06.09.2009

38 Stunden





MAGNUM - GOODNIGHT L.A.


August 1990, Flos Kinderzimmer. Mein Bruder Dirk steckt grinsend den Kopf zur Tür herein.

Dirk:"Wassen das?"

Flo:"Die neue Magnum."

Dirk:"Klingt doch gut."

Da lief gerade der Opener "Rocking Chair" dieser neuen Magnum-Platte, und ich war wenigstens skeptisch. Gut, als 13-jähriger hat man so manchen Aussetzer im Oberstübchen zu verkraften, und ich behaupte auch nicht, dass ich damals auch nur 20% der von mir gehörten Musik gerafft hätte - aber solche Erkenntnisse fallen einem ja immer erst ein paar Jahre später ein beziehungsweise auf. Als zwei Jahre zuvor das Cover von Magnums "Wings Of Heaven", dem Vorgänger zu "Goodnight L.A.", an Dirks Stereoanlage lehnte, war mein erster Gedanke tatsächlich jener, ob dieser schnauzbärtige Privatdetektiv aus Hawaii nun auch noch Musik machte, verbunden mit der Frage, wie die denn dann klänge, würde man mir die Frage mit einem "ja" beantworten. Natürlich beantwortete mir niemand diese Frage, weder mit einem "ja", noch mit einem "nein"; wie man sich in angemessener Weise zum Affen macht, wenn man zuviel Blödsinn denkt und ihn dann fatalerweise auch noch ausspricht, hatte ich in sechs Jahren Schulkarriere schon ausreichend geübt, also behielt ich diesen - wenn ja auch irgendwie niedlichen - Blödsinn ausnahmsweise für mich. Bei dem Weg: ist es nicht erstaunlich, wie lange es schon diese dämliche Eisspezialität mit Holzstiel gleichen Namens gibt?

Aber nun zu etwas völlig anderem.

Ich war also skeptisch, genau genommen kann ich mich noch daran erinnern, dass ich "Rocking Chair" beim ersten Durchlauf sogar ziemlich dämlich fand, was in erster Linie wohl an dieser seltsamen Rhythmik des Gitarrenriffs lag, nebst der eingesetzten Congas, Bongos und/oder Kofferraumdeckeln (Audi 80). Und das immer noch feist wirkende Grinsen auf Dirks Gesicht ließ gleichfalls nicht Gutes erahnen. Ich kannte diesen Blick und dieses Grinsen. Nämlich. Das bekam ich auch dann zu sehen, wenn ich mal wieder Metallicas "Master Of Puppets" mit der Melodie von Foreigners "Jukebox Hero" vor- und nachsang. Oder wenn ich Liveauftritte inszenierte und mir zur visuellen Unterstützung von Metallicas "Jump In The Fire" ein Flammenmeer aus feuerrot angemalter Pappe anfertigte, in das ich dann passend zum Refrain - genau: hineinsprang. Kurz: irgendwas schien hier nicht zu stimmen.

In den kommenden Jahren lernte ich jedoch zwei Dinge. Erstens: Magnum ist eine britische Rockband. Und zweitens: ich liebe diese Platte. Ehrlich. Bis zum heutigen Tag. Zugegeben: es hat ein bisschen den Beigeschmack von "Huiuiui, da habe ich aber ein paar hübsche Leichen im Keller.", aber meine große Schwäche für bombastischen AOR von Magnum oder auch für lässigen Bluesrock von Great White ist wenigstens mir ja seit einigen Jahren bekannt. Dass ihr sie nicht kennt..."Jagutääähh"(Der Kaiser), "strengt's euch halt mal ein bisschen an" (Guido "NEUWAHLEN" Westerwelle).

Magnums Plattenfirma Polydor wollte mit der Band endlich den amerikanischen Markt knacken. Dessen Interesse war bis dato durchaus gedämpft. Zum einen haftete der Band bedingt durch ihre früheren Arbeiten ein staubtrockenes Artrock- und Progressive Rock-Image an, von dem Ende der achtziger Jahre nunmal wirklich keine Sau etwas wissen wollte und zum anderen...naja, es waren eben Engländer, waren sie nicht?! Amerika befand sich im Guns'n'Roses/Ratt/Mötley Crue/Poison/Bon Jovi-Taumel, durchgerüttelt von wallenden, blonden Haarmähnen, zugekleistert mit drei Dosen Wella Flex pro "Kopf", vernebelt im Suff- und Heroinrausch. Wie man in dieser Situation von einer potentiell medial fast zum Kotzen langweiligen Band wie Magnum erwarten konnte, sie würde mal eben das Feld von hinten aufrollen, wenn man ihr nur einen amerikanischen Starproduzenten (Keith Olsen) und einen Hitsongwriter (u.a. Desmond Child) vor die Nase setzt, ist völlig schleierhaft. Rubrik "Vollprofis in Plattenfirmen".

