noch das: es fühlt sich beinahe seltsam an, das heute so zu schreiben, weil in den letzten sieben Jahren eben doch eine Menge passiert ist und ich mich heute nur schwer in meine Gedanken- und Gefühlswelt
des Sommers 2003 hinein versetzen kann. Es fühlt sich fast ein bisschen falsch an, Tomte auch heute noch zu mögen. Dann höre ich dieses Album und sämtliche Zweifel sind verloren. Immer noch und in vollster Überzeugung: "Hinter All Diesen Fenstern" ist eine ganz riesige Platte.

Erschienen auf Grand Hotel Van Cleef, 2003

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