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27.04.2025

Sonst noch was, 2024?! (5): Nala Sinephro - Endlessness




NALA SINEPHRO - ENDLESSNESS


"Ich esse überhaupt nur noch, um danach mit umso größerem Vergnügen rauchen zu können." 
(Thomas Mann)


Am Ufer eines Sees. Eingebettet zwischen Bergen, deren schneebedeckte Gipfel sich im Wasser spiegeln. Stille. Windstille. Stillleben. Auf dem Wasser: keine Konturen, keine Bewegung, kein Wellchen. Fast ein wenig surreal. Hat jemand den Pauseknopf gedrückt, oder buffert mein Gehirn noch die Eindrücke? Give me something to cling to. 

Der Stein trifft die Wasseroberfläche. Rasch breiten sich die Wellen über die gesamte Oberfläche aus. Sehr schnell direkt um die Eintrittsstelle, mit langsamer werdendem Tempo je weiter sie sich in die Tiefe des Wassers graben. Und in die Breite. Fokus. Nicht blinzeln. Wir suchen das Bild im Bild. Dimensionen-Bingo im Schatten des Großglockners. Ayahuasca, DMT - olé, olé. 

Im peripheren Sichtfeld ist nun alles vor uns liegende in sanfter Bewegung. Ein zartes Schaukeln überall, in vollem Einklang mit der Umgebung. Mehr noch: es schluckt die Umgebung, es macht sie ganz. Und es wird damit so offensichtlich, dass erst die von der Erschütterung ausgelöste Schwingung das zusammenfügen kann, was durch die Unbeweglichkeit, die Starre nicht zusammenfinden konnte. Erst jetzt sind sie zu erkennen, die feinen Details, die tieferen Ebenen, die subtilen Turbulenzen - aber auch die Unberührtheiten. Was ehemals Alles und gleichzeitig Nichts war, weil das eingefrorene Bild auf der großen Leinwand keinerlei Impuls zur Durchlässigkeit preisgab, erleben wir nun Entfaltung und Verdichtung durch Bewegung und Überwindung. 

Das zweite Album der britischen Musikerin, Produzentin, Multi-Instrumentalistin Nala Sinephro heißt "Endlessness". Zehn Titel, allesamt unter dem Namen "Continuum" durchnummeriert. Der Stein fällt zur Sekunde 1 ins Wasser und möglicherweise endet die Schwingung mit dem atemberaubenden Crescendo im abschließenden "Continuum 10", möglicherweise endet sie aber auch in der Unendlichkeit. Das große Ensemble, das "Endlessness" stets auch über das triviale Ende des Werks hinaus in der Bewegung hält, unter anderem mit der Saxofonistin Nubya Garcia, dem Schlagzeuger Morgan Simpson (u.a. bei Black Midi), Ezra Collectives James Mollison, Lyle Barton am Piano, Sheila Maurice-Grey am Flügelhorn, Natcyet Wakili, Dwayne Kilvington und dem 21-köpfigen Streichorchester Orchestrate, definiert stets nur den Auftakt, niemals das Ende. So gesehen besteht "Endlessness" auch lediglich aus Ursprüngen, aus immer neu erkannten und aufgenommenen Ideen und Impulsen, die stets die kreative Stunde Null wiedergeben und sich ununterbrochen in die Breite verästeln. Beinahe fühlt es sich so an, als müsse man sich wegen des unwiderstehlichen Sogs selbst mitverästeln. Die Natur der Dinge. 

Alles hört irgendwann einmal auf zu existieren. Aber Nichts hat ein Ende.   


           



Erschienen auf Warp Records, 2024.



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