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19.06.2025

My Nineties Were Better Than Your Nineties - #196: Killing Joke - Pandemonium




KILLING JOKE - PANDEMONIUM


"I think we’ve reached the stage where the only good thing that can happen is destruction on some level. Let’s give the cockroaches a go!" (Jaz Coleman)


Es ist ein bisschen peinlich, aber ich fühle mich dennoch verpflichtet, es öffentlich zu äußern: ich bin erschütternd spät zu Killing Joke gekommen. Und wenn ich's halbwegs genau nähme, hat es erst im Laufe der letzten zehn Jahre zwischen uns so richtig gefunkt. Für lange Zeit nahm ich der Band die stilistischen Anpassungen ihres Sounds, ganz besonders jene, die sie zu Beginn der neunziger Jahre vornahm, nicht ab und hielt besonders "Pandemonium" für eine unangenehm dem damaligen Zeitgeist folgende Angelegenheit, was stets Abzüge im Glaubwürdigkeitsranking mit sich brachte. "Pandemonium" war 1994 das bis dato mit einigem Abstand härteste Killing Joke-Projekt und wies darüber hinaus nur noch Spurenelemente ihres früheren Sounds auf, der allerdings - und auch das half der Credibility nicht so recht - auch schon in den 1980er Jahren ein paar deutliche Kurskorrekturen durchmachen musste. 

Das Trio mauerte 1994 eine meterdicke Wand aus sirupartig aufgetragenen Gitarren und robusten, gewaltig groovenden Beats, gegen die Sänger Jaz Coleman mit heiserem Gekreische anbrüllen konnte. Das zog auch hinsichtlich der als weiteres Stilmittel eingeführten Monotonie einige Parallelen zur "Psalm 69"-Phase von Ministry oder auch Trent Reznors Nine Inch Nails und passte insgesamt bestens in die florierende Alternative/Industrial-Szene. Killing Joke walzen auf "Pandemonium" nicht selten mit maximal drei Riffs durch fünf bis sieben Minuten dauernde Songs, und sie hören einfach nicht damit auf - ein Rezept, das auch auf ihren späteren Alben ab Mitte der 2000er öfter zur Anwendung kam. Das muss man aushalten können. Und wollen. Angesichts der Legion musikalischer Harmlosigkeiten, die die Rockszene in den letzten dreißig Jahren hervorbrachte, wirkt "Pandemonium" selbst im Jahr 2025 fast noch ein bisschen wahnsinniger und gefährlicher als 1994. Sowas lässt sich nicht oft über dreißig Jahre alte Platten sagen. 


Vinyl und so: Es gibt LP-Reissues von "Pandemonium" von Let Them Eat Vinyl (2008) und Spinefarm Records (2020) und zumindest letztgenannte ist trotz der Herstellung bei GZ Media eine hervorragend klingende Pressung. Ich habe keinen Vergleich zum Original aus dem Jahr 1994, das allerdings in gutem Zustand auch deutlich teurer ist, wenngleich weit entfernt von den üblichen komplett absurden Preisen.


Rest In Power, Geordie. 



 



Erschienen auf Butterfly Records/Zoo Entertainment, 1994. 

27.01.2024

Best of 2023 ° Platz 17: IAMX - Fault Lines¹




IAMX - FAULT LINES¹


"Glückliche Menschen langweilen mich." (Wolf Wondratschek)


Wir haben miteinander gefeiert, sind gemeinsam zusammengebrochen, haben gelacht und geweint, getanzt, geschwitzt, uns angezogen und wieder abgestoßen. Haben die Theatralik bestaunt, das Drama bestanden, sind auf dem Boden des Atlantiks aufgeschlagen und haben die Sonne geküsst. Das Chaos umarmt, die Einsamkeit ausgehalten. Wir waren frei und entfesselt, haben dem Hedonismus ein "How ya doin'?" vor die Füße gerotzt und dem Tabu ein Grab geschaufelt. Haben in den Spiegel geschaut und die Risse in unserem Gesicht gesehen, die sich in die Breite verästelnden Zerwürfnisse nachgezeichnet, die Ketten mit Spucke poliert, die Zeit verflucht, den Tagen, Wochen, Monaten und Jahren den Mittelfinger entgegengestreckt. Erlebten Agonie und haltlose Hysterie, waren ohne Orientierung und voller Pläne. Überwältigt von der Kälte, überfordert mit der Hitze. In Embryohaltung dem Staub beim Zerfallen zugeschaut und uns so schnell gedreht, dass wir uns selbst überholten. Blitze geschleudert, das Meer geteilt, den Sturm gesät und Zerstörung geerntet. Das Licht zum Explodieren gebracht, die Dunkelheit ausgelöscht. Die Liebe, das Leben, eine einzige Orgie.

"The fanatics are winning and I wanna go home."


 



 



Erschienen auf Unfall Productions, 2023.

17.01.2021

Die besten Vinyl-Nachzügler (3): Ministry - The Mind Is A Terrible Thing To Taste



MINISTRY - THE MIND IS A TERRIBLE THING TO TASTE


"Man muss die Erscheinung des hässlichen Echten grundsätzlich verteidigen", schrieb Roger Willemsen mal in Anlehnung an die lebensverändernde Begegnung mit der Ausnahmekünstlerin Sinéad O'Connor und ihren Kampf mit einer Unterhaltungsindustrie, die keine Liebe für sie hatte, denn: wenn kein Konsens herzustellen ist, ist es nicht attraktiv. Wenn Künstler sich selbst und ihrer Verwertungsmaschinerie Schaden zufügen können, wenn es Selbstzerstörerisch wird, peinlich, werden Existenzberechtigungen in der Öffentlichkeit entzogen. 

Mich erinnerte das an meinen im Jahr 2020 zweiten gefeierten Frühling mit Ministry und ihrer wohl prägendsten Phase von 1988 bis 1998. Weniger, weil man Ministry Existenzberechtigungen entziehen wollte, schließlich fand die erfolgreiche Selbstidentifikation mit der Band nicht zuletzt über den inszenierten Tabubruch statt, über Extreme und Enthemmung, sondern weil Ministry in ihrer Hochphase für totale Anarchie standen, für beidseitigen Kontrollverlust. Das war in der dargestellten Echtheit tatsächlich hässlich, peinlich, selbstzerstörerisch und damit auch gefährlich. Für jene, die außer Kontrolle waren, für jene, die sie kontrollieren wollten, wo nicht mussten, und für jene, die von Außen zuschauten. 

Ministry waren ein großer Zirkus, eine Attraktion, der Mann mit den zwei Köpfen und vier Pimmeln - aber sie waren es vor allem, weil sie echt waren, echt kaputt. Disturbed. Die Anziehungskraft einer Platte wie "The Mind Is A Terrible Thing To Taste" geht von einer wahren, realen Gefährlichkeit aus. 

Al Jourgensen und Paul Barker waren über knapp 15 Jahre außer Rand und Band. Ich kann mich von schäbigem Voyeurismus leider nicht durchgängig freisprechen.


         

Erschienen auf Sire, 1989.