20.11.2017

Bruce Dickinson - Accident Of Birth





"Accident Of Birth" läutet praktisch die Rückkehr Dickinsons zu Iron Maiden ein. Nach dem überschaubaren Erfolg von "Skunkworks" - logisch: die jungen Rockfans sahen in einer Zeit, in der Metal, der klassische zumal, ein Schimpfwort war, in Bruce einen alten, uncoolen Rock-Opa, der mal bei einer Band spielte, die lustige Monster auf der Bühne herumhampeln ließ, die alten Rockfans nahmen ihm den medial hochgejazzten Stilwechsel übel und bezichtigten ihn der Trendreiterei - tat er sich zuerst mit Roy Z, seinem Freund aus "Balls To Picasso"-Zeiten, und anschließend, nach der Sondierung von Roys Songideen, mit ex-Maiden Gitarrist Adrian Smith zusammen (dessen Karriere nach seinem A.S.A.P. Debut aus dem Jahr 1990 und einer durchwachsenen und weitgehend unbekannten Platte mit Psycho Motel auf dem sowohl künstlerischen als auch kommerziellen Trockendock lag) und entschied sich zur Aufnahme eines reinen Metal-Albums. Ob die gesponnene Mär, Roy Z hätte mit "einigen großartigen Metal-Riffs" (Roy Z) aus seiner Resteschublade erst einige Überzeugungsarbeit leisten müssen, bevor Bruce endlich einlenkte, nun tatsächlich stimmt, der Geldspeicher allmählich leerer und leerer wurde, oder gar die Plattenfirma/das Management die neuerliche Kurskorrektur zumindest mitbestimmte, werden wir vermutlich nie erfahren.

Viele Signale, die von "Accident Of Birth" ausgehen, lassen sich wenigstens aus der Ferne als ein Bewerbungsschreiben an die Adresse von Maiden-Boss Steve Harris interpretieren: die Rückkehr zum Heavy Metal, Adrian Smith als Sidekick, das Cover-Artwork vom langjährigen Chefdesigner von Iron Maiden (Derek Riggs) gestaltet - so bringt man sich wieder ins Spiel, wenn die eigene Karriere mehr oder minder lautlos den Bach runter geht. Iron Maiden selbst hatten sich derweil mit der Verpflichtung von Sänger Blaze Bayley verkalkuliert (Jannick Gers:"Kann er denn singen?" - 1993) und dem schwachen Dickinson-Outro "Fear Of The Dark" ein nun gänzlich erschreckendes "The X-Factor" folgen lassen und tingelten durch Hallen mit einer Kapazität von gerade einmal 2000 Menschen. Wer den Wink mit dem Zaunpfahl ins britische Essex bis dahin noch nicht verstanden hatte, dem pflantschten die drei von der Tankstelle die Semi-Ballade "Man Of Sorrows" ins Schallgesims, dessen Text zwar von Aleister Crowley handelte, von vielen Zeitgenossen, inklusive Steve Harris, jedoch als Entschuldigungsschreiben an Iron Maiden gewertet wurde - Hybris, anyone?

"Accident Of Birth" ist stilistisch vielleicht nicht unbedingt Universen, aber doch wenigstens Kontinente vom Sound Maidens entfernt, ist härter, moderner, eine Spur offener und vor allem motivierter: Highlights sind der grandios schiebende Opener "Freak", das mit einem enormen Refrain ausgestattete "Welcome To The Pit" und die leicht episch angehauchten "Omega" und "Darkside Of Aquarius" - letzteres ein ultrafies zu singendes Monstrum, gegen das Dickinson live hör- und sichtbar kämpfen muss, es auf dem unten angezeigten Video aber in beeindruckender Manier niederringt. Überhaupt: Dickinson's stimmliche Leistungen ab Mitte der neunziger bis in die frühen Nuller Jahre hinein überflügeln spielend seine erfolgreiche Zeit mit Maiden in den 1980ern. In damaligen Interviews berichtete er von bodenlosem Montoringsound auf der Bühne und davon, immer Steve Harris' Bassmix den Vorzug geben zu müssen, sodass er, Bruce, sich praktisch nur an dem entlanghangeln konnte, was durch die PA nach draußen ins Publikum dringt - und als halbwegs erfahrener Sänger weiß ich: das ist nicht viel. Aber auch seine Arbeit im Studio zeigt sich nochmal klar verbessert, denn er sang ausdrucksstärker und kraftvoller denn je.

Trotzdem ist nicht alles Gold, was glänzt und so reiht sich "Accident Of Birth" in meiner Rangliste seiner Soloalben hinter "Skunkworks" erst auf dem vierten Platz ein. Zum einen leidet das Album unter einem etwas arg konventionellen Ansatz, der zu solch harmlosen Trällerliedchen wie "Road To Hell", "The Magician" oder auch dem oben erwähnten "Man Of Sorrows" führt und in Verbindung mit einem zwar aufs erste Hör fetten, aber auch dumpf und etwas verwaschenen Sound zum anderen die Frische von Dickinsons bisherigen Soloarbeiten vermissen lässt. "Accident Of Birth" kommt auf Albumlänge deswegen nur schwer in die Gänge - es wirkt noch wie eine Zweckehe, zu der sich der Protagonist mit schwerem Flügelschlag hat aufraffen müssen. In der Retrospektive eigentlich ein klassisches Übergangsalbum - und wenn dieser gefühlte Kraftakt notwendig war, um sich nur ein Jahr später zu dem aufzuschwingen, was wenigstens für Herrn Dreikommaviernull bis heute die Speerspitze des Heavy Metal in den 90er Jahren darstellt, dann darf man "Accident Of Birth" meinethalben gerne den Respekt entgegenbringen, den es in Teilen der Szene nicht erst seit gestern hat; einer Szene wohlgemerkt, die im Jahr 1997 nur wenig zu lachen hatte und es im Ergebnis bekanntermaßen sogar schaffte, die schwedische Abi-Ball Combo Hammerfall und ihr "Glory To The Brave"-Debut als musikgewordene Rückkehr des Yes-Törtchens zu feiern. Wenn die Sonne tief steht, werfen eben auch Zwerge lange Schatten.





Erschienen auf Raw Power, 1997.

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