Überraschung indes: dabei sind sowohl die Produktion als auch die Songs selber frei von jeder Kritik. Der Engländer würde nun den Ausdruck "flawless" verwenden und er wäre "damn right", wie wir Doofexperten sagen, ich mag mittlerweile ja sogar den rockenden Stuhl! Aber der Rest, Kinder! DER REST! "Goodnight L.A." ist feinster Rock-Pop oder Pop-Rock für das beste Radioprogramm aller Zeiten: arschglatt und dermaßen poliert bis wirklich kein Neutron mehr aus dem Sound hervorlugen kann, und das bei nur marginaler Bombastreduzierung. Wenn in "Mama" nach leisem Beginn die Gitarre volle Akkorde in den Song peitscht und das typisch-hallige Schlagzeug Fahrt aufnimmt, wenn in der kitschfreien Megaballade "Only A Memory" die mächtigen Chöre einsetzen und von einem schweren Megariff abgelöst werden, wenn der straighte Rocker "What Kind Of Love Is This" mit rauhem Bob Cately-Gesang und umwerfender Hookline eine zweite Seite eröffnet, die mit "Shoot" und "Born To Be King" zwei glasklare 10-Punkte-Songs präsentiert, dann erkennt der 13-jährige Florian vielleicht nur die herausragenden, zwar eingängigen aber ebenso anspruchsvollen Songs, während der XX[noch einfügen - d.Setzer]-jährige Florian die Größe der kompletten Produktion nebst der Arrangements und der herbeigeführten dunklen, schwer-glühenden Atmosphäre zu würdigen weiß.

"Goodnight L.A." ist in jeder Hinsicht eine Meisterleistung und in der Konsequenz natürlich tierisch gefloppt. Polydor strich sogar die angedachte dritte Singleveröffentlichung "No Way Out", weil die zweite Auskoppelung "Heartbroke & Busted" schon ordentlich baden ging und die erwünschte Chartplatzierung nichtmal im Ansatz erreichen konnte. Der harte Kern der Magnum-Fans hingegen ließ das Album ebenfalls kräftig durchfallen: viel zu poppig, viel zu kompakt, viel zu glatt, viel zu amerikanisch - und zumindest das war eben kompletter Humbug: selbstverständlich klangen Magnum immer noch typisch britisch, nur eben nicht mehr so steif und verkopft. Tatsächlich legte schon der großartige Vorgänger "Wings Of Heaven" (ebenfalls ein sicherer Kandidat für meine "Rotz und Wasser heulen auf die Knie sinken"-Ruhmeshalle) mit heruntergefahrenem Kitsch und einer Fokussierung auf naivere Dramatik den Grundstein für die hier fortgesetzte Entwicklung, auch wenn er noch deutlich klarer und rauher klang.

Und das Ergebnis von all dem? Es kamen keine neuen Fans hinzu, stattdessen verlor man einen nicht kleinen Teil der eingefleischten Anhänger. Im Grunde ist "Goodnight L.A." der möglicherweise entscheidende Bruch in der Magnum-Karriere: nach vielbeachteten Alben Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre und den Meilensteinen "Chase The Dragon", "Vigilante", "Wings Of Heaven" und vor allem "On A Storyteller's Night" waren sich die konservativen und sicherheitsbewussten Rockfans nach "Goodnight L.A." eben nicht mehr sicher. Noch einen Reinfall riskieren? Auf keinen Fall! Der Nachfolger "Sleepwalking" interessierte dann niemanden mehr so richtig. Ich glaube ja, dass die Band (die bis heute existiert, Platten veröffentlicht und auf Tour geht) sich seitdem nicht mehr von diesem Einbruch erholt hat. Und es ist natürlich nicht gering zynisch, dass dieser Einbruch gerade mit ihrer nach meinem Ermessen zweifelsfrei besten Platte erfolgte.


"Goodnight L.A." von Magnum ist im Juli 1990 auf Polydor erschienen.

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