14.07.2009

My Pills...Quick


Thought Industry - Eine Werkschau

Flower don't cry tonight. Raspberries kissed your 
melting face. Flower please hold me tight. Caress my 
skin, blended as one. All wrong. My lover's gone. All 
wrong. I’ve lost her in the cornerstone of time. Tart meat 
cuts emerald lips. Parts and slits. Flower is sky. 
Raspberry feels cannot heal. Bleeds his soul. Kicks in her 
teeth. All wrong. My lover's gone. All wrong. I've lost her 
in the cornerstone of time. Love? All wrong. My lover's 
gone. All wrong. I've lost her in the cornerstone of time. 
All wrong. My mind is gone. All wrong. I've splattered it 
to the stars to the grave. All wrong.

(Thought Industry, "Cornerstone", 1992)


Thought Industry sind für mich eine der obskursten und interessantesten Bands der letzten 20 Jahre. Die Truppe aus dem Städtchen Kalamazoo im US-Bundesstaat Michigan debütierte nach ihrem selbstbetitelten Demo von 1990 zwei Jahre später mit ihrem ersten vollständigen Longplayer, dem wahnsinnigen Techno-Speed-Gewitter "Songs For Insects". Stilistisch mit Bands wie Watchtower oder den begnadeten Realm vergleichbar, bot das Quintett höllisch abgedrehten, vertrackten und breaklastigen Speed/Thrash Metal. Die originelle Stimme von Brent Oberlin, der sowohl die höheren Tonlagen meisterte, als auch von Zeit zu Zeit in einen wirren Sprechgesang abdriftete, in Verbindung mit poetischen und abstrakten "stream of consciousness"-Texten verlieh der Band ein akademisches, intellektuelles Gesicht. Dazu gab es mit den zehnminütigen "The Chalice Vermillion" oder dem Titeltrack variantenreiche Kompositionen mit Überlänge, die für einen ordentlichen Information-Overload im Oberstübchen sorgten. Ich glaube mitnichten, dass ich dieses Album bis heute auch nur im Ansatz verstanden habe, aber es macht - zumindest für eine Weile - immer noch einen tierischen Spaß, sich derart den Kopf verdrehen zu lassen. 

Das Konzept wurde auf dem 1993er Nachfolger "Mods Carve The Pig: Assassins, Toads, And God's Flesh" weitgehend beibehalten, bevor das 1995 erschienene "Outer Space Is Just A Martini Away" einen ersten Bruch im Klangbild darstellte. Die Band öffnete ihren Sound für Hardcore, Noise, Punk, Indie und Alternative-Einflüsse, was auf den ersten Blick für die damalige Zeit nicht unbedingt etwas ungewöhnliches war. Das interessante daran: Thought Industry schafften es, mit dieser Neuausrichtung nicht etwa ihren eigenen Sound zu verwässern oder ihn in einer weichgespülten, gefälligen Soße zu ertränken, sondern ihnen gelang es tatsächlich, ihr gesamtes Auftreten weiter zu entwickeln. Die wesentlichen, abstrakten Elemente, sowohl musikalisch als auch textlich, waren immer noch eindeutig zu identifizieren, nur mit dem Metal hatten sie nun nicht mehr all zu viel am Hut, eher erinnerten sie besonders auf dieser Platte in einigen Momenten an eine unpeinliche Faith No More-Version. Dabei ist "Outer Space Is Just A Martini Away" wie seine Vorgänger alles andere als leichtverdaulich, im Gegenteil: es ist anstrengend wie Sau, sich durch dieses Monstrum zu kämpfen. Vor allem im hinteren Drittel wimmelt es nur vor undurchsichtigen Strukturen, von Krach und von völligem Wahnwitz. Dem gegenüber stehen die wohl bekanntesten, weil im Ansatz eingängigsten Songs dieser Band:"The Squid", "Jack Frost Junior" oder "Love Is America Spelled Backwards". 

Me be itsy silly fluffy boy. Golly folly. Skippy
Trippie pixie slippy toy. Lolly polly. Shoot me.

(Thought Industry, "Boil", 1993)

Danach vollzogen Thought Industry eine weitere Richtungserweiterung mit dem melancholischen "Black Umbrella"-Werk, das seinen Schwerpunkt eindeutig auf Indie- und Alternative-Sounds setzte und in Grundzügen gar mit einer Band wie Pavement vergleichbar war. Heftige Eruptionen gehörten hier bis auf eine Handvoll Ausnahmen in der zweiten Albumhälfte der Vergangenheit an. Aber auch für "Black Umbrella" gilt: no one said it was easy! Was alle Thought Industry-Platten zumindest in meiner Wahrnehmung gemein haben: sie fordern dem Hörer vieles, wenn nicht alles ab. So kann ich sie - bei aller hier auch zur Schau gestellten Liebe - unter fast keinen Umständen am Stück und komplett durchhören. Ich mag diese Songs, ich mag diese Platten, ich mag diese Band. Aber ich bin nach einer gewissen Zeit schlicht mit ihrem Wahnsinn überfordert.

