06.07.2008

(R)evolution



"When ever I have a conversation about what's wrong with the jazz business, I always start out by saying, 'Where is Grachan Moncur?'"

Jackie McLean

Manche Wahrheiten benötigen Zeit. Manche Musik benötigt Zeit. Und wenn Wahrheit und Musik aufeinandertreffen, dann können schon mal ein paar Dekaden vergehen, bevor sie aus nebligem Dickicht gezerrt und entdeckt werden. Eine sehr scheue Kombination, scheinbar. Bei Grachan Moncur III stießen die beiden Faktoren mehr als nur einmal aufeinander, und es macht den Eindruck, als habe sich in nahezu gleicher Frequenz sein Image als merkwürdiger Kauz immer weiter in die Jazzwelt hineingebohrt. Sowas kann zu einem prächtigen Boomerang werden.

Als einer der wenigen Posaunisten, die sich in der Free Jazz/Avantgarde-Welt bewegen, erscheint er mir besonders in den letzten Monaten als einer der inspiriertesten Jazzmusiker aller Zeiten. Auch wenn sich Moncur nach eigener Aussage gar nicht in der Avantgarde-Ecke zuhausefühlt ("To me, it wasn't avant-garde per say for what the avant-garde was really standing for at that time to me. The avant-garde at that time was dealing with the idea of being revolutionary music. I had no thoughts in my mind of this being revolutionary."), so gelten besonders sein Blue Note-Debut als Leader "Evolution",  und das mit Jackie McLean als Leader aufgenommene "Destination...Out!"(beide 1963 erschienen) als sehr außergewöhnlich und innovativ. Für mich begann das Phänomen Moncur mit einer Aufnahme aus dem Jahr 1969, "New Africa", aufgenommen im Rahmen einer Session für das legendäre französische BYG Actuel-Label. Die hier enthaltenen vier Songs zählen für mich mittlerweile zu den großen Sternstunden des Jazz: der ausufernde, aber zu jeder Sekunde mit glasklarer Struktur versehene Titeltrack, der sich in den ersten Minuten so traumhaft durch eine simple Klaviermelodie schleppt, das nervös-sirrende, dunkle und unheilverkündende "Space Spy", oder "Exploration", das seinem Name mit sehr freien Solos alle Ehre macht, und zu guter Letzt "When", einem mit dunklen Swing ausgestatteten Wohlfühlmonster; Moncurs Songwriting ist zu jeder Sekunde eine glatte Offenbarung, sein Stil völlig einzigartig. Zugegeben, ich bin immer noch nicht vollständig hinter sein Geheimnis gekommen. Dafür ist der Mann viel zu wendig, seine Brüche und Sprünge so fix, sein Motive so strange & beautiful, das ich sie - ganz ehrlich gesagt - auch einfach nur genießen möchte. In einem Interview mit Allaboutjazz.com sagte er über seine Art Songs zu schreiben:"I was trying to look at writing at that point the way a painter would paint. You put your thing on the easel and you sketch something and you come back to it the next day or a couple of days. That's how I was trying to think musically. I wasn't trying to finish anything. I still don't do that. I don't try to write anything that I consider a complete piece, especially now. It is always a work in progress. I don't change anything, but I add." Moncur balanciert für meine Begriffe genau an der Schnittstelle eines eher traditionellen Jazzmodells wie dem Hardbop und den Anfängen des Free Jazz in den frühen sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Hier hat er seinen Platz gefunden, fokussiert sich aber in Sachen Songwriting besonders auf Stimmungen und Kontraste. 
Möglicherweise ist speziell dieses Merkmal der springende Punkt seiner 
Musik.

Trotz seiner Zusammenarbeit mit Blue Note zählt Grachan Moncur III bis heute zu den eher unbekannteren Jazzmusikern, obwohl er bis heute Platten veröffentlicht, wenn auch in sehr unregelmäßigen Zeitabständen. In dem weiter oben erwähnten, sehr spannenden, Interview nimmt Moncur zu diesen und anderen Themen Stellung, oftmals auf eine Art und Weise, die mir alleine beim Lesen seiner Sätze den Herzschlag beschleunigt. Es ist, als könne ich seine Worte hören. Sie klingeln regelrecht in den Ohren.

"New Africa" von Grachan Moncur III ist 1969 auf BYG Actuel erschienen.

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