Mit dem nachfolgenden, opulenten Schwanengesang "Short Wave on a Cold Day", der nur in Amerika erschien und vor dessen Entstehung sich weite Teile des Line-Ups aus dem Staub machten und nur noch Oberlin seine Vision nun mit Vollgas verwirklichen konnte, änderte sich die Kapitulation nicht, obgleich es sich dabei möglicherweise um die versöhnlichtste Aufnahme der Band handelt. Waren die zwei Vorgänger vor allem durch Bitterkeit und Zynismus geprägt, erschien der Abschluss eine Spur freundlicher. Hinsichtlich der Qualität könnte man durchaus der Meinung sein, es handele sich um das beste Album der Band. Oberlin holt hier alles aus sich heraus und bündelt seine Stärken auf einem mit knapp 72 Minuten erneut viel zu langen Album: kompakte Songs mit großartigen Melodien, stringentes und klares Songwriting, dabei immer auf der Grenze zum Noise- und Schrammelrock balancierend und niemals kitschig oder sinnlos aufgepompt. Dafür mit wirklichen Songperlen wie dem 80er Jahre angehauchten "A Week And Seven Days", dem melancholischen "Lovers In Flames" oder dem poppigen Quasi-Radiofutter "Kiss Judy Fly". Die Dichte an fantastischen Songs ist wahrlich beeindruckend, was mir sogar etwas dabei hilft, die überlange Spielzeit etwas zu kompensieren. Mit "Short Wave On A Cold Day" entzogen sich Thought Industry darüber hinaus endgültig jeden Kategorisierungsversuchen, ihr Sound wurde nochmals einzigartiger. Der Kohleklumpen war nun definitiv ein echter, funkelnder Diamant. Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Oberlin ausgerechnet nach diesem Meisterwerk das Licht ausknipste. 

"Man, he's so punk. Writes his own 'zine. Does basement 
shows. Plays in three bands; and he still finds time to 
love his Mom's wallet." - Coffee House Leech

(Thought Industry, "Pinto Award In Literature", 1995)


Interessant über die eigentliche Musik hinaus finde ich außerdem folgende Punkte:

Erstens blieb die Band über all die Jahre mit all den Neuerfindungen immer beim selben Label, nämlich bei Metal Blade. Spätestens ab "Black Umbrella" werwundert es schon, dass dieses eigentlich reine Metal-Label der Band noch die Stange hielt, trotz der vermutlich durchaus überschaubaren Albumverkäufe einerseits und einer Abkehr von typischen Metalsounds andererseits. 

Zweitens sind Thought Industry zwar seit einigen Jahren in den ewigen Jagdgründen, aber dennoch präsenter als zu ihren aktiven Zeiten, zumindest was die Verfügbarkeit ihrer Alben betrifft. Sowohl bei Ebay, als auch in jedem halbwegs akzeptablen Second Hand-Shop sind ihre Alben haufenweise auch für den kleinsten Geldbeutel zu finden, vielleicht mit Ausnahme des wie erwähnt nur in den USA erschienenen "Short Wave On A Cold Day". Vor allem "Outer Space Is Just A Martini Away" lehnt praktisch an jeder Straßenecke. Möchte nicht wissen, wie viele Scheiben Metal Blade davon noch im Keller stehen hat.

Drittens: die Fangemeinde. Thought Industry erreichten nie die große Masse, selbst für eine kleine Masse war ihr Sound wohl einfach zu abgedreht. Und als ihr Auftreten zugänglicher wurde, war das Kind schon in den Brunnen gefallen, da wussten vor allem große Teile der Metal-Gemeinde: Finger weg, wir raffen es eh nicht. Diesem Umstand ist es wohl zu zu schreiben, dass der eigentlich übliche Ruf nach einer Reunion hier verstummt. Nichtsdestotrotz gab und gibt es sehr wohl eine eingeschworene Gruppe von Fans der Band...ich stelle mir nur manchmal die Frage: wo sind sie geblieben? 

Zumindest einer davon schreibt Thought Industry für einen kurzen Moment in die Erinnerung zurück.

Strange & Beautiful.